Staatshilfen Sechs Ideen, die besser sind als eine Autokaufprämie

Eine Kaufprämie für Autos soll der Wirtschaft auf die Beine helfen. Doch den staugeplagten Städten und der Umwelt würde sie wohl schaden. Der Staat könnte das Geld sinnvoller im Verkehrsbereich anlegen.
Mehr als Auto: Beim Verkehr hat der Staat viele Optionen, Geld zuzuschießen

Mehr als Auto: Beim Verkehr hat der Staat viele Optionen, Geld zuzuschießen

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Maike Hildebrandt/ iStockphoto/ Getty Images

Die Coronakrise hat der Autoindustrie im April ein beispielloses Absatzdebakel beschert. Um 61,1 Prozent sind die Neuzulassungen im Vergleich zum Vorjahresmonat eingebrochen.

Nun verlangt die Branche eine Kaufprämie, damit schnell mehr Menschen in die Autohäuser kommen und die Fabriken ausgelastet sind. Ganz ähnlich war es zur Wirtschaftskrise 2009, als die Abwrackprämie die Verkaufszahlen stark steigen ließ.

Doch dieses Mal ist die Maßnahme hochumstritten. "Konjunkturpolitisch ist eine Kaufprämie sinnvoll, verkehrspolitisch weniger", sagt Wirtschaftsprofessor Wolfgang Maennig von der Universität Hamburg.

Kritiker stoßen sich vor allem daran, dass die Subvention Nutzerinnen und Nutzer umweltfreundlicherer Verkehrsmittel außen vor lässt. So forderte Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung eine Prämie, die auch Fahrrad, Bus und Bahn einbezieht.

Doch wie könnte der Staat mit seinem Geld möglichst zielgenau einen Beitrag gegen Probleme wie Stau, Luftverschmutzung und Klimakrise leisten? Der SPIEGEL hat Experten nach Ideen gefragt, die der Wirtschaft helfen - aber auch der Umwelt. Sechs Vorschläge im Überblick:

1. Mobilitätsbudget nach Riester-Prinzip zahlen

Anstatt den Kauf eines Neuwagens zu bezuschussen, sollte der Staat den Bürgern ein zeitlich befristetes Mobilitätsbudget von 5000 Euro pro Person und Jahr zur Verfügung stellen, erklärt Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin. Das Budget können die Bürger dann für den öffentlichen Nahverkehr, Ridepoolingdienste oder Leihräder nutzen - also für Angebote, die Staus und Umweltverschmutzung entgegenwirken.

Zur Umsetzung schlägt Knie das Riester-Prinzip vor: "Die Nutzer bezahlen für einen festgelegten Zeitraum nur die Hälfte des jeweiligen Preises, statt zehn Euro für ein Leihrad also nur fünf. Der Anbieter bekommt die zweite Hälfte vom Staat dazu." Ähnlich funktioniert es in der privaten Renten-Zusatzversicherung - benannt nach dem früheren Arbeitsminister Walter Riester (SPD) - wo der Staat Zuschüsse zahlt.

Das Prinzip gäbe vielen Menschen einen Anreiz, vom Auto auf klimafreundlichere Verkehrsmittel umzusteigen. Gleichzeitig könnte die Autoindustrie weiterhin Fahrzeuge verkaufen, bevorzugt an Sharinganbieter.

Für Langstreckenpendler, für die das Budget nicht sinnvoll ist, schlägt Knie einen Ausgleich vor. "Für sie muss ein Recht auf Heimarbeit geschaffen werden, damit sie mindestens an einem Tag der Woche nicht pendeln müssen und Freizeit gewinnen", so Knie. Das würde ebenfalls die Straßen entlasten. Zur Finanzierung schlägt der Mobilitätsforscher eine Citymaut und deutlich höhere Parkgebühren im Stadtgebiet vor - auch Anwohner-Parkausweise sollen teurer werden.

2. Buskaufprämie statt Autokaufprämie einführen

Dem öffentlichen Personennahverkehr könnten in der Corona-Krise staatliche Zuschüsse für neue und moderne Busse helfen. Bisher scheiterte die Flottenumstellung in vielen Fällen an hohen Kosten. Aufgrund der geringen Nachfrage produzierten die Hersteller beispielsweise nur wenige Elektrobusse. Sie blieben wegen der geringen Stückzahlen teuer. Eine deutlich höhere Förderung könnte diesen Knoten lösen, bisher übernimmt der Bund lediglich bis zu 80 Prozent der Mehrkosten im Vergleich zu klassischen Fahrzeugen - und auch nur bei mindestens fünf gekauften E-Bussen.

"Eine Kaufprämie für umweltfreundliche Busse könnte die Industrienachfrage stabilisieren und würde darüber hinaus die negativen Folgen der Pandemie auf den ÖPNV abmildern", sagt Verkehrswissenschaftler Gernot Sieg von der Uni Münster.

Es gelte zu verhindern, dass Fahrgäste wegen der Infektionsgefahr dauerhaft vom ÖPNV zum eigenen Auto wechseln. "Dazu braucht man ein eher ausgeweitetes Angebot an ÖPNV, auch mit neuen Fahrzeugen", so Sieg. Dann wären die Busse nicht so voll und in Corona-Zeiten attraktiver.

3. Offensive für Carsharing und Rufbusse auf dem Land starten

Landbewohnern und Familien fällt der Verzicht aufs eigene Auto derzeit besonders schwer - weil es oft keine passenden Busverbindungen oder Sharingfahrzeuge gibt. Kein Wunder, dass zwei Autos pro Haushalt die Regel sind und Drittwagen keine Seltenheit.

Diesen Menschen den Umstieg gezielt mit staatlicher Hilfe zu erleichtern, schlägt der Hamburger Ökonom Maennig vor. "Einmal durch die Subventionierung von Rufbus-Systemen in ländlichen Regionen und durch familiengerechte Carsharing-Systeme mit größeren Autos und Kindersitzen."

Zur Finanzierung könnte der Steuersatz für Diesel laut Maennig schrittweise auf das Niveau von Benzin angehoben werden. "So haben die Verbraucher Planungssicherheit und gleichzeitig ein neues Angebot, auf das sie umsteigen können."

4. Stadtkerne zugunsten von Fußgängern umbauen

Statt den Autokauf weniger Bürger zu subventionieren, sollte der Staat die Städte für Radfahrer und Fußgänger attraktiv machen, erklärt Mobilitätsforscher Martin Lanzendorf von der Universität Frankfurt. Und dies "nicht nur in den Großstädten, sondern auch in kleinen und mittelgroßen Städten". Das komme dem Klimaschutz zugute und stärke die Wirtschaft. "Denn Fuß- und Radwege müssen geplant und gebaut werden, das bringt Handwerksbetrieben Aufträge und sichert Arbeitsplätze."

Breitere Gehwege und autofreie Innenstädte führen Lanzendorf zufolge dazu, dass mehr Menschen vor Ort einkaufen. Verödete Zentren blühten auf, weniger Flächen würden versiegelt für XXL-Märkte auf der grünen Wiese mit riesigen Parkplätzen.

Vorhaben, die schon länger geplant sind, ließen sich zügig umsetzen. Bund und Länder müssten allerdings den Kommunen finanziell helfen. Deren Steuereinnahmen sinken durch die Coronakrise, manche Projekte werden verschoben oder abgesagt. So kommt der Umbau im Zentrum des Hamburger Stadtteils Ottensen zu einem fußgänger- und fahrradfreundlichen Gebiet nicht voran, weil eine Million Euro fehlte. 

"Eine gute Fahrradinfrastruktur werden wir auch nach der Krise brauchen", sagt Verkehrsforscher Sieg. "Wenn jetzt investiert wird, macht man damit nichts falsch und schafft zusätzliche Möglichkeiten, um die derzeit geltenden Abstands- und Hygieneregelungen im Verkehr einhalten zu können".

5. Das 365-Euro-Ticket - zweite Chance durch die Coronakrise

Einen Euro pro Tag - das ist die Idee des 365-Euro-Tickets, mit dem Fahrgäste ein Jahr lang Busse und Bahnen nutzen können. Sie ist nicht ganz neu, könnte nun aber zum Retter des von der Coronakrise gebeutelten Nahverkehrs werden.

Bisher ist das Modell umstritten. Etwa 13 Milliarden Euro Einnahmen würden den ÖPNV-Unternehmen durch das Billigticket jährlich wegbrechen, rechnet der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) vor. Die größte Sorge: Steigt die Zahl der Fahrgäste durch ein billiges Jahresticket weiter an, drohe dem vielerorts überlasteten ÖPNV der Kollaps.

Diese Sorge ist derzeit unbegründet. Busse und Bahnen fahren dünn besetzt durch die Gegend, weil die Leute Angst haben, sich anzustecken. Das verschafft dem 365-Euro-Ticket eine neue Chance.

"Es entfällt das oft angeführte Gegenargument, man könne die dann steigende Nachfrage gar nicht bedienen", sagt Verkehrsexperte Robert Follmer vom Bonner Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas). Daher sei jetzt sei der richtige Zeitpunkt, um das günstige Jahresticket einzuführen - auch um die Fahrgastzahlen zu stabilisieren.

"Der ÖPNV ist wichtig für Menschen, denen es wirtschaftlich nicht so gut geht. Sie können sich oft nicht in das eigene Auto zurückziehen", sagt Follmer. Mobilität sichere gesellschaftliche Teilhabe. Eine finanzielle Entlastung der individuellen Mobilitätsbudgets würde sozial Schwache doppelt unterstützen.

6. Mehr Komfort im ÖPNV schaffen – Vorbild: Fernzüge

Vielen Menschen ist die Fahrt in Bussen und Bahnen bisher nicht nur zu teuer, sondern auch zu unkomfortabel - sie steigen lieber ins Auto. "Die ÖPNV-Nutzung ist gefühlt oft die schlechtere Verkehrsmittelwahl", sagt Verkehrsexperte Follmer. Oft fehle es an Platz. "Eine der größten Hürden im ÖPNV ist schon immer die große Nähe zu anderen Menschen gewesen."

Zu wenig Aufenthaltsqualität ist laut Follmer ein wichtiges Manko im Nahverkehr. Dabei könnten sich Verkehrsbetriebe vieles von den Fernverkehrszügen der Deutschen Bahn abschauen. Denkbar wäre, häufiger Reservierungssysteme für Pendler im Nahverkehr anzubieten. Zudem ließen sich Sitze bequemer gestalten und Abstände vergrößern.

Auch der Service ließe sich verbessern, indem Zeitungen im Berufsverkehr ausliegen oder Servicekräfte Kaffee verteilen. Solche Angebote könnten die Menschen langfristig dazu bewegen, häufiger mit Bus und Bahn zur Arbeit zu fahren. Um sie zu ermöglichen, müsste der Staat mehr Geld lockermachen - etwa bei Ausschreibungen für den Schienenpersonennahverkehr.

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