Energieversorgung Brauchen wir Atomstrom für unsere Elektroautos?

E-Autos boomen – doch wo soll all der Strom für sie herkommen? Experte Ferdinand Dudenhöffer bringt den Bau neuer Kernkraftwerke ins Spiel. Doch seine Rechnung beinhaltet einige fragwürdige Annahmen.
Reicht Grünstrom für E-Autos? Nein, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer

Reicht Grünstrom für E-Autos? Nein, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer

Foto: Julian Stratenschulte / dpa

Es ist eine These mit Aufregungspotenzial: Um die E-Mobilität wie von SPD, Grünen und FDP vereinbart auszubauen, ist nach Berechnungen des Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer eine Rückkehr zum Atomstrom in Deutschland unvermeidbar. »Wenn wir die Elektromobilität in Deutschland wirklich ernst nehmen, dürfen wir auf Kernkraftwerke nicht verzichten«, zitierte die »Augsburger Allgemeine«  den Chef des privaten Center Automotive Research (CAR). Der Autofachmann hat dazu ein Strategiepapier verfasst, das auch dem SPIEGEL vorliegt.

»Um die Elektroautos des Jahres 2050 am Laufen zu halten, bräuchten wir 39.000 zusätzliche Windenergieanlagen im Vergleich zu heute«, rechnet Dudenhöffer vor. Das sei nicht machbar. Der einzige Ausweg sei deshalb der Neubau von Kernkraftwerken, die heute viel sicherer seien als früher. Auch der Atommüll lasse sich inzwischen besser wieder aufarbeiten.

Das kann man als Wette auf die Zukunft lesen – jedenfalls ist es eine steile These. Tatsächlich plagen neue Kernkraftprojekte in anderen Ländern ganz grundsätzliche Probleme , vor allem ewige Bauzeiten und rasant steigende Kosten. Und die Frage des Umgangs mit dem strahlenden Abfall ist de facto nirgends befriedigend geklärt.

Auf EU-Ebene wird gerade gestritten, ob Atomkraft künftig als nachhaltige Energieform eingestuft werden soll. Die Ampelparteien halten in ihrem Koalitionsvertrag am Atomausstieg fest. Gleichzeitig haben sie das Ziel ausgegeben, dass bis 2030 »mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw« auf Deutschlands Straßen rollen sollen. Derzeit sind nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes knapp 310.000 dieser Fahrzeuge zugelassen.

Braucht es für das rasante Wachstum nun womöglich wirklich Atomstrom? Dudenhöffers Rechnung weist zumindest einige problematische Punkte auf, die an dieser Schlussfolgerung zweifeln lassen: Der Experte führt etwa eine Prognose des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI an, in der für das Jahr 2030 ein zusätzlicher jährlicher Strombedarf von 44 Terawattstunden (TWh) für den Pkw-Verkehr in Deutschland bis zum Jahre 2030 ermittelt wird. Dieser Wert ist aus seiner Sicht deutlich zu niedrig, der Bedarf sei in Wahrheit dreimal so hoch.

Als Beleg für seine These nutzt Dudenhöffer aber eine Berechnung für 2050, also 20 Jahre später. Erst dann sei die dreifache Menge Strom erforderlich. Der Vergleich passt also nicht – auch wenn es sinnvoll ist, folgende Jahrzehnte in den Blick zu nehmen.

Offshore-Windkraft fehlt in der Betrachtung

Schwierig ist auch eine Aussage zu den vermeintlich zusätzlich nötigen Windrädern: Um auf die Zahl von 39.000 erforderlichen Windenergieanlagen zu kommen, rechnet der Experte mit den Onshore-Rotoren von heute. Diese leisten aktuell im Schnitt rund 1,9 Megawatt  pro Anlage. Sie kommt auch dadurch zustande, dass in die Berechnungen leistungsschwache Alt-Anlagen eingehen, die aber laufend gegen deutlich kraftvollere Aggregate ausgetauscht werden.

Neue Windkraftanlagen verfügen im Schnitt über eine Leistung von 4 Megawatt . Allein wenn man diese Zahl berücksichtigt, würde sich die Zahl der zusätzlich benötigten Windräder halbieren – ohne zu berücksichtigen, dass neue Anlagen effizienter arbeiten und künftig vermutlich noch leistungsstärker werden.

Während Dudenhöffer also bei Atomkraft auf technische Fortschritte verweist (»Forschung und Innovationen lassen Kernkraftwerke in neuem Licht erscheinen«), berücksichtigt er eine analoge Entwicklung bei der Windkraft nicht. Dazu kommt: Offshore-Windkraft kommt in den Berechnungen gar nicht vor. Hier sieht der Koalitionsvertrag das – sehr ambitionierte – Ziel von 30 Gigawatt installierter Leistung bis zum Jahr 2030 vor. Zur Einordnung: Bisher gibt es 7,7 Gigawatt .

Immer auf dem Laufenden bleiben?

Fahrberichte, Analysen, aktuelle Nachrichten: So verpassen Sie keine Artikel aus der Rubrik Mobilität des SPIEGEL.

So aktivieren Sie Ihre Benachrichtigungen

Nimmt man aber einmal an, dass dieses Ziel tatsächlich erreicht wird, lässt sich folgende Überschlagsrechnung anstellen: Bei einer angenommenen Laufzeit der Anlagen von jeweils 3000 Stunden pro Jahr  – eine sehr konservative Annahme – kommen insgesamt 65 Terawattstunden durch die zusätzlichen Offshoreanlagen zusammen. Das heißt, in diesem Szenario könnte allein die Meereswindkraft den Strombedarf der Elektromobilität im Jahr decken.

Auf ein grundsätzliches Problem weist Dudenhöffers Studie allerdings hin: Ganz generell wird der Strombedarf in Deutschland deutlich steigen. Auch Industrie und Wohnungen werden künftig verstärkt auf klimaneutral erzeugten Strom angewiesen sein – etwa, um chemische Produkte ohne Erdgas herzustellen oder zum Heizen. Zahlreiche Untersuchungen gehen davon aus, dass Deutschland Strom auch importieren muss. Doch angesichts niedriger Herstellungskosten  für Ökostrom dürften weder im Inland noch im Ausland dazu Atomkraftwerke nötig sein.

Mit Material von Reuters
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren