
BMW XM: Jetzt kommt’s dicke
Autogramm: BMW XM Ein Auto wie ein Mittelfinger
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Der erste Eindruck: Schau! Mich! An! Der XM ist ein SUV der kolossalen Sorte. Und als wären das gewaltige Format und vor allem das unkonventionelle Heck nicht auffällig genug, trägt der Testwagen noch goldenes Ornat und einen beleuchteten Kühlergrill. So schreit das Auto förmlich nach Aufmerksamkeit. Wer es etwas unauffälliger mag, fährt besser Konkurrenten – wie einen Lamborghini Urus oder einen Bentley Bentayga, die gegen den BMW ziemlich unscheinbar wirken.
Das sagt der Hersteller: »Rockstar« – so lautete der interne Codename für den XM, verrät Dirk Häcker, Entwicklungschef der M GmbH. Tatsächlich zielen die Bayern mit dem Trumm auf Showstars, Musiker oder Fußballer. Zudem soll das Auto selbst ein »Performer« in jeder Hinsicht werden – und dazu gehören viele Pferdestärken und vor allem jede Menge Präsenz.
Den öffentlichen Gegenwind für ein solches Modell haben die Bayern einkalkuliert, wie die Entwickler schon bei Testfahrten mit dem Prototyp einräumten. Der Wirbel passt ihnen durchaus ins Konzept, schließlich bringt er zunächst einmal Aufmerksamkeit. Zudem ist das Auto – genau wie der ähnlich lautstark kritisierte Siebener – nicht für den europäischen Geschmack gemacht, sondern vor allem für Amerika und China. Dort trage die Kundschaft den Pelz noch sehr gern nach außen, sagt Häcker. Seine Kollegen schätzen den europäischen Verkaufsanteil auf einen maximal einstelligen Prozentwert.
Auch manche europäischen Kunden mag es reizen, mit dem XM gezielt zu provozieren: Das neue Flaggschiff der M GmbH ist die automobile Entsprechung zum ausgestreckten Mittelfinger, wie es vor 15 Jahren der erste massige X6 war. Es geht um die unmissverständliche Botschaft, dass man sich so einen Geschmack leisten kann – finanziell, aber auch gesellschaftlich.
Denn politisch korrekt ist so ein Auto natürlich nicht – wenngleich Häcker den erstmals bei einem M-Modell verbauten Plug-in-Hybridantrieb als wichtigen Schritt auf dem Weg zur Elektrifizierung der M GmbH preist. Letztlich geht es ohnehin ums Geld: Dass BMW zuletzt 18,6 Milliarden Euro Gewinn eingestrichen hat, dürfte viel mit dem Krawallkurs der Münchner zu tun haben.
Das ist uns aufgefallen: Laut, bretthart, polternd – auf den ersten Meilen wirkt der XM schier unfahrbar. Zumindest wenn er mit den riesigen 23-Zoll-Rädern bestückt ist, über die nur noch eine dünne Gummipelle passt; von Reifen kann kaum noch die Rede sein.
An dem ersten Eindruck ändert sich auch auf den nächsten tausend Meilen über amerikanische Highways wenig. Es hilft kaum, den Weg durch die verschachtelten Menüs des mächtig überladenen Bediensystems zu finden und das elektronisch geregelte Fahrwerk in die sanfteste Einstellung zu bringen. Und bevor man sich an der mit 653 PS und 800 Nm überbordenden Kraft erfreuen könnte, wundert man sich über den Durst, den diese Wuchtbrumme an den Tag legt. Selbst bei gleichmäßiger Fahrt gönnt sich der XM schnell mal 14 oder 15 Liter Sprit auf 100 Kilometern.
Der E-Antrieb wirkt dem kaum entgegen, zumindest entlang der Testroute in den US-Südstaaten. Dort gibt es kaum Ladestationen. Und wer würde schon auf einem Roadtrip vier Stunden warten, bis der magere 7,4-kW-Lader die netto immerhin 25,7 kWh Batterie vollgetröpfelt hat. Unter günstigeren Umständen fährt der Wagen mit seinem Plug-in-Hybrid bis zu 88 Kilometer weit elektrisch und erreicht dabei maximal 140 km/h.
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Dann kommt plötzlich eine kleine, kurvige Nebenstraße – da macht es schon nach wenigen Kilometern klick! Nur ein paar enge Kehren braucht es, um dieses Auto zu verstehen. Giftig, gierig, leichtfüßig und überraschend handlich schießt der Koloss über die Straße. Die Gänge wechseln mit der Gewalt von Hammerschlägen, die Drehzahl schnellt nach oben. Schier unendlicher Schub, gepaart mit rasend schneller Rechenleistung für Kraftverteilung, Wankstabilisierung, Fahrwerksanpassung und Hinterradlenkung: Das lässt fast vergessen, was für ein feistes Monstrum hier unterwegs ist. Selten haben sich 2,7 Tonnen so leicht und 5,11 Meter so kurz angefühlt. Da ist der XM einer filigranen Sportlimousine wie dem M3 plötzlich recht nahe.
Eher untypisch für einen Wagen aus dem Hause M mutet der Innenraum an, er ist luxuriös, warm und kuschelig gestaltet. Hinten gibt es anstelle der klassischen Rückbank eine Art Sofa – verkleidete Schulterlehnen und Kuschelkissen inklusive. Das von den anderen X-Modellen bekannte Armaturenbrett ist mit dickem Sattelleder bezogen. Am Dach klebt eine fraktale Strukturtapete, spektakulär in Szene gesetzt von der Ambientebeleuchtung – da erinnern die Bayern an den Sternenhimmel in Autos der edlen Schwester Rolls-Royce.
Das muss man wissen: Kein BMW hat in jüngerer Zeit so sehr provoziert, keiner ist so potent, und kaum einer kostet so viel. Wer mit ihm ab April vom Hof des Händlers fahren möchte, muss mindestens 178.000 Euro überweisen.
Hersteller | BMW |
Typ | XM |
Karosserie | SUV |
Motor | V8-Benziner mit Plug-in-Antrieb |
Hubraum | 4395 ccm |
Systemleistung | 480 kW/653 PS |
Drehmoment | 800 |
Getriebe | Achtgang-Automatik |
Antrieb | Allradantrieb |
Von 0 auf 100 | 4,3 s |
Höchstgeschwindigkeit | 270 km/h |
Verbrauch (ECE) | 1,5 l/100 Kilometer |
Kraftstoff | Benzin/Strom |
CO2-Ausstoß | 33 g/km |
Batteriekapazität (netto) | 25,7 kWh |
Elektrische Reichweite | 88 Kilometer |
Länge/Breite/Höhe in mm | 5110/2005/1755 |
Gewicht | 2710 kg |
Kofferraum | 527 Liter |
Umgebaut | 1820 Liter |
Preis | 178.000 Euro |
Dafür gibt es Opulenz satt – auch unter der Haube. Dort arbeitet ein neuer, 4,4 Liter großer V8-Motor mit mindestens 489 PS. Ihn unterstützt eine 197 PS starke E-Maschine, die die Systemleistung auf 653 PS steigert und den XM bereits in die Spitzengruppe der SUV treibt. Und wenn im Herbst das »Label Red« kommt, die Leistung des V8 auf 585 PS und die Systemleistung auf 748 PS klettert, wird der XM nicht nur zum bis dato stärksten Serienmodell der Münchner, sondern auch zum stärksten SUV der großen Hersteller.
Schon jetzt allerdings bietet der XM schwindelerregende Fahrleistungen, beschleunigt in 4,3 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 und erreicht bis zu 270 km/h. Der Form halber sei auch noch der Normverbrauch erwähnt, den der Plug-in-Baustein in der Theorie auf 1,5 Liter drückt.
Technisch basiert der XM zwar auf der Architektur der fast schon braven Brüder X5, X6 und X7 – er wird auch in demselben US-Werk in Spartanburg gebaut. Doch mit der eigenständigen Karosserie wird er zu erstem solitären Modell der M GmbH seit über 40 Jahren und steht damit in der Tradition des legendären M1. Deshalb haben die Designer dem Kraftmeier kleine Reminiszenzen an den Rennwagen mitgegeben – die eigenwillige Fenstergrafik zum Beispiel oder die BMW-Logos, die oben links und rechts in die Ecken der Heckscheibe geätzt wurden.
Das werden wir nicht vergessen: den Sound aus den vier eckigen, übereinander gestaffelten Auspuffrohren. Der ist so laut und provozierend, dass selbst manch eingefleischter Petrolhead peinlich berührt sein wird. Dagegen hilft nur, den Sportmodus zu deaktivieren und den Plug-in-Hybrid vielleicht zwischendurch doch mal aufzuladen.
Thomas Geiger ist freier Autor und wurde bei seiner Recherche von BMW unterstützt. Die Berichterstattung erfolgt davon unabhängig.