Elektroautos »Woher das Lithium für alle Batteriezellen kommen soll, ist mir nicht klar«

Raus aus dem Verbrennungsmotor, schnell – so schallt es vor dem Autogipfel der Industrie entgegen. Die setzt massiv auf den Akkuantrieb, doch Berater Wolfgang Bernhart warnt: Elektroautos haben ein Rohstoffproblem.
Ein Interview von Michael Freitag, manager magazin
Im Salzsee Salar de Uyuni in Bolivien lagern die größten Lithiumreserven der Welt: »Recycling wird große Fortschritte machen – aber nicht ausreichen«, glaubt Experte Wolfgang Bernhart

Im Salzsee Salar de Uyuni in Bolivien lagern die größten Lithiumreserven der Welt: »Recycling wird große Fortschritte machen – aber nicht ausreichen«, glaubt Experte Wolfgang Bernhart

Foto: O Neil Castro / Design Pics / imago images

manager magazin: Herr Bernhart, wir erleben gerade die große Elektroeuphorie. In Deutschland liegt der Elektroanteil an den verkauften Autos aktuell bei rund zehn Prozent. Die Hersteller überschlagen sich mit Versprechen, wie schnell sie Benziner und Diesel durch die Batterie ersetzen werden. Wie nachhaltig ist dieser Trend?

Wolfgang Bernhart: Der Trend wird bleiben. Plug-in-Hybride inklusive sind es ja in Deutschland schon 20 Prozent. Elektroautos werden billiger werden, die Kunden werden irgendwann auch ohne staatliche Förderung kaufen, und die Hersteller werden ihre Pläne weiter beschleunigen. Aber die angekündigten Elektroanteile sind schon sehr ambitioniert.

manager magazin: VW plant für 2030 Richtung 70 Prozent elektrisch, zumindest in Europa. BMW strebt einen Elektroanteil von 50 Prozent an, andere Marken – etwa Jaguar – soll es dann nur noch elektrisch geben. Werden die Kunden dem Verbrenner wirklich so schnell abschwören?

Bernhart: Das ist sehr schwer einzuschätzen und hängt von vielen Faktoren ab. Das angepeilte Tempo des Technologiewechsels ist so hoch, dass es immer wieder Probleme geben wird. Aber eins ist klar: Wenn die Hersteller ihre CO2-Ziele in Europa erfüllen wollen, müssen sie auf Elektroanteile in Richtung 50 Prozent kommen.

manager magazin: Wo sehen Sie die Probleme? Bislang sorgt vor allem die schleppende Versorgung mit Batterien immer wieder für lange Wartezeiten. Volkswagen hat jetzt angekündigt, bis 2030 ein Netz von sechs Gigafabriken für Batteriezellen in Europa aufzubauen.

Bernhart: Nur wer die Versorgung mit Batteriezellen vernünftig absichert, wird die nötigen Absatzzahlen liefern können. Egal, ob er sich dabei mit Partnern verbündet oder die Sache allein angeht. Von daher: Es ist genau richtig, ein solches Netz aufzubauen. Aber noch gibt es diese Werke nicht. Wenn die Nachfrage weiter rasch steigt, wird es wieder Engpässe geben. Das gilt für die nötigen Experten, die die Werke zum Laufen bringen müssen. Das gilt für die nötigen Maschinen. Das gilt aber ganz besonders für die Rohstoffe, die Sie für die Batteriezellen benötigen.

manager magazin: Alle Autohersteller versichern, dass sie das Thema Rohstoffe im Blick haben.

Bernhart: Das haben sie sicher auch, zumindest die meisten. Aber sie haben es noch nicht gelöst. Für 2030 sind weltweit Batteriezellenwerke mit mehr als 2000 Gigawattstunden Kapazität angekündigt. Woher zum Beispiel das Lithium für all diese Batteriezellen kommen soll, ist mir nicht klar.

manager magazin: Es werden aktuell neue Minen erschlossen, das Recycling macht Fortschritte...

Bernhart: Recycling wird große Fortschritte bringen, das stimmt. Aber das wird nicht ausreichen, die nötigen Mengen Lithium zu produzieren. Nehmen Sie ein anderes Beispiel: Kupfer. Davon werden wir künftig wahrscheinlich zwei bis drei Millionen Tonnen zusätzlich benötigen, wenn die Elektromobilität sich so durchsetzt wie von den Herstellern angekündigt.

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Index Elektromobilität: Die neue deutsche Stärke

manager magazin: Wo wird das Kupfer eingesetzt?

Bernhart: Unter anderem für die Elektromotoren und die Batterien, aber auch für Windkraftanlagen zur Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien. Da kommen Sie mit heute einer Million Tonnen an recyceltem Kupfer nicht weit. Und der Kupferpreis steigt bereits deutlich, genau so übrigens der Preis für das für Batteriezellen benötigte Lithium.

manager magazin: Der Lithiumabbau wird sogar in Spanien und Deutschland geprüft. Reicht das nicht?

Bernhart: Bei den meisten Lithiumminen, die gerade erschlossen werden, sind weder die Mengen an Lithium klar, die dort gefördert werden könnten, noch ist klar, ob der Abbau zu vernünftigen Kosten möglich ist. Und das gilt genau so für andere Rohstoffe; auch bei Nickel wird es gewaltige Engpässe geben.

manager magazin: Was ist der Schluss daraus? Elektromobilität funktioniert gar nicht wie geplant?

Bernhart: Der Schluss daraus ist, dass die Hersteller das Thema ganzheitlich angehen müssen, und das zügig. Ansonsten werden sie sehr schnell sehr abhängig.

manager magazin: Zum Beispiel BMW und Volkswagen betonen, dass sie längst ganzheitlich denken, vom Rohstoff bis zum Recycling. Volkswagen will sich so unabhängiger machen von den großen koreanischen und chinesischen Zellherstellern. Glauben Sie nicht daran?

Bernhart: Doch, das ist der richtige Weg. Er muss nur sehr schnell umgesetzt werden. Chinesische und koreanische Zellhersteller wollen in Indonesien massiv investieren, um dort eine komplette Wertschöpfungskette für Zellmaterial aufzubauen.

manager magazin: Die deutsche BASF, die im großen Stil Kathodenmaterial für Batteriezellen herstellt und zum Beispiel im brandenburgischen Schwarzheide eine Produktion aufbaut, plant mit einer Tochtergesellschaft Ähnliches.

Bernhart: Ja, da passiert schon einiges; und da darf man als Autohersteller den Zug nicht verpassen. Die Unternehmen müssen wirklich die komplette Lieferkette absichern; sonst bekommen sie ein Problem.

manager magazin: Als großer Treiber der Elektromobilität galt immer China, war das etwas voreilig? Die Prognosen dort liegen inzwischen bei einem Elektroanteil von rund 15 Prozent für 2025; für Europa wird mehr erwartet.

Bernhart: Das war nicht voreilig. Auch in Europa müssen die prognostizierten Zahlen erst einmal erreicht werden. Und vergessen Sie nicht, dass die chinesische Regierung mehrgleisig fährt. Deren Elektrooffensive gilt vor allem für die besonders stark von Stickoxidemissionen betroffenen Großstädte. Aber den Verkauf von Verbrennern wird man dort nicht stoppen. Die chinesischen Hersteller sollen diese Autos ja auch weiter in Schwellenländer exportieren.

manager magazin: Manche Beobachter erwarten bereits, dass die chinesische Regierung umschwenkt; zurück zum Verbrenner und hin zur Brennstoffzelle.

Bernhart: Das glaube ich nicht. Die Politik dort wird ihren Kurs nicht gravierend ändern in den nächsten Jahren. Sie hat auch keinen Grund dazu. In China werden weiter mit Abstand die meisten Elektroautos gebaut und verkauft, die chinesischen Hersteller sind mit ihren Elektromodellen konkurrenzfähiger als mit den Verbrennern. Und die Brennstoffzelle wird dort zunächst für Nutzfahrzeuge getestet werden; genau wie in Europa auch.

manager magazin: In Ihrem Index Elektromobilität bewerten Sie die chinesische Industrie in Sachen Technologie auf Rang zwei; noch vor den USA mit Tesla, noch vor Deutschland mit Volkswagen, BMW und BASF. Woher kommt diese hohe Einschätzung?

Bernhart: Wir orientieren uns da an »Value for Money«; wer bietet bezahlbare Technik. Und da sind die chinesischen Auto- und Zellhersteller weiter, als viele denken.

manager magazin: Ein ordentliches Preis-Leistungs-Verhältnis konnten die europäischen Autohersteller im vergangenen Jahr auch bieten. Auch dank der staatlichen Subventionen in vielen Ländern haben sie die CO2-Ziele der Europäischen Union erreicht. Wird das 2021 wieder gelingen?

Bernhart: Ich denke schon. 2020 hat natürlich geholfen, dass viele Elektroautos schon vor Ausbruch der Pandemie bestellt waren; und dass der Anteil von rein elektrischen Modellen und Plug-in-Hybriden auch durch den Einbruch bei den Verbrennern erhöht wurde.

manager magazin: Den Effekt dürfte es so nicht noch einmal geben; und die EU-Ziele sind 2021 noch einmal ein wenig schärfer.

Bernhart: Aber es kommen weiter viele elektrische Fahrzeuge neu auf den Markt; auch die Reichweiten der Autos steigen. Solange es nicht zu massiven Produktionsproblemen kommt oder wieder einmal Batteriezellen fehlen, sollten die CO2-Ziele für die meisten Hersteller 2021 kein Problem werden.

manager magazin: Sie beobachten den Markt für Elektromobilität jetzt seit mehr als einem Jahrzehnt, stellen auch Ihren Index regelmäßig vor. Was war die größte Überraschung in dieser Zeit? Der schnelle plötzliche Aufschwung zuletzt?

Bernhart: Nein, die größte Überraschung war für mich, wie schnell die Batterien billiger wurden. Die kosteten vor zehn Jahren noch an die 1000 Euro pro Kilowattstunde. Dass der Preis schnell sinken wird, war klar. Aber dass wir unter 100 Euro kommen, hätte ich vor einigen Jahren nicht gedacht.

manager magazin: Und jetzt ist von 50 bis 60 Euro pro Kilowattstunde in den nächsten Jahren die Rede. Halten Sie das für realistisch?

Bernhart: Ja, wenn die Zellchemie auf Lithium-Eisenphosphat wechselt, wird das möglich sein. Und dann werden auch die Autos noch einmal günstiger. Immer ausgeblendet natürlich die große Unbekannte: der Preisanstieg bei den Rohstoffen.

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