
VW XL1: Unterwegs Richtung Zukunft
Ausfahrt im VW XL1 Das Fast-ein-Liter-Auto
Mann, ist der klein! XS wäre ein passender Name für diesen Wagen, VW aber taufte sein neues Autochen XL1. Ja, Autochen! Denn schlanker als ein Polo und flacher als jeder Porsche wirkt der Wagen wie ein besseres Kinderspielzeug. Wenn nicht auf dem Hotelparkplatz in Genf eine Menschentraube um die Flunder herumstehen würde, müsste man den Wagen suchen.
Für Konzernchef Martin Winterkorn ist der XL1 so etwas wie das Formel-1-Auto unter den Spritsparmodellen - vollgestopft mit Hightech, bis in die allerletzte Schraube. "Wir sind bei diesem Auto bis an die Grenzen des Machbaren gegangen", bestätigt VW-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg. Ein Leuchtturmprojekt nennt er den Knauserkönig mit Elektro- und Dieselmotor und einem angegebenen Durchschnittsverbrauch von 0,9 Litern. Eine Vision also, die vielen anderen Fahrzeugen den Weg weisen soll.
Leuchtturmprojekt, mal wieder eins. Von diesen grünen Aushängeschildern gab es schon einige im VW-Konzern. Den 3-Liter-Lupo zum Beispiel. Oder bei der VW-Konzerntochter Audi den elektrischen Sportwagen R8 etron. Der eine floppte nach Verkaufszahlen, beim anderen zog der Konzern noch vor dem Start den Stecker. Auch beim XL1 gibt sich VW eher zurückhaltend. "Erst mal gibt es eine Kleinserie von 50 Stück, danach sehen wir weiter", sagt Chef-Techniker Ulrich Hackenberg.
Die Spritspar-DNA soll an die Volumenmodelle vererbt werden
Der XL1 - nur ein Marketinginstrument? Erst einmal. Doch seine Technologie soll der Spritknauserer weitervererben. Noch in diesem Jahr kommt der rein elektrische Antrieb im Kleinwagen Up und dann im Bestseller Golf. Die Plug-in-Technik, also die Möglichkeit, das Auto außer mit Kraftstoff auch mit Strom aus der Steckdose zu betanken, findet sich dann ab 2014 im Golf wieder. "Ohne dieses extreme Sparmobil wären wir bei unseren Volumenmodellen noch lange nicht so weit wie wir es heute sind", sagt Hackenberg.
Worüber der Entwicklungschef nicht so gerne spricht, ist der sogenannte Business Case. Zu welchem Preis oder zu welchen Konditionen der XL1 in Kundenhand kommen soll, bleibt vorerst Geheimnis des Vorstands. Geld spielte offenbar bei diesem Prestigeprojekt eine untergeordnete Rolle: die Entwickler hatten beim XL1 völlig freie Hand.
Ernüchternd ist im Hinblick auf eine spätere Großserieneinführung der Technik, was für ein gewaltiger Aufwand beim XL1 für eine vergleichsweise geringe Einsparung betrieben werden musste. Die Karbonkarosserie und die extreme Stromlinienform des XL1 bringen gerade mal zwei oder drei Zehntel Spritersparnis. Würde VW den Antrieb des XL1 in einen ganz gewöhnlichen Up stecken, diesen ähnlich wie ein BlueMotion-Modell bei Gewicht und Luftwiderstand optimieren, wären bereits Verbrauchswerte "im niedrigen Einserbereich" machbar, gibt Hackenberg zu.
Am Ende doch eher ein Fast-zwei-Liter-Auto
Diese erreicht der XL1 auch bei der Testfahrt durch die Schweiz. Nach knapp zwei Stunden und fast hundert Kilometern zeigt der Bordcomputer einen Verbrauch von 1,6 Litern, der Akku ist dabei noch nicht einmal ganz leer. Die Tankfüllung reicht somit für eine Fahrt von Hamburg nach Berlin und zurück - und der Zehn-Liter-Tank wäre dann immer noch nicht ganz leer. Die von VW angegebenen 0,9 Liter bleiben jedoch Theorie.
Auch, wenn der XL1 nicht so aussieht: Man fährt ihn wie ein ganz normales Auto. Das Cockpit wirkt ganz vertraut. Gestartet wird automatisch im e-Modus. Dann surrt der XL1 allein mit seinem 27 PS starken Elektromotor, die rein elektrische Reichweite beträgt bis zu 50 Kilometer. Geht der Akku zur Neige oder will der Fahrer die elektrischen Kilometer für die Zieleinfahrt sparen, arbeiten E-Maschine und Diesel wie bei einem Hybriden zusammen: Wer sachte Gas gibt, beschleunigt rein elektrisch, beim Kick-down gehen beide Motoren mit vereinter Kraft zu Werke, schubsen die Flunder in 12,7 Sekunden von 0 auf Tempo 100. Bis weit über die 100 km/h-Grenze schafft der XL1 elektrisch.
Mit Rücksicht auf den Luftwiderstand hat der XL1 statt Außenspiegeln zwei kleine Kameras an den Türen. Ihr Bild erscheint auf Monitoren von der Größe eines iPhones, die unterhalb der Fensterbrüstung integriert sind. Daran muss man sich immer mal wieder erinnern, damit etwa beim Einfädeln auf der Autobahn kein teurer Karbonschaden entsteht. Das Bild ist gestochen scharf und immer blendfrei, und bei Dunkelheit etwa im Tunnel ist die Rücksicht viel besser.
Der Dreifrontenkrieg
Was den XL1 von einem normalen Elektro- oder Hybridauto unterscheidet, ist aber vor allem die Geräuschkulisse. Wo andere Stromer flüsterleise sind, dringen durch die dünnen Scheiben in den XL1 überraschend viele Nebengeräusche ein. So lange die Keramikbremsscheiben noch kalt sind, knirschen sie, als reibe Sandpapier auf ihnen. Schaltet sich der Zweizylinder-Diesel im Heck zu, sitzt den Passagieren ein fieses Nageln im Nacken.
Um den Verbrauch des XL1 zu drücken, hat VW an drei großen Stellschrauben gedreht: Antrieb, Gewicht und Luftwiderstand.
Für den Antrieb stehen ein 0,8 Liter großer Zweizylinder-Diesel mit 48 PS, die E-Maschine mit 27 PS, eine Doppelkupplung mit sieben Gängen und zusätzlicher Trennkupplung im Heck sowie der Lithium-Ionen-Akku vor dem Fußraum zur Verfügung. Der Speicher hat eine Kapazität von 5,5 kWh und lässt sich an jeder Steckdose in weniger als zwei Stunden laden.
Das Fahrzeuggewicht haben die Ingenieure durch den Einsatz von jeder Menge Karbon gedrückt. Allein bei den nur noch elf Kilo schweren Sitzen spart VW jeweils runde zehn Kilo, das Kunststoffglas der Scheiben ist ein Drittel leichter und wenn überhaupt Metall verarbeitet wurde, ist es Magnesium oder Aluminium. Weil sie ein Kilo leichter sind als elektrische Fensterheber, müssen die Scheiben mit Kurbeln geöffnet werden. Statt mit Servohilfe lenkt man den XL1 allein mit Muskelkraft. Für die Sicherheit müssen ein Fahrerairbag, die nachgiebigen Seitenscheiben und das vor dem Beifahrer weit nach vorn gerückte Cockpit reichen. Am Ende stehen deshalb 795 Kilo auf der Waage - rund 50 Prozent weniger als bei einem VW Golf.
Die dritte Disziplin ist der Luftwiderstand. Um den auf einen neuen Rekord-CW-Wert von 0,189 zu drücken, wurde jede Fuge am Fahrzeug geschlossen, im Kühlergrill arbeiten Jalousien, die Türgriffe wandern unter die Karosse, der Typenschriftzug ist nur ein Aufkleber und das Heck ist so geformt, das die Luftverwirbelungen unter dem kleinen Rücksprung nicht den Strömung ums Fahrzeug stören.
Bis ganz zu Ende haben die Entwickler allerdings nicht gedacht: Der Zündschlüssel ist überraschend schwer und wurde eins zu eins vom Golf übernommen. Und wo an der Karosserie jede noch so kleine Fuge geschlossen und jede noch so flache Sicke geglättet wurde, ragt das VW-Logo aus dem Blech wie der Harz aus der norddeutschen Tiefebene. "Das war einer der ganz wenigen Punkte", räumt einer der Entwickler ein, "bei dem wir selbst beim XL1 keine Kompromisse machen durften."