E-Mobilität Darum droht ein Job-Kahlschlag in der Autoindustrie

Die E-Mobilität könnte Zehntausende Arbeitsplätze kosten. Ein Auto-Experte erklärt, welche Teile bei E-Autos nicht mehr gebraucht werden – und was das für die Industrie bedeutet.
Ein Interview von Emil Nefzger
VW-Montageband für das E-Auto ID.3: E-Mobilität könnte Hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland kosten

VW-Montageband für das E-Auto ID.3: E-Mobilität könnte Hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland kosten

Foto: Jens Büttner/ picture alliance/ dpa

SPIEGEL: Herr Kipferler, beim Autogipfel befasst sich die Bundesregierung mit möglichen Arbeitsplatzverlusten in der Autobranche. Einer Studie der Neuen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) zufolge droht durch den Umstieg auf Elektroantriebe bis 2030 der Wegfall von 410.000 Arbeitsplätzen. Wieso könnten in der Autoindustrie so viele Arbeitsplätze wegfallen?

Kipferler: Man muss das präzisieren: Zwei Drittel der 410.000 in der Studie genannten Arbeitsplätze fallen allein durch Produktivitätsgewinne weg, beispielsweise durch eine effizientere Fertigung. Dadurch werden weniger Arbeitskräfte benötigt. Das ist ein ganz normaler Prozess, der in der Industrie seit Jahrzehnten stattfindet. Toyota steigert seine Produktivität jedes Jahr um vier bis sechs Prozent, von 1000 Arbeitskräften werden am Ende des Jahres also nur noch 940 benötigt. Dieser Effekt wurde im vergangenen Jahrzehnt jedoch vom Wachstum der Autoindustrie überdeckt. Dadurch wurden die Menschen nicht entlassen, sondern an anderer Stelle eingesetzt.

SPIEGEL: Das wird im kommenden Jahrzehnt aber nicht passieren?

Kipferler: Nein, denn die Märkte haben ihren Höhepunkt erreicht und werden stagnieren, auch in China und den USA. Bei rund sechs Millionen Beschäftigten und einem Zeitraum von zehn Jahren gehen dann viele Arbeitsplätze verloren. Das geschieht aber nicht über Nacht, sondern schrittweise. Auf das Konto der Elektromobilität geht der Studie zufolge dagegen nur rund ein Drittel der Arbeitsplätze.

SPIEGEL: Das wären immerhin rund 137.000 Stellen. Warum kosten E-Autos Arbeitsplätze?

Kipferler: Der Bau eines Batterieautos ist teurer, aber technisch einfacher als der eines Verbrenners. In dessen Antriebsstrang stecken 2000 bis 4000 bewegliche Teile, in dem eines Elektroautos dagegen nur rund 300. Alleine in der Produktion des Antriebsstrangs braucht man deshalb künftig deutlich weniger Personal. Lager, Bolzen, Schläuche und Pumpen, die in einem Verbrennungsmotor stecken, finden keine Verwendung mehr.

SPIEGEL: Welche Teile werden neben Lagern, Kolben und Zündkerzen wegfallen?

Kipferler: Ein Elektroauto hat im Normalfall einen oder zwei Vorwärtsgänge und einen Rückwärtsgang. Da braucht man deutlich weniger Zahnräder als bei einem Verbrenner mit bis zu zehn Gängen. Das kostet natürlich Arbeitsplätze bei Zulieferern, da Getriebehersteller Wertschöpfung und technologische Alleinstellungsmerkmale verlieren. Es fallen jedoch auch Teile weg, mit denen man nicht unbedingt rechnet. Der gesamte Heizapparat wird künftig nicht mehr aus Abwärme gespeist, sondern elektrisch. Dadurch wird das herkömmliche System überflüssig.

SPIEGEL: Welche Teile sorgen für die größten Verluste an Arbeitsplätzen?

Kipferler: Das genau zu beziffern, ist extrem schwierig. Denn gerade teure Teile wie Motoren und Getriebe werden hochautomatisiert produziert. In ihrer Fertigung arbeiten also relativ wenige Menschen, die aber viele Teile herstellen. Vielfach kann das Fachwissen der Autozulieferer jedoch für neue Produkte genutzt werden.

SPIEGEL: Aber wer beispielsweise Ölfilter produziert, wird wohl kaum zum Batteriehersteller.

Kipferler: Nein, die Hersteller von Ölfiltern haben ein echtes Problem, das lässt sich nicht leugnen. Solche hoch spezialisierten Firmen sind bedroht, wie zum Beispiel auch reine Auspuffhersteller. Vielen Zulieferern eröffnen sich dagegen neue Chancen. Wer Zylinderköpfe baut, besitzt unglaublich viel Know-how in der präzisen Metallverarbeitung. Das braucht man zum Beispiel für die Hüllen von Batteriepaketen. Diese Firmen haben oft auch viel Erfahrung mit weichen Metallen wie Kupfer, die sie auf die Produktion von Teilen für Elektromotoren transferieren können. Dadurch können viele Arbeitsplätze in der Produktion erhalten werden. Batteriepakete müssen außerdem gekühlt werden, brauchen also ein Temperaturmanagement. Hersteller von Leichtmetalldruckguss haben früher Getriebegehäuse produziert und stellen künftig eben Hüllen für E-Komponenten her. Das Know-how der Industrie ist nicht von heute auf morgen wertlos.

SPIEGEL: Was können Firmen tun, deren Wissen bei einem E-Auto nicht mehr gebraucht wird, um Arbeitsplätze zu sichern?

Kipferler: Neue Geschäftsfelder erschließen. Webasto, bekannt für Standheizungen und Kühler, ist bereits in die Produktion von Ladesystemen eingestiegen. Das gleiche gilt für ZF. Statt Zahnräder zu bauen hat ZF konsequent in die Entwicklung von Elektroantrieben und Sensoren für das autonome Fahren investiert, um künftige Verluste ausbalancieren zu können. Außerdem lässt man einen Faktor oft außer Acht: Viele Teile wie Stellmotoren machen Geräusche, die in E-Autos plötzlich hörbar werden. Die Komponenten müssen künftig also aufwendiger konstruiert und bearbeitet werden, damit sie leiser sind. Diese hochwertigen Teile können Arbeitsplätze sichern - sofern sie in Deutschland produziert werden.

SPIEGEL: Elektromobilität steht und fällt mit dem Angebot an guten Batterien. Kann die Produktion von Batteriezellen hierzulande die entstehenden Verluste ausgleichen?

Kipferler: Teilweise. Die Akkuproduktion ist vor allem durch die Wertschöpfung attraktiv. Man ersetzt einen 1500 Euro teuren Verbrenner-Antriebsstrang durch eine 8000 Euro teure Batterie. Es geht hier aber um ein ganz anderes Know-how und unglaublich große Investitionen, eine Batteriefabrik kostet rund zwei Milliarden Euro. Und die Produktion ist extrem automatisiert, man gewinnt hier also kaum Arbeitsplätze. Ob in Deutschland Batteriezellen hergestellt werden, wird trotzdem entscheidend sein, da die Batterie das teuerste Teil eines E-Autos ist. Und die Zellproduktion schafft nachgelagerte Arbeitsplätze, zum Beispiel durch den Zusammenbau der Batteriepakete. Auch durch das Recycling der Batterien werden viele Arbeitsplätze entstehen, aber erst um das Jahr 2030. Das hilft allerdings niemandem, der 2025 seinen Job in der Auspufffertigung verliert.

SPIEGEL: Bislang dominieren China und Südkorea den Batteriemarkt. Kann Deutschland trotz hoher Lohnkosten zum Batterieland werden?

Kipferler: Ja, denn bei einer Batteriezelle macht das Material die Hälfte der Kosten aus, bei einem Verbrennungsmotor dagegen nur rund 20 Prozent. Durch die hohen Materialkosten und die große Automatisierung sind die Löhne hier weniger entscheidend. Außerdem ist es leichter, die ungefährlichen Rohmaterialien zu verschiffen als fertige Batterien. Und einen 8000 Euro teuren Akku will kein Hersteller mehrere Wochen per Schiff transportieren, sondern nach Möglichkeit direkt in ein Auto einbauen - alles andere wäre teuer und ineffizient. Gute Argumente für eine Akkufertigung in Deutschland.

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