Wirrwarr um Plug-in-Hybride Wie Verkehrsminister Wissing das Koalitionsziel zu Elektroautos einkassiert

Abstimmungsbedarf: Bundesminister Robert Habeck (Wirtschaft und Klima, Grüne, l.) und Volker Wissing (Digitales und Verkehr, FDP)
Foto: Pool / Getty ImagesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Seine erste Rede als Verkehrsminister im Bundestag nutzte Volker Wissing für eine klare Botschaft: Liebe Deutsche, wenn ihr in den kommenden Jahren Autos kauft, dann bitte solche mit elektrischem Antrieb. Das sei »die kurzfristig verfügbare, klimaneutrale Mobilität im Individualverkehr«. Bestimmter Artikel: die. Nicht eine unter mehreren. »Da gibt es auch nichts mehr zu diskutieren oder abzuwarten«, gab der FDP-Politiker den Zweiflern mit, von denen es gerade in den eigenen Reihen viele gibt.

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Doch ganz so klar wie es anfangs schien, ist Wissings Bekenntnis nicht. Das zeigte sich am Streit um das Ziel der Ampelkoalition, dass bis 2030 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen fahren sollen.
Dabei kommt es ebenfalls auf die genaue Wortwahl an. Im Bundestag sprach Wissing von »mindestens 15 Millionen elektrischen Pkw bis 2030«. Zuvor hatte er in einem Interview mit dem »Tagesspiegel« dieselbe Zahl an Autos noch mit »vollelektrisch« etikettiert und somit Plug-in-Hybride ausgeschlossen, die auch über einen Verbrennungsmotor verfügen.
Was denn nun? Auf dem Energiegipfel des »Handelsblatts« wich der Minister der konkreten Nachfrage aus, sprach nur noch »idealerweise« von vollelektrischen Autos und ergänzte wolkig: »Wir sollten den Ehrgeiz haben, so viel Klimaschutz wie möglich zu betreiben«.
Auf Anfrage des SPIEGEL erklärt das Bundesverkehrsministerium, dass Wissings im Bundestag gewählte Formulierung gilt. »Ein Fokus auf rein elektrische Fahrzeuge ist unter Klimaschutzgesichtspunkten zweckmäßig«, heißt es in der Stellungnahme nur. Dazu zählten neben Autos mit Batterieantrieb auch welche mit Brennstoffzelle, die Wasserstoff verbrennt. Und »auch Plug-in-Hybridfahrzeuge«, die sich sowohl elektrisch als auch mit Benzin oder Diesel betreiben lassen, könnten »einen wertvollen Beitrag leisten«, einen hohen elektrischen Fahranteil und konsequente Nachladung vorausgesetzt. Das ist nicht anders zu verstehen als: die zählen auch noch mit.
So klingt das schon ganz anders als im Vertrag der Ampelkoalition, in dem es heißt: »Unser Ziel sind mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw bis 2030.« Vollelektrisch, das wird von Expertinnen und Experten einhellig als reiner Batterieantrieb ohne fossile Hilfe übersetzt. So sehen es die Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die mit einem Koalitionsvertragstracker verfolgen, was aus den Klimaversprechen der Ampel wird (im Ampelradar des SPIEGEL wird das Ziel bereits weich als 15 Millionen Elektroautos gefasst). Dies dürfte das erste Versprechen sein, von dem die Bundesregierung nach gut einem Monat im Amt schon wieder abrückt.
Mit halber Kraft voraus?
Aber was folgt daraus? Auf jeden Fall ist das weichere Ziel deutlich leichter zu erreichen. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland knapp 356.000 vollelektrische Pkw und gut 325.000 Plug-in-Hybride neu zugelassen (sowie ganze 464 Wasserstoffautos mit Brennstoffzelle). Sie alle werden nach bisheriger Definition als Elektroantriebe zusammengefasst, erkennbar am E-Kennzeichen auf dem Nummernschild. Der Bestand der Vollelektrischen wurde damit annähernd verdoppelt. Aber es macht schon einen Unterschied, ob er in den kommenden acht Jahren verfünfzehnfacht werden muss oder ob fast das halbe Tempo reicht.
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Der Verband der Automobilindustrie (VDA) ist über die niedrigere Hürde gar nicht böse. »Für das sehr ambitionierte Ziel müsste rechnerisch ab jetzt jedes zweite Auto ein E-Auto sein«, erklärt VDA-Präsidentin Hildegard Müller. »Die Autoindustrie kann diese Autos natürlich produzieren – der Kunde muss sie aber auch annehmen.« Der Erfolg stehe und falle aber mit dem Ausbau der Ladeinfrastruktur. Da ist sich die Industrie mit Wissing einig, der bereits erste Initiativen für deutlich mehr Ladepunkte angeschoben hat.
»Diese 15 Millionen waren von vornherein extrem ambitioniert«, sagt Verkehrsforscherin Barbara Lenz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Lenz leitete die Arbeitsgruppe »Alternative Antriebe und Kraftstoffe für nachhaltige Mobilität« der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität, die für die Große Koalition der vorigen Wahlperiode Pläne zur Verkehrswende entwarf. Noch Ende 2020 hatte die Plattform ein Ziel von zehn Millionen Elektroautos bis 2030 angepeilt, während die Beratungsfirma Deloitte nur 8,5 Millionen für realistisch hielt. Bis Juni 2021 wurden daraus in Lenz' Arbeitsgruppe 14 Millionen, diese Zahl kam im Oktober auch in den Abschlussbericht. Darin waren Plug-in-Hybride eingerechnet, und damit wäre der Sprung zu Wissings neuem Ziel nicht ganz so groß.
Eingeständnis an die Realität
So gesehen könnte Wissings Zurückrudern einfach ein Eingeständnis an die Realität sein. Der Wille zur Wende ist da, aber auch die Angst vor der Größe der Aufgabe.
Was realistisch ist und was nicht, hängt weniger an der Technik als am Markt. Norwegen schaffte 2021 schon einen Marktanteil von 86 Prozent für Elektroautos insgesamt, davon 64,5 Prozent mit reinem Batterieantrieb. In Deutschland lag der Anteil reiner E-Autos 2021 bei 13,6 Prozent. Das Elektro-Dorado im Norden hat aber auch schon eine jahrelange Umstellung hinter sich. In Deutschland beginnt sich die E-Technik gerade erst zu etablieren, die Kaufprämien der Bundesregierung spielen dabei eine große Rolle.
»Es ist ja auch noch nicht ganz klar, wie gut der Gebrauchtwagenmarkt bei E-Fahrzeugen funktionieren wird«, sagt Lenz. Aktuell sieht es da mies aus. Die meisten Neuzulassungen aber entfallen auf Dienstwagen, und die werden nicht so lange gefahren. Private Autokäufer greifen eher zu günstig angebotenen Gebrauchten. Selbst wenn Jahr für Jahr knapp zwei Millionen elektrische Neuwagen hinzukämen, ließen diese sich nicht einfach auf einen Bestand von 15 Millionen addieren. Denn ins Ausland verkaufte oder stillgelegte Autos sind abzuziehen.
Plug-in-Hybride sind umstritten , weil sie wegen der doppelten Antriebstechnik weniger effizient sind als reine Batteriefahrzeuge. In der Realität werden sie zum Großteil mit Benzin oder Diesel betrieben, eine staatliche Förderung für Elektroautos nehmen Käufer aber mit. Die Ampelkoalition will zumindest Kaufprämien für Hybride auslaufen lassen und Steuervorteile in Zukunft daran knüpfen, dass sie zumeist elektrisch gefahren werden.
»Plug-in-Hybride sind für den erfolgreichen Hochlauf der E-Mobilität essenziell«, bekräftigt VDA-Präsidentin Müller. Die Freiheit, im Zweifel auch ohne Ladesäule auszukommen, vereinfache den Umstieg für viele Menschen. »Plug-in-Hybride reduzieren die Hemmschwelle«, so sieht es auch Wissings Haus.
Robert Habeck rechnet anders
Mit einem Beitrag der Plug-in-Hybride zur Antriebswende rechnet auch Wissings Amtskollege Robert Habeck (Grüne) vom Wirtschafts- und Klimaministerium – aber zusätzlich zu den 15 Millionen Batterie-Pkw. In Habecks klimapolitischer Eröffnungsbilanz sind drei verschiedene Szenarien dargestellt, in welchen Schritten das 15-Millionen-Ziel, hier als »vollelektrisch« definiert, zu erreichen sei. Solche Pläne machen den Erfolg der Regierung messbar. Wissing hat dergleichen noch nicht vorgelegt.
Auch Habecks Ministerium räumt ein: »Noch existieren nicht die notwendigen Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen.« Die müssten aber her, damit im Jahr 2030 mehr als 40 Prozent der Autofahrten elektrisch sind. Auch das würde nur reichen, um die »Klimaschutzlücke« im Verkehrssektor etwa zur Hälfte zu schließen.
»Natürlich ist das ambitioniert«, kommentiert der Grünen-Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar das 15-Millionen-Ziel. Entscheidend sei für ihn, »dass keine Verbrenner gefördert werden«. Auf die genaue Definition, ob voll- oder allgemein elektrisch, komme es nicht so sehr an. »Aber wenn man da Abstriche macht, muss man im gleichen Atemzug erklären, an welcher Stelle die CO2-Reduktion erreicht wird.« Das Ziel 2030 werde so oder so »nur mit klaren Signalen« erreicht.
Das Verkehrsministerium erklärt, aktuell liefen noch Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung, wie die Klimaziele im Verkehr zu erreichen seien. Auch die E-Fuels, denen Wissing selbst schon eine klare Absage erteilt zu haben schien, kommen in der Stellungnahme des Ministeriums wieder zum Vorschein. Die strombasierten Benzin- und Dieselimitate würden für den Klimaschutz gebraucht: für Schiffe und Flugzeuge, im Schwerlastverkehr »und natürlich auch in den Bestandsflotten der Pkw«.
Es bleibt der Eindruck, dass die Ampelkoalition noch das eine oder andere Rätsel zu lösen hat, das der Verkehrsminister in die Welt gebracht hat. Wissing selbst ist offenbar schon etwas genervt von Reaktionen auf seine oft missverständlichen Vorstöße. Er wünsche sich »etwas ganz Grundsätzliches«, sagte er im Bundestag. »Mehr Verständnis für die Bedürfnisse und die Sichtweisen des anderen, etwas weniger Bereitschaft, sich sofort und ständig zu empören.«