Autoantrieb Warum der Verbrennungsmotor schneller am Ende ist, als viele denken

Verschrottete Autos: Kommt das Ende des Verbrennungsmotors schneller als gedacht? (Symbolbild)
Foto: stockstudioX / iStockphoto / Getty ImagesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Diesel, Benz, Käfer und auch Trabant – der Personenkraftwagen mit Verbrennungsmotor ist ein wichtiger Bestandteil deutschen Selbstbewusstseins. Er ist Sinnbild für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, die Freiheit, einfach einzusteigen und loszufahren – und Gegenstand hitziger Diskussionen. Egal ob Tempolimit , Diesel-Fahrverbote oder der Wegfall von Pkw-Fahrstreifen zugunsten des Radverkehrs, fast jeder Bürger hat eine Meinung zum Pkw. Und diese Diskussion dürfte in den nächsten Jahren noch hitziger werden.

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Denn der Abschied vom Verbrenner hat bereits begonnen. Zwar hat Deutschland – immerhin Europameister in der Autoproduktion – kein festes Ausstiegsdatum für Diesel und Benziner. Doch kein Sektor hat beim Klimaschutz mehr Nachholbedarf als der Verkehr . 2020 fielen hier 146 Millionen Tonnen CO₂ an, dieser Wert soll dem Entwurf für das neue Klimaschutzgesetz zufolge bis 2030 um 43 Prozent sinken. 2045 sollen die deutschen Treibhausgasemissionen auf null sinken.
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Verbrenner nur noch als Liebhaberobjekt
Das Gesetz könnte für ein baldiges Ende für Neuzulassungen von Pkw mit Benzin- oder Dieselmotoren sorgen – und den ohnehin schon vorhandenen Elektroboom weiter befeuern. Denn die Lebensdauer eines durchschnittlichen Pkw liege in Deutschland bei rund 15 Jahren, erklärt Jens Burchardt, Klimaexperte bei der Boston Consulting Group (BCG). »Wenn man 2045 einen CO2-neutralen Fahrzeugbestand braucht, müssen deswegen schon 2030 Neuwagen im Wesentlichen vollelektrifiziert sein, von einzelnen Liebhaberfahrzeugen vielleicht abgesehen«, so Burchardt.
Von Ausnahmen wie dem Porsche 911 oder Supersportwagen von Ferrari wäre der Verbrenner dann bereits in neun Jahren bei Neuwagen Geschichte. Und das ganz ohne offiziell verkündetes Ausstiegsdatum, wie es andere Länder bereits beschlossen haben. So hat beispielsweise Spanien, bei der Zahl produzierter Autos immerhin Europas Nummer zwei, Benziner und Diesel mit einem Ablaufdatum versehen, ab 2050 sollen Verbrenner dort nicht mehr fahren dürfen.
Zeitraum bis 2030 wird zum Problem
Deutschland wählt dagegen einen leisen Abschied ohne Termin. Auch die Umweltorganisation Transport & Environment sieht im Gesetz den letzten Sargnagel für Benziner und Diesel, erklärt Deutschland-Direktor Stef Cornelis. »Das neue Klimagesetz bedeutet in der Theorie einen Verbrennerausstieg spätestens 2035, eher früher.«
Die tatsächliche Herausforderung ist jedoch nicht das Verfallsdatum, sondern der Weg dahin. Und der beginnt in der Produktplanung der Autoindustrie spätestens jetzt – mit allen Unsicherheiten über die beste Alternative zu Diesel- und Ottomotoren.
Kein festes, finales Enddatum für den Verbrennungsmotor ergibt sich auch für Eric Heymann, Ökonom bei der Deutschen Bank, aus den neuen Klimazielen. »In zehn Jahren könnte sich abzeichnen, ob man ihn im Pkw-Bereich noch braucht und für welche Anwendungen«, so Heymann.
Viel bedeutender seien Einschnitte in der nahen Zukunft. »Es geht weniger um Einschränkungen im Jahr 2045, sondern schon bis zum Jahr 2030«, so Heymann. Um die Ziele zu erreichen, warnt der Ökonom, »müsste der Staat individuelle Mobilität stark verteuern oder mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen massiv einschränken.«
E-Autos allein reichen nicht
Denn das Ziel, die Emissionen in diesem Sektor um 43 Prozent zu senken, ist ambitioniert. »Die neuen Klimaziele bedeuten, dass die CO2-Grenzwerte für Fahrzeuge bis 2030 um mindestens 50 Prozent sinken müssen«, rechnet Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung vor. Dazu sollte der Schienenverkehr massiv gefördert werden, die Ladeinfrastruktur ausgebaut aber auch die Digitalisierung vorangebracht werden. Gleichzeitig müsse die Anzahl der Autos in Städten erheblich verringert und der Autoverkehr insgesamt stärker vermieden oder auf die Schiene verlagert werden.
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Um derartige Eingriffe in die Mobilität der Menschen abzuschwächen, müssten noch schneller noch viel mehr E-Autos auf die Straßen kommen. Selbst wenn bereits 2025 mehr als die Hälfte der Neuzulassungen elektrisch fahre und die Neufahrzeugflotte in 2030 sehr weitgehend elektrifiziert wäre, »würde das immer noch nicht ausreichen, um das neue Sektorziel für 2030 zu erreichen«, sagt BCG-Experte Burchardt. Denn die derzeit umherfahrenden Diesel und Benziner verschwinden bis dahin kaum, im Gegenteil – der Durchschnitts-Pkw wird hierzulande immer älter.
Auch wenn 2030 nur noch vollelektrische Autos auf die Straßen kommen, müssten die Bürger insgesamt wohl weniger Auto fahren. »Um die Ziele zu erreichen, müsste die Gesellschaft ihr Verhalten im Verkehr massiv ändern«, erklärt Ökonom Heymann. Die dafür nötigen Maßnahmen wie zum Beispiel eine Maut, deutlich steigende Spritpreise oder ein Tempolimit , für das sich nun auch die SPD ausgesprochen hat, wären aber höchstwahrscheinlich mit erbittertem Widerstand einiger Autofahrer verbunden.
Was das bedeuten kann, ließ sich bereits in den vergangenen Wochen beobachten: Grünenkanzlerkandidatin Annalena Baerbock hatte das Ziel ihrer Partei wiederholt, den Benzinpreis in mehreren Schritten um 16 Cent zu erhöhen. Doch obwohl sich dieses Vorhaben weitgehend mit dem längst beschlossenen Plan der Großen Koalition deckt und dieser zum Teil bereits umgesetzt ist, kochte die Benzinwut hoch – angefacht von Politikern von Union, über die SPD bis hin zur Linken. Die alte Forderung der Grünen, das zusätzlich eingenommene Steuergeld vor allem an einkommensschwache Bürgern zu verteilen, ging völlig unter.
BCG-Klimaexperte Burchardt sieht eine grundsätzliche Alternative zu Fahrbeschränkungen und höheren Preisen. Man könne auch »erheblich mehr grüne Kraftstoffe in den Markt bringen.« Damit könnte das Klimagesetz den umstrittenen, mithilfe von Strom hergestellten Kraftstoffen, sogenannten E-Fuels, zu neuem Aufwind verhelfen. Bisher propagieren vor allem Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Lobbyorganisationen der Autoindustrie diese Technologie – dabei ist diese bei den E-Fuels gespalten. So plant beispielsweise Porsche mit den synthetischen Kraftstoffen, während der Mutterkonzern Volkswagen sie für »massiv überschätzt« hält und auf Batteriefahrzeuge setzt.
Batterieauto nicht mehr aufzuhalten
Bisher gibt es aber keine Produktion von E-Fuels in großem Stil, erst Mitte des Jahrzehnts starten größere Projekte – und auch die Herkunft des nötigen CO₂ ist umstritten. Zwar gilt das Abscheiden von CO₂ aus der Luft als klimafreundliche Option, Kohlenstoff für E-Fuels zu gewinnen, es verschlingt aber viel Energie. Gleichzeitig seien sie keine Alternative zur Elektrifizierung, warnt BCG-Experte Burchardt. »Wir brauchen sie aber, um bei den CO2-Emissionen im Transportsektor auf null zu kommen.« Das gelte ohnehin für Flugzeuge und Schiffe, aber auch für die verbliebenen Verbrenner im Fahrzeugbestand, wenn man die bis 2045 nicht einfach enteignen wolle.
Nicht mehr aufzuhalten zu sein scheint derweil das Batterieauto. Die Brennstoffzelle , neben den E-Fuels ein weiterer Hoffnungsträger von Batterieskeptikern, kann hier offenbar nicht mehr dazwischenfunken. So rechnet BCG-Experte Burchardt damit, dass sich das Batterieauto unabhängig vom regulatorischen Ansatz durchsetzt. Einmal, da ein Wasserstoff-Pkw pro Kilometer etwa das 2,5-Fache an Strom verbrauche – und derzeit viel mehr Geld in die Entwicklung der Batterietechnik fließe, gegenüber der Brennstoffzelle »mindestens im Verhältnis von 50:1«.
Wiederverkauf eines Verbrenners ab 2025 schwierig
Die Wahrscheinlichkeit, dass der nächste Neuwagen vieler Menschen ein E-Auto – oder zumindest der letzte Verbrenner – ist, steigt also. Denn beim Neukauf eines Verbrenners gerate ab 2025 der Wiederverkaufswert unter Druck, warnt BCG-Experte Burchardt. »Derzeit befürchten Menschen, dass sie ein E-Auto auf dem Gebrauchtmarkt schlechter loswerden als einen Verbrenner. Das wird sich umkehren.« Gleichzeitig werden die Batteriepreise weiter sinken und E-Autos auch beim Kaufpreis mit Verbrennern mithalten können. »Ab 2027 werden Elektroautos billiger sein als Verbrenner«, erklärt T&E-Direktor Cornelis, »damit hat sich die Frage nach einem Verbrennerausstieg bei Pkw zum Teil erledigt«.
Trotzdem werden viele Menschen den Abschied von ihrem geliebten Benziner oder Diesel vermutlich nicht einfach so hinnehmen wollen – während Lobbyisten der Autoindustrie versuchen werden, ihr derzeitiges Geschäftsmodell so lange wie möglich am Leben zu erhalten. »Die Vorgaben bergen eine enorme politische Sprengkraft«, ist sich Ökonom Heymann sicher. Eines scheint sicher: So leise, wie das langsame Aus des Verbrenners beschlossen wurde, werden sich Benziner und Diesel nicht verabschieden.