Unfallverhütungsbericht
Zahl der Verkehrstoten sinkt – aber nicht stark genug
2019 sank die Zahl der Verkehrstoten auf einen historischen Tiefstand, 2020 ging die Zahl auch durch die Coronakrise weiter zurück – das selbst gesteckte Ziel verfehlte Deutschland dennoch.
Keine Toten mehr im Straßenverkehr: Diese »Vision Zero« ist das langfristige Ziel der Bundesregierung. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg, das zeigt der »Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 2018/2019«. Zwar gibt es Fortschritte, die Zahl der Getöteten sank jedoch weniger stark als, die Politik sich ursprünglich vorgenommen hatte.
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Im Verkehrssicherheitsprogramm 2011 wurde angestrebt, die Zahl der Verkehrstoten im Straßenverkehr bis 2020 um 40 Prozent zu verringern. Dieses Ziel werde nicht erreicht werden, heißt es im Bericht – auch weil das Verkehrsaufkommen gestiegen ist. Bis 2019 verringerte sich die Zahl der Verkehrstoten um 24 Prozent. 2019 kamen 3046 Menschen im Straßenverkehr um, 2011 waren es noch 4009 Menschen.
2020 gab es offenbar deutlich weniger Verkehrstote, das lag aber auch am geringeren Verkehrsaufkommen wegen der Corona-Pandemie. So wurden von Januar bis Oktober bei Verkehrsunfällen 2336 Menschen getötet, knapp elf Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Das Verkehrsministerium arbeitet derzeit am nächsten Verkehrssicherheitsprogramm für den Zeitraum 2021 bis 2030, es soll im Frühjahr fertig sein.
Zahl der Fahrradunfälle steigt
»Das ehrgeizige Ziel von 40 Prozent weniger Verkehrstoten innerhalb eines Jahrzehnts wurde klar verfehlt«, sagte ADAC-Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand. »Wir müssen daher unsere Anstrengungen in der Verkehrssicherheitsarbeit deutlich verstärken.« Auch die Sprecherin des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR), Julia Fohmann, forderte konkrete Maßnahmen von Bund und Ländern, um die Zahl der Getöteten und Verletzten weiter zu reduzieren.
»Im Verkehrssicherheitsprogramm 2011 wurde vieles angestoßen, zum Beispiel die Marktdurchdringung von Fahrassistenzsystemen, gleichzeitig wurden gezielt Strafen erhöht, um zum Beispiel Ablenkung durch Handys stärker zu ahnden«, erklärt die DVR-Sprecherin. Auch das Punktesystem sei reformiert worden. Eine umfassende Reform des gesamten Sanktionengefüges sei bislang aber leider ausgeblieben, gleichzeitig wurden zu wenig Mittel für die Infrastruktur bereitgestellt und Maßnahmen wie der Ausbau von Radwegen ging nur schleppend voran, kritisiert Fohmann. »Dadurch wurde das selbst gesteckte Ziel letztlich nicht erreicht.«
So ist die Zahl der Fahrradunfälle laut Bericht seit dem Jahr 2000 deutlich gestiegen. Bei der Zahl der tödlich verunglückten Radfahrer zeige sich zwar seit 2000 ein Rückgang um etwa ein Drittel – allerdings beruhe dies auf Rückgängen bis 2010. Seitdem sei ein Anstieg zu verzeichnen.Angesichts eines regelrechten Verkaufsbooms hat beispielsweise die Zahl der Unfälle mit einem Pedelec, also einem E-Bike, zugenommen. Bei Fußgängern ist die Zahl der tödlich Verunglückten seit 2000 um fast 60 Prozent gesunken.
Neuer Bußgeldkatalog lässt auf sich warten
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sagte, der neue Bericht zeige, dass Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit wirkten. Aber jeder Verkehrstote sei einer zu viel. »Wir wollen vor allem noch mehr Schutz für Radfahrer und Fußgänger«, so Scheuer.
Eigentlich sollte dabei auch der neue Bußgeldkatalog helfen, er sah härtere Strafen für Autofahrer bei Verstößen vor, gerade um Radfahrer und Fußgänger besser zu schützen. Der Vollzug ist derzeit aber wegen eines Formfehlers außer Kraft gesetzt, Bund und Länder ringen seit Monaten um eine Lösung des Problems. DVR-Sprecherin Fohmann forderte dazu eine baldige Lösung. »Verstöße müssen angemessen sanktioniert werden, um Wirkung zu entfalten.«
Sie sieht jedoch auch die Länder in der Pflicht, die Einhaltung der Verkehrsregeln strenger zu kontrollieren und auf effektivere Methoden zu setzen. Vorbild sei hier Niedersachsen, das ein Streckenradar, die sogenannte Section Control, auf der B6 dauerhaft in Betrieb genommen habe.
ADAC fordert mehr und sicherere Radwege
Der ADAC forderte außerdem zusätzliche Radwege. Verkehrspräsident Hillebrand sagte, die Kommunen müssten auf den Boom des Radverkehrs und die Zunahme der Fahrradunfälle reagieren und die Infrastruktur ausbauen. »Wir benötigen mehr und vor allem sicherere Radwege.«
Außerdem müssten Unfallschwerpunkte auf Landstraßen zügig entschärft werden. Landstraßen seien die Schwachstelle im Straßennetz, dort würden knapp 60 Prozent aller Verkehrstoten registriert. Hier könnten beispielsweise Kurven durch Schutzplanken und Tempobegrenzungen entschärft werden, so Fohmann. Gleichzeitig könne die Gefahr von Überholunfällen durch wechselnde zusätzliche Fahrstreifen, sogenannte 2+1-Streifen, verringert werden. Hier sei Bayern ein gutes Vorbild. »Prinzipiell wissen die Länder, was zu tun ist«, sagte die DVR-Sprecherin. Entscheidend sei, dass die Maßnahmen nun auch umgesetzt würden.
Streitthema Tempolimit
Und dann ist da noch die Debatte über ein generelles Tempolimit etwa von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen. Laut Bericht gehört bei Alleinunfällen von Fahrzeugen »nicht angepasste Geschwindigkeit« zur häufigsten Unfallursache. Ein Tempolimit ist politisch seit Langem umstritten. Scheuer ist dagegen, die SPD dafür. Ihre Argumentation: ein Tempolimit verringere die Unfälle mit Todesfolge und spare CO₂.
Der Grünen-Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar sagte, es brauche eine Verkehrspolitik, die sich radikal am Wohl von Menschen orientiere. »Kinder, Senioren, Menschen zu Fuß und mit dem Fahrrad müssen angesichts der Unfallentwicklung dabei besonders geschützt werden.« Die wichtigste und einfachste Verkehrssicherheitsmaßnahme, die es überhaupt gebe, seien angemessene Tempolimits.