
Morgan Threewheeler: Drei Räder sind genug
Morgan Threewheeler Rakete mit drei Rädern
Ein riesiger Schuhlöffel wäre hilfreich. Man kommt nämlich kaum rein in den Morgan Threewheeler. Der Wagen reicht nur etwas höher als die Knie, ist kürzer als ein VW Polo, fast so schmal wie ein Formel-1-Renner - und sieht ein bisschen aus wie ein Bob mit Rädern. Hinten ist eins, vorne sind zwei, und dazwischen thront, nackt und unverkleidet, ein Zweizylinder V-Motor von Harley Davidson.Wo dieses Dreirad auftaucht, zücken Passanten die Fotohandys. In einem Ferrari oder Lamborghini fiele man sicher weniger auf.
Man muss tief einatmen und dann abtauchen. So zwängt man sich in die enge Aluröhre und freut sich, dass es wenigsten obenrum genügend Luft gibt. Die Brüstung endet irgendwo auf Höhe des Bauchnabels. Seitenscheiben? Oder ein Dach? Auf solche neumodischen Nebensächlichkeiten haben die Engländer bei der Konstruktion verzichtet.
Das passt zu Morgan. Denn auf Konventionen gibt die Manufaktur aus Malvern gut 200 Kilometer nordwestlich von London herzlich wenig. Seit 1909 baut dort eine Schar unverbesserlicher Eigenbrödler weitgehend in Handarbeit Autos wie aus der Steinzeit. Vor allem Roadster wie der 4/4 haben Morgan berühmt gemacht und über Wasser gehalten. Allesamt aus Alublech gedengelt und wie im Kutschbau auf einem Rahmen aus Eschenholz konstruiert, trotzen sie dem Zeitgeist wie die letzten Highend-Plattenspieler dem MP3-Player. Mit Erfolg: Immerhin um die tausend Autos bauen die knapp 200 Mitarbeiter im Jahr.
Die Angst vor dem Umkippen
Ein Fahrzeug wie der Threewheeler passt da perfekt ins Programm. Denn damit hat vor 103 Jahren bei Morgan einmal alles angefangen. Heute ein exotisches Spielzeug, war das Dreirad damals gang und gäbe, weil es viel günstiger besteuert wurde als ein Auto. Deshalb hat allein Morgan bis in die Fünfziger über 30.000 Threewheeler gebaut. Und als die Briten den Klassiker zum 100. Geburtstag eher im Scherz auch noch als Tretauto aufgebaut haben, war offenbar ein Damm gebrochen: Alle Welt wollte einen Threewheeler, und seit gut einem Jahr bekommt sie ihn auch - in einer dezent modernisierten Form.
Lässt man das Vehikel mit einem Kippschalter wie im Flugzeugcockpit an, tuckert der Motor im Leerlauf erst einmal gemütlich wie ein Fischkutter. Tritt man allerdings aufs Gaspedal, nimmt die Beschaulichkeit ein jähes Ende. Der Zweizylinder brüllt auf, und die beiden verchromten Auspuffrohre außen an der Flanke werden heiß - jetzt geht es ab wie auf einer Achterbahn. Wo 82 PS auf nicht einmal 600 Kilo treffen, kommt echte Fahrfreude auf. Beim Anfahren ist der Morgan der König. Angeblich rennt die Kiste 185 km/h. "Das jedoch hat sich bislang noch keiner getraut", sagt der Hamburger Lutz Leberfinger, der zu den wenigen Morgan-Händlern in Deutschland zählt.
Man versteht das sofort. Schon auf dem Weg durch die Stadt fühlen sich die Regentropfen im Gesicht an wie Nadelstiche. Und alle paar Minuten klatscht schmerzhaft eine Mücke an die Stirn oder in den Mund. Die zwei gläsernen Windabweiser über dem Cockpit sind offenbar nur zur Dekoration angebracht.
Das ist allerdings die einzige Fehlkonstruktion des Morgan, der sonst genau das macht, was man von einem Spielzeug erwartet: jede Menge Spaß. Klack, klack, klack, schaltet man durch das vom Mazda MX-5 entlehnte Getriebe, hört den unvergleichlichen Sound des Harley-Twins und wundert sich, wie flink und vor allem wie stabil das Dreirad um die Kurven saust. Die Angst umzukippen fährt bei Threewheeler-Novizen ständig mit, vor allem, wenn das wuchtige Hinterrad quietscht. Doch andererseits stachelt dieses Geräusch dazu an, es in der nächsten Kehre vielleicht noch etwas flotter zu probieren.
"Je älter ein Morgan wird, desto besser"
Und das Gefühl am Steuer? Ist schon speziell. Es erinnert an die Fahrt auf einem Motorrad, hat etwas vom Rackern in einem historischen Rennwagen und kommt einem manchmal so vor, als steuere man einen Doppeldecker aus den Pioniertagen der Luftfahrt; anstrengend und beglückend zugleich. Der Morgan bietet tatsächlich ein Fahrerlebnis. Und das hat kein bisschen was mit normalem Autofahren zu tun.
Das haben sogar die Beamten der Zulassungsbehörden begriffen. Sie führen den Threewheeler nicht als Auto, sondern in der Klasse L5e. Also - wir zitieren - als "dreirädriges Fahrzeug (Kraftrad) mit drei symmetrisch angeordneten Rädern mit Hubraum über 50 Kubikzentimetern bei Verbrennungsmotoren und/oder bauartbedingter Höchstgeschwindigkeit von mehr als 45 km/h".
Trotzdem wundert sich Importeur Lutz Leberfinger, dass ein Fahrzeug wie dieses überhaupt auf die Straße darf: laut, freistehende Räder und ein freiliegender Motor, der so heiß wird, dass der Morgan-Händler nur so zum Spaß demnächst mal Spiegeleier darauf braten will. "Eigentlich müsste so etwas verboten werden", sagt Leberfinger.
Obwohl sich Morgan mit der Entwicklung des außergewöhnlichen Gefährts nahezu ein Jahrzehnt Zeit ließ und außerdem auf eine alte und bewährte Konstruktion zurückgriff, ist der Threewheeler für Männer wie Leberfinger eine ewige Baustelle. Rund 30 Fahrzeuge hat der Hamburger Händler bereits ausgeliefert, und praktisch mit jedem Modell fällt ihm ein weiterer Verbesserungsvorschlag ein.
Ein kleineres Lenkrad zum Beispiel, klassische Analog-Instrumente anstelle der Digitalanzeigen, mehr Aluminium oder Chrom, einen schlankeren Mitteltunnel für mehr Sitzkomfort sowie maßgeschneiderte Taschen für den winzigen Stauraum über den beiden Tanks unter der Heckabdeckung, kommen Leberfinger in den Sinn: "Wenn man einen Morgan fährt, ist man um Ideen zum Um- und Ausbau nie verlegen. Denn je älter ein Morgan wird, desto besser wird er."