Mercedes EQE Konservativ übers Eis driften

Mercedes-Benz startet mit Elektroautos richtig durch: Auf Testfahrt in Nordschweden zeigt der neue EQE, wie die treuen Kunden in der Businessklasse in Schwung kommen sollen. Und in den USA setzt der Hersteller SUV unter Strom.
Aus Arjeplog und Tuscaloosa berichtet Thomas Geiger
Quergestellt: Mercedes EQE auf der Teststrecke – einem Eissee im schwedischen Arjeplog, nahe am Polarkreis

Quergestellt: Mercedes EQE auf der Teststrecke – einem Eissee im schwedischen Arjeplog, nahe am Polarkreis

Foto: Dieter Rebmann / Mercedes-Benz

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Was macht die Business-Limousine auf einem vereisten See? Arjeplog in Schwedisch-Lappland ist die Winterhauptstadt der Autoindustrie. Nahezu alle Fahrzeughersteller geben ihren neuen Modellen im Härtetest nahe dem Polarkreis den letzten Schliff. Auch Mercedes-Baureihenleiter Christoph Starzynski ist deshalb mit dem neuen EQE im Norden und lässt kurz auch mal den Tester ans Steuer.

Der Mercedes-Benz EQE ist das nächste Strommodell der Oberklasse, in dieser Woche startete der schwäbische Traditionskonzern offiziell den Verkauf. Los geht’s für knapp 71.000 Euro. Im Vergleich zum Luxusliner EQS, der schon auf dem Markt ist, fährt sich der Neue ganz anders. Wo der EQS den Souverän gibt, der stolz über die Autobahn schwebt, ist der EQE spürbar agiler, vermittelt mehr Kontakt zur Fahrbahn und verleitet zu einer forscheren Gangart. Und er fühlt sich noch etwas handlicher an.

Fotostrecke

Mercedes EQE

Foto: Mercedes-Benz

Vor allem aber signalisiert das Modell: Die Stuttgarter gehen mit ihrer Elektro-Revolution in die Breite. Der EQE fährt in der Tradition der E-Klasse, die Mercedes 75 Jahre und zehn Generationen groß gemacht hat: Dass Mercedes-Benz in der Oberklasse dominiert, das haben die Schwaben der E-Klasse zu verdanken, während die S-Klasse und die Elektro-Variante EQS für den Luxus an der Spitze stehen.

»Dieses Auto wird zu einem Prüfstein für Mercedes und muss beweisen, dass auch die vielleicht treuesten, aber auch konservativsten Kunden reif sind für den Umstieg«, sagt Marktbeobachter Hans-Georg Marmit von der Sachverständigen-Organisation KÜS in Losheim am See.

Masse und Kasse machen die SUV

Zeitgleich zeigt der älteste Autohersteller der Welt in Tuscaloosa (US-Staat Alabama), dass er jetzt voll unter Strom steht. Vorstandschef Ola Källenius ist – Pandemie hin, Ukrainekrise her – mit zwei seiner Kollegen in die USA geflogen, um offiziell den Schalter umzulegen für die vierte Batteriefabrik im weltweiten Produktionsnetzwerk. Für die Mitte der Dekade kündigt er gleich noch eine eigene Zellfertigung auf US-Boden an.

Das Elektro-Zentrum in den Südstaaten ist für Mercedes von besonderer Bedeutung, und fürs Klima auch: Seit hier vor 25 Jahren die erste M-Klasse gebaut wurde, ist das Werk die Heimat der großen SUV mit Stern und trägt mit einer Jahresproduktion von aktuell 260.000 Dickschiffen vom GLE bis zur Maybach-Version des GLS einen besonders großen CO-Rucksack.

Den wollen die Schwaben jetzt zusehends leeren und bereiten das Werk deshalb auch auf die Produktion zweier elektrischer Geländewagen vor, die noch in diesem Jahr anlaufen soll. So wichtig Limousinen fürs Image sind, werden Masse und damit auch Kasse derzeit vor allem mit SUV gemacht, wie sie hier in Alabama gebaut werden.

Im polaren Eis von Arjeplog läuft sich neben dem EQE schon ein Ableger der Familie warm, der so viel besser in die raue Landschaft passt. Für den Herbst plant Mercedes auf der sogenannten EVA2-Plattform ein SUV auf Basis des EQS, der mit sieben Sitzen und noch mehr Platz gegen Teslas Model X und den BMW iX antreten soll.

Elektro-SUV aus Amerika: Mercedes-Chef Ola Källenius eröffnet die Batteriefabrik in Tuscaloosa

Elektro-SUV aus Amerika: Mercedes-Chef Ola Källenius eröffnet die Batteriefabrik in Tuscaloosa

Foto: Mercedes-Benz

Und so, wie dieser Stromer den GLS flankiert, will Mercedes Anfang 2023 dem EQE auch noch ein Pendant zum GLE zur Seite stellen. Außerdem bereiten die Schwaben auf Basis des EQS SUV auch den ersten elektrischen Maybach vor. Beide sollen ebenfalls in Tuscaloosa und der EQE zudem noch in Peking gebaut werden. Kein Wunder also, dass sie es mit der Batteriefabrik in Alabama so eilig haben, schon eine zweite Fertigungslinie aufzubauen, und mit sechsstelligen Stückzahlen pro Jahr rechnen.

EQS als Flaggschiff für »Electric Only«

Anfangs war Mercedes eher zögerlich in Richtung Elektromobilität unterwegs. Modelle wie der EQC, der EQA oder der EQB sahen als sogenannte Conversions, also Umbauten konventioneller Verbrenner, mehr nach Pflichtübung aus als nach ernsthafter Überzeugung. Doch jetzt verspricht Källenius bis zum Ende des Jahrzehnts »Electric Only«, also nur noch Elektroautos anzubieten; zumindest für die Märkte, die dann reif dafür sind.

Wegbereiter dafür ist der EQS , mit dem die Schwaben einen großen Wurf gelandet haben. Nicht umsonst gilt der Luxusliner, den Mercedes als elektrische Alternative zum Flaggschiff S-Klasse feiert, aktuell als bislang beste Antwort auf Teslas Model S und als Reichweiten-Rekordler: Das renommierte Verbrauchermagazin Edmunds jedenfalls hat der Limousine einen größeren Aktionsradius attestiert als allen anderen Elektroautos und ist damit 120 Kilometer weiter gefahren als mit jedem Tesla.

Der Haken daran: Der Markt für ein Elektroauto, das schon in der Basisversion 98.000 Euro kostet und mit Extras leicht doppelt so viel, ist vergleichsweise klein und mit ihm der Einfluss auf die CO-Bilanz beim Benz.

Mehr Komfort als in der E-Klasse

Der EQE als kleiner Bruder des EQS kommt Ende April zu Preisen ab 70.626 Euro in den Handel – ins Kernsegment der gehobenen Businessklasse.

Die will Baureihenleiter Starzynski mit einem eher klassischen Zuschnitt ködern. Der EQE ist deshalb nicht nur 30 Zentimeter kürzer als der EQS und die Achsen stehen neun Zentimeter näher beieinander. Sondern die Form ist – je nach Betrachtungsweise – etwas gefälliger oder gewöhnlicher und die flachere Heckklappe dafür wieder unter der Scheibe angeschlagen statt im Dach.

Naturgemäß gibt's im 4,95 Meter langen EQE obendrein auch ein bisschen weniger Platz als im EQS, wobei die kurzen Überhänge und der lange Radstand ihre Wirkung nicht verfehlen: Hinterbänkler sitzen allemal besser als in der konventionellen E-Klasse und wähnen sich fast in der chinesischen Langversion – nur, dass die wegen der Akkus im Boden erhöhte Sitzposition weniger natürlich ist.

Hyperscreen zeigt sogar Bewegtbild

Die Ausstattung ist gegenüber dem EQS ebenfalls ein wenig abgespeckt, so gibt es etwa im EQE ein kleineres Head-up-Display und keinen Drive Pilot, der autonomes Fahren nach Level 3 ermöglicht. Aber das Ambiente ist gleich: Hier wie dort regiert kühler oder zumindest cooler Luxus statt des alten Plüschs aus Lack und Leder.

Don't glotz and drive: Der »Hyperscreen« zeigt auch Bewegtbild – stoppt aber, wenn der Blick vom Fahrersitz kommt

Don't glotz and drive: Der »Hyperscreen« zeigt auch Bewegtbild – stoppt aber, wenn der Blick vom Fahrersitz kommt

Foto: Mercedes-Benz

Auch im EQE spannt sich der riesige »Hyperscreen« quer über das Armaturenbrett – und kann sogar ein bisschen mehr als im Flaggschiff. Denn als erster Hersteller der Welt darf Mercedes im EQE den Bildschirm vor dem Beifahrer auch mit Bewegtbild bespielen statt nur mit der Navikarte oder der Senderliste des Radios.

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Zwar nutzt der EQE die gleiche Plattform wie der EQS und deshalb auch den gleichen Antrieb. Wegen des kürzeren Radstands reicht es allerdings nur für die kleinere der beiden EQS-Batterien mit einem Netto-Gehalt von dann 90 kWh. Die bringt bis zu 654 statt bestenfalls Kilometer 784 Kilometer Reichweite, das Einstiegsmodell muss mit 215 kW und Hinterradantrieb auskommen, das vorläufige Topmodell steht mit 350 kW und Allradantrieb in der Liste, während es den EQS mit bis zu 560 kW gibt.

Kleiner Wendekreis

Doch der EQE fährt viel agiler. Denn auch für ihn gibt es eine Hinterachslenkung, mit der die Räder bis zu 10,5 Grad einschlagen und den Wendekreis spürbar verringern. Selbst eine C-Klasse wirkt im Vergleich plötzlich sperrig, wenn man den EQE bei der letzten Erprobung am Polarkreis über einen Handlingkurs steuert oder sich ein enges Parkhaus vorstellt.

Das Auto bindet den Fahrer mehr ein und macht ihn mehr an. Und dafür muss man gar nicht erst ins Sportprogramm wechseln, die Stabilitätskontrolle in den Hintergrund drängen und das Auto so quer um die Kurven treiben, dass man den Vordermann durchs Seitenfenster sieht.

Da brummt doch noch was

Die nächste Stufe der elektrischen Offensive: Nach Tuscaloosa macht Mercedes-Benz auch sein mittlerweile größtes Werk in Peking fit für die Generation E und plant dort den Anlauf von EQE und EQE SUV.

Doch so ganz allein auf die Elektromobilität verlassen wollen die Schwaben sich offenbar noch nicht. Während der EQE bei den Testfahrten am Polarkreis den Schneewalzer probt, fährt deshalb immer mal wieder der Prototyp einer verdächtig konventionellen Limousine durchs Blickfeld und lässt dabei sogar ein vertrautes Brummen hören. Kein Wunder: In einem Jahr gibt's eine neue E-Klasse. Die mag zwar die letzte ihrer Art werden und natürlich als Plug-in-Hybrid auch über hundert Kilometer elektrisch fahren, doch noch lebt die alte Verbrennerwelt für die wirklich konservativen Kunden.

Technische Daten Mercesdes EQE

Hersteller:

Mercedes-Benz

Typ:

EQE 350+

Karosserie:

Limousine

Motor:

Elektromotor

Leistung:

215 kW/292 PS

Drehmoment:

565 Nm

Getriebe:

Eingang-Automatik

Antrieb:

Heckantrieb

Von 0 auf 100:

6,4 s

Höchstgeschwindigkeit:

210 km/h

Verbrauch:

15,9 kWh/100 Km

Kraftstoff:

Strom

Batteriekapazität:

91 kWh

Reichweite:

654 Kilometer

CO2-Ausstoß:

0/km

Länge/Breite/Höhe in mm:

4.946/1.961/1.510

Gewicht:

2355 kg

Kofferraum:

430 Liter

Preis:

70.626 Euro

Thomas Geiger ist freier Autor und wurde bei seiner Recherche von Mercedes-Benz unterstützt. Die Berichterstattung erfolgt davon unabhängig.

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