Ford Focus RS Hai im Tiefflug

Mehr als 300 PS und schneller als 250 km/h - das kennt man eigentlich nur von Sportwagen. Ford hat jetzt den biederen Focus zum wohl rasantesten Hobel der Kompaktklasse hochgezüchtet. Der neue RS ist extrem unvernünftig, unverschämt teuer und optisch kritisierbar - macht aber ziemlich viel Spaß.

Eigentlich könnte VW den Golf GTI gleich wieder einpacken, und auch Opel Astra OPC und Mazda 3 MPS wirken ziemlich unscheinbar gegen dieses Auto. Im Juni wird Ford das Modell Focus RS ins Rennen schicken - und das Kräfteverhältnis in der Kompaktklasse dürfte etwas aus den Fugen geraten. 305 PS machen den Wagen zum hitzigsten Hobel im Segment der sogenannten Hot Hatches. Was die Auto-Quartett-Daten angeht, kann der RS sogar mit Porsche Cayman & Co. mithalten.

Dass der RS derart viel Kraft hat, war zunächst sogar für Projektleiter John Wheeler eine Überraschung. "Um das Gewicht, den Kraftverlust, den Verbrauch und nicht zuletzt den Preis möglichst niedrig zu halten, wollten wir keinen Allradantrieb, und so hatten wir das Problem, die Leistung überhaupt auf die Straße zu bringen", berichtet er. Denn Schritt für Schritt kitzelten die Entwickler aus dem 2,5 Liter großen Turbo-Fünfzylinder-Motor des Focus ST weitere 80 PS und steigerten das Drehmoment auf 440 Nm.

Dass diese Kraft nicht mit dem Reifengummi auf dem Asphalt verraucht oder von der Traktionskontrolle zugrunde geregelt wird, ist ein Verdienst des Fahrwerks. "Wir haben eine neue Vorderachse entwickelt", sagt Wheeler. Statt der üblichen McPherson-Konstruktion wird beim RS eine sogenannte Revo-Achse eingesetzt, die Störkräfte in der Lenkung minimiert. Außerdem wurde die Spur um rund vier Zentimeter verbreitert.

Wenn es richtig schnell wird, rubbeln die Reifen

Es braucht überraschend wenig Feingefühl, um den RS in Fahrt zu bringen. Nur wer den Wagen am Ausgang scharfer Kurven mit einem allzu schweren Gasfuß provoziert, spürt das Scharren der Reifen auf der Fahrbahn und sieht die gelben Blitze der ESP-Lampe durchs Cockpit zucken. Mit einem Mindestmaß an Sinn und Sitte aber schnurrt der Wagen völlig unaufgeregt in 5,6 Sekunden auf Tempo 100, während der kurze Schalthebel nur so durch das Sechsgang-Getriebe klackert und mit dem Drehzahlmesser auch die Zeiger der drei Zusatzinstrumente zucken, als tanzten sie Techno. Einzig der Motorsound passt nicht zum Kraftwerk, aus den alphorngroßen Endrohren entweicht lediglich ein braves Flüstern.

Obwohl das Fahrwerk stramm ist, die Federwege klein sind und die Lenkung etwas mehr Armkraft als üblich benötigt, macht der RS in allen Alltagslagen eine gute Figur. Auch im Stop-and-Go-Verkehr und der Stadt bewegt sich das Auto überraschend kultiviert. Sein eigentliches Revier aber ist die freie Bahn. Anders als bei allen anderen Ford-Modellen ist der Rausch des Rasens nämlich nicht bei 250 km/h vorbei, sondern erstmals erhält der furiose Focus freien Lauf, der erst bei 263 km/h endet.

Zwei Focus-Typen, wie Hai und Delfin

Technisch basiert der Kraftmeier auf dem Focus ST, den das Entwicklungsteam allerdings in jeder Hinsicht nachgeschärft hat. "Der Ford Focus RS soll sich vom ST ebenso deutlich unterscheiden wie ein Hai von einem Delfin", sagt Ford-Motorsportchef Jost Capito. Beide seien hoch entwickelte Lebewesen, die jeweils ideal ihrem Lebensraum angepasst seien und ganz unterschiedliche Talente perfektioniert hätte.: "Das gilt auch für ST und RS", sagt Capito. Wo der eine auf kraftvolle Laufkultur setzt, ist der andere vor allem böse, brutal und ungeheuer schnell.

Dazu passt auch das Design: Der Kühler des Dreitürers ist aufgerissen wie ein Scheunentor, in der Motorhaube befinden sich große Nüstern, die Flanken sind muskulös wie anabolikatrunkene Radprofis und am Heck prangt über dem gewaltigen Diffusor die obligatorische Vollgastheke - ein Heckspoiler im Großformat. Wie bei übereifrigen Bodybuildern ist das nicht wirklich schön, aber imposant.

Im Innenraum fehlen der Pfiff und die Liebe zum Detail

Während außer Dach und Türen kein Karosserieblech unverändert blieb, wurde der Innenraum zaghafter auf Sportlichkeit getrimmt. Es gibt auf den vorderen Plätzen Sportsitze mit hohen Wangen und im Fond hat die Bank des Viersitzers zwei tiefe Mulden. Dazu wurde der Kranz des Lenkrades etwas dicker aufgepolstert. Doch wirken die Befestigungsschemel der Recaro-Sitze wie ein Provisorium und der Carbon-Zierrat auf der Mittelkonsole wie Klebefolie von der Tankstelle. "Wir wollten nicht nur einen starken, sondern auch einen bezahlbaren Sportler", verteidigt Entwickler Wheeler die Unzulänglichkeiten. 33.900 Euro kostet das Auto. Für einen Focus ist das dreist, doch gemessen an den etablierten Sportlern dieser Leistungsklasse ist der RS fast schon ein Schnäppchen.

Vergleichsweise günstig dürfte auch das RS-Fahren werden, denn der Durchschnittsverbrauch liegt bei 9,4 Litern. Er verdoppelt sich jedoch beinahe bei artgerechtem Einsatz des Geräts. Für jene Ford-Ingenieure, die den Verbrauch des Sparmodells Focus Econetic auf 4,3 Liter drückten, ist das wahrscheinlich ein Affront. Doch gibt es viele Autos, die bei wesentlich größerem Durst deutlich weniger Spaß machen. Das sehen viele Kunden offenbar ähnlich. Mehr als tausend Bestellungen und 2000 Reservierungen liegen für den RS allein in Großbritannien bereits vor, teilt Ford mit. In Deutschland ist die Euphorie gebremster: Mehr als tausend Autos wird es für die hiesige Vollgasfraktion nicht geben.

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