Elektroauto-Pionierin Warum das Benzinauto sterben muss

Zurück in die Zukunft: General Motors verspricht nach dem gescheiterten EV1 (links beim Dreh des Films »Who killed the electric car?«, deutsch: »Warum das Elektroauto sterben musste«) ein zweites Mal, aufs Elektroauto zu setzen – elektrifiziert diesmal aber den Geländewagen Hummer (rechts eine zeitgenössische Version)
Foto: Sony Pictures / ddp imagesSPIEGEL: Frau Sexton, General Motors hat sich vor einigen Wochen mit großem Tamtam vom Verbrennermotor verabschiedet und eine große Elektrooffensive angekündigt. Wie glaubwürdig finden Sie diesen Schritt des Konzerns?
Sexton: GM hatte bereits im März 2020 ein Dutzend künftiger E-Autos angekündigt. Die Ankündigung ist ein vielversprechendes Ziel, aber wir müssen abwarten, was sie tatsächlich tun. Die ersten Modelle, wie zum Beispiel das Hummer-EV, werden relativ teuer und in kleinen Stückzahlen gebaut. Erst wenn es günstigere Modelle in größerer Zahl gibt, werden wir GMs tatsächliche Absichten erkennen können. Denn die meisten dieser Ankündigungen der etablierten Autohersteller sind mit einem unsichtbaren Sternchen versehen.

Chelsea Sexton, geboren 1975, arbeitete zunächst für die General-Motors-Marke Saturn, später war sie am Elektroautoprojekt EV1 des Konzerns beteiligt. Durch den Dokumentarfilm »Who killed the electric car?«, der sich mit dem Ende des EV1-Programms befasst, erlangte die Elektroauto-Verfechterin internationale Bekanntheit. Heute arbeitet Sexton als Beraterin.
SPIEGEL: Was meinen Sie mit Sternchen?
Sexton: Viele Firmen wollen jetzt auf E-Antriebe umstellen, und das glaube ich ihnen sogar. Würde sich die Gesetzgebung aber ändern und die Hersteller nicht mehr zwingen, auf Batterieautos zu setzen, hätten sie damit ziemlich sicher auch kein Problem. Bisher überwiegt die PR die tatsächliche Veränderung, das gilt für GM und die Konkurrenz gleichermaßen. Das zeigen die letzten 25 Jahre Modellpolitik und eingestampfte Programme wie der EV1 …
SPIEGEL: … ein eigentlich wegweisendes Elektroautoprojekt von General Motors aus dem Jahr 1996, das aber nie verkauft wurde. Auch der viel gerühmte Chevrolet Volt, der in Deutschland als Opel Ampera verkauft wurde, ist letztendlich gescheitert. Haben das Unternehmen und seine Wettbewerber dazugelernt?
Sexton: Das muss sich vor allem daran zeigen, wie stark sich das Unternehmen als Ganzes wandelt, nicht nur die Modellpolitik.
SPIEGEL: Was meinen Sie damit?
Sexton: Man kann nicht einfach ein E-Auto ins Autohaus stellen und denken, dass sich der Rest von selbst erledigt. Man muss Verkäufer und Kunden schulen, das Marketing verändern und selbst Ladesäulen aufbauen. Damit haben sich bisher alle Autohersteller schwergetan, auch wenn es GM zu Anfang beim Volt versucht hat. Alles, was wir damals beim EV1 gelernt haben, wurde seitdem ignoriert.
SPIEGEL: Der EV1 hat Kultstatus, mit ihm war GM damals Avantgarde – vor Tesla. Welche Rolle spielt die Geschichte dieses Autos heute für GM?
Sexton: Über den EV1 redet GM nach wie vor nur ungern. Das ist schade, technologisch war der Wagen ein Meilenstein, für den die Firma Anerkennung verdient hat. Es war zum Beispiel das erste Auto, das Bremsenergie zurückgewinnen konnte. Das nicht zu würdigen, ist schade für die Entwickler, aber irgendwie auch verständlich.
SPIEGEL: GM wirkt dann wie der Konzern, der das Mögliche unmöglich machte, während Tesla das scheinbar Unmögliche ermöglichte?
Sexton: Der Konzern ist beim EV1 so abweisend, weil man nicht an etwas erinnert werden will, das man falsch gehandhabt hat. Und die Menschen würden GM dann daran erinnern, dass man dieses Auto achtlos sterben ließ. Tesla hat aus dem EV1 gelernt, von der Leidenschaft der Fahrer für dieses Auto, von seinem Kultstatus.
SPIEGEL: Der EV1 war aber auch ein Westküstenphänomen: Entstanden durch Kaliforniens Luftreinhaltungspolitik, gerühmt von Hollywood-Stars wie Danny DeVito und ökologisch orientierten Autofahrerinnen und Autofahrer. Die finden sich traditionell verstärkt in Kalifornien, zudem sind die Wege dort tendenziell kürzer als in anderen Teilen des Landes. Sind die riesigen und teilweise dünn besiedelten USA überhaupt für E-Autos geeignet?
Sexton: Die täglich gefahrenen Strecken sind auch von Bundesstaat zu Bundesstaat relativ einheitlich. Elektroautos schlagen sich bisher gut entlang der West- und Ostküste und in Teilen von Texas und Georgia. In den dünn besiedelten Flächenstaaten haben sie es dagegen schwerer. Das liegt aber weniger an fehlender Akzeptanz oder Reichweite, sondern an fehlenden Autos.
SPIEGEL: Mit Tesla Model 3, Nissan Leaf oder Chevrolet Bolt gibt es doch eine ordentliche Auswahl.
Sexton: Die geografische Verteilung ist ein Problem. In Regionen, die beliefert werden, kaufen die Leute auch tendenziell Elektroautos. Aber es reicht auch nicht, dass E-Autos bei den Händlern herumstehen. Sie werden nicht verkauft, wenn die Verkäufer selbst keine Erfahrung mit E-Autos haben. Sie müssen die Autos kennen. Man kann Milliarden in Autos und Werbung investieren, am Ende ist alles umsonst, wenn der Verkäufer dann doch das SUV mit Benzinmotor empfiehlt. Deswegen braucht man aber auch elektrische Pick-ups und SUVs. Pick-up-Fans akzeptieren einen Nissan Leaf einfach nicht als vollwertiges Auto. Sie sehen: Wir müssen an verschiedenen Stellschrauben drehen, wenn wir das Problem lösen wollen.
SPIEGEL: Aber in Staaten wie Wyoming oder Arkansas gibt es kaum Ladestationen, das wird den Erfolg dort sicher nicht fördern.
Sexton: In der Mitte des Landes ist die Infrastruktur dünn, das stimmt. Aber die Hauptrouten zwischen West und Ost, Nord und Süd sind mittlerweile elektrifiziert. Gleichzeitig entwickeln sich um Metropolen weitere Routen mit Ladestationen, zum Beispiel zwischen Los Angeles und San Francisco oder Las Vegas. Die Pläne der Biden-Regierung werden den Ausbau hoffentlich beschleunigen. Und für die meisten bleibt das Laden zu Hause am wichtigsten, und das ist kein Problem.
SPIEGEL: Trotz des veralteten US-Stromnetzes?
Sexton: Wenn morgen jedes Auto in den USA elektrisch fahren würde, könnten wir den Großteil dieser Flotte laden. Aber ich habe keinen Zauberstab, um das so schnell zu realisieren. Es bleibt also genug Zeit, während des Hochlaufs das Netz zu modernisieren. Die Stromversorgung ist nicht das entscheidende Problem. Bei Klimaanlagen und Plasmafernsehern hat sich auch niemand Sorgen gemacht, ob dadurch das Netz zusammenbricht, niemand beschuldigt diese Geräte für die Auslastung des Netzes. Das Stromnetz ist eine schlechte Ausrede, nicht auf E-Autos zu setzen.
SPIEGEL: In Deutschland wird immer wieder diskutiert, ob E-Autos wirklich umweltfreundlicher sind. Welche Rolle spielt das in den USA?
Sexton: Außerhalb bestimmter Anti-Elektroauto-Gruppen bei Facebook kommt diese Frage immer seltener auf. Einmal weil die Frage an sich die Menschen weniger interessiert und wir reichlich Beweise haben, dass E-Autos besser sind. Interessanter ist für mich, wie stark in Europa Plug-in-Hybride kritisiert werden. Ich befürchte, dass man diese Technologie zu schnell verwirft.
SPIEGEL: Die Fahrzeuge verbrauchen in der Realität aber auch deutlich mehr als offizielle Testzyklen versprechen.
Sexton: Das sagt aber mehr über die Stichhaltigkeit der Testzyklen aus, die die tatsächliche Nutzung nicht widerspiegeln. Diese Diskussion gibt es hier ebenfalls. Die Antwort ist aber nicht, Plug-in-Hybride an sich zu verbieten, sondern bessere zu fordern. In den USA ist der CO2-Fußabdruck eines Plug-in-Hybriden mit knapp 100 Kilometern elektrischer Reichweite ziemlich identisch mit dem eines Batterieautos mit 480 Kilometern Reichweite. Wenn man sicherstellt, dass der Wagen sehr oft geladen wird, fährt ein Plug-in-Hybrid in den USA 80 Prozent seiner jährlichen Fahrleistung elektrisch. So können Plug-in-Hybride eine sinnvolle Ergänzung zu Batterieautos sein und in ländlichen Regionen den Übergang erleichtern.
SPIEGEL: Könnten sich nicht auch Batterieautos als Übergangsphänomen zum Wasserstoff entpuppen?
Sexton: Wasserstoff erlebt in der PR eine Renaissance und ist möglicherweise in der Zukunft in bestimmten Fällen sinnvoll. Trotzdem sehe ich die Technologie nicht bei normalen Autos. Wasserstoff ist teuer, außerdem sind die Wasserstofftankstellen hier in Kalifornien sehr unzuverlässig. Im Sommer vertragen die Kompressoren die Hitze nicht und die Tankstellen müssen schließen. Außerdem ist Elektrizität vertrauter, günstiger und einfacher zu bekommen.
SPIEGEL: Nicht nur bei den Antrieben steht eine Wende bevor, mit Pete Buttigieg haben die USA einen ungewöhnlich prominenten Verkehrsminister. Was kann er bewegen?
Sexton: Entscheidend ist, ob er es schafft, die vielen verschiedenen Interessen zusammenzubringen, aber der kürzlich von Präsident Biden vorgestellte Plan zeigt bereits, dass er einflussreich ist. Der Kongress spielt jedoch eine extrem wichtige Rolle in der Verkehrspolitik, dazu kommen noch die Lobbyisten und die Ansichten der einzelnen Bundesstaaten.
SPIEGEL: Hilft es, dass diesen Umbruch ein Minister aus dem Mittleren Westen des Landes verantwortet?
Sexton: Es ist nicht entscheidend, aber es schadet nicht. Die Mitte des Landes hat so nicht das Gefühl vergessen zu werden. Niemand sollte vergessen werden.