
Ratgeber Rad: My Esel E-Cross Pro Pure im Test
Ratgeber Rad – My Esel E-Cross Pro Pure Was’n Brett!
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Der erste Eindruck: Ein Fahrrad mit Vierkantrohren aus Holz – ein Hingucker! Selbst parkend im Wald wird das sonderbare E-Bike von Spaziergängern mit Kommentaren überhäuft. Nur ein Showeffekt?
Das sagt der Hersteller: Geht es nach Christoph Fraundorfer, ist die Sache klar. Holz als Rahmenmaterial, sagt der Mitgründer des österreichischen Herstellers My Esel in Traun, sei für Fahrräder ideal. Es biete die Steifigkeit von Carbon ohne dessen Bruchgefahr und zugleich besseren Federungskomfort als Stahl.
Die Konstruktion verwinde sich nicht und absorbiere feinste Vibrationen, sagt Fraundorfer. »Der Rahmen schaukelt sich nicht auf, dadurch fahren Sie sicherer und ruhiger.« Gegenüber Stahl oder Aluminium verbessere Holz als nachwachsender Rohstoff die CO₂-Bilanz.
Natürlich sägt man einen Holzrahmen nicht einfach aus dem Stamm. Bei My Esel kommen haargenaue softwaregestützte Fräsmaschinen und mehrere Holzarten zum Einsatz. Außen besteht der Rahmen aus dem Hartholz Esche, das dank langer Fasern die Stabilität erhöht. »Außen wirken die größten Kräfte«, sagt Fraundorfer. Weiter innen werden die leichteren Hölzer Birke und Paulownia verwendet.
Das E-Cross Pro ist ein 22 Kilogramm schweres E-Bike mit Hecknabenmotor. Der My-Esel-Co-Geschäftsführer charakterisiert es als Allrounder mit Hang zu leichtem Gelände. Als Trekkingrad steht's im Katalog.
Das ist uns aufgefallen: Auch wenn der My-Esel-Chef dies nicht betont – das Holzrad schlägt sich offroad ziemlich gut. So gut, dass es viele Mountainbiker, die das Radeln über Waldpfade als Hobby ohne verbissenen Sportlergeist betreiben, zufriedenstellen dürfte.
Das E-Cross klettert ziemlich steile Buckel klaglos hoch: Weder neigt das Vorderrad zum Abheben noch das Hinterrad zu Schlupf; Rahmengeometrie und Gewichtsverteilung mit Person im Sattel scheinen für Kletterpartien geeignet. »Es ist als softes Mountainbike nutzbar«, sagt Fraundorfer. »Aber wenn in Österreich einer Mountainbike hört, der versteht etwas anderes darunter.«
Doch ohne Zusatzausstattung könnte man das E-Cross auf den ersten Blick dennoch für ein Mountainbike halten: Das Tretlager sitzt recht hoch, es fährt mit Federgabel und breitem Lenker. Für große Übersetzungsbandbreite sorgt ein Einfachantrieb mit riesiger Kassette, wie er sich bei Mountainbikes durchgesetzt hat.
Doch die mit 54 Millimeter Breite etwas zu schmalen Stollenreifen, die eher zierlichen Pedale ohne Pins für Sohlenhalt oder der auf 100 Millimeter begrenzte Federweg passen nicht zum Set-up eines modernen Mountainbikes. Ebenfalls nicht der für Berg- und Talfahrten unübliche Heckmotor.
So zeigt das Aggregat am Berg Schwächen. Ein bei Heckmaschinen seltener Drehmomentsensor im Tretlager unterstützt zwar, mit kräftigen Pedaltritten zunehmend. Doch je steiler es wird, desto tiefer brummt die sonst leise arbeitende Einheit vom chinesischen Zulieferer Aikema, die Drehmomentkurve bricht irgendwann ab. An diesem Punkt übernehmen die Beine fast die Alleinverantwortung, die nächste Kuppe zu erreichen.
Bergab fehlen feine MTB-Zutaten wie eine versenkbare Sattelstütze oder ein Rahmendämpfer, schließlich muss My Esel das Modell von seinen wirklichen Mountainbikes abgrenzen. Doch der Fahrkomfort ist besser als bei manchem Hardtail-MTB mit unnachgiebigerem Alurahmen.
»Oh, schau mal, ein Fahrrad aus Holz« – so was ist unterwegs oft zu hören. Eine Frau, die mit ihrem Partner vorbeischlendert, meint: »Mensch, das ist ja mal ein schönes Fahrrad.« Ein anderer scherzt: »Da haben wir ja was zu verfeuern in diesen Notzeiten«, während ein weiterer sich für die Art des Holzes und die Witterungsbeständigkeit interessiert.
Das muss man wissen: Die Frage nach der Witterungsbeständigkeit ist ein berechtigter Einwurf, den auch Fraundorfer oft zu hören bekommt: Verwittert Holz nicht mit der Zeit? Marco Brust vom unabhängigen Prüfinstitut Velotech in Schweinfurt sagt: »Holz ist ein Rohstoff, wenn man ihn gut behandelt, dann ist er witterungsbeständig. Es kommt auf die Konservierung an.« Bestes Beispiel seien jahrhundertealte Holzhäuser.
Für die Rahmen, auf die My Esel fünf Jahre Garantie gibt, versichert Fraundorfer: »Sie benötigen keine spezielle Pflege.« »100 Prozent wasserfest und holzwurmsicher«, steht im Prospekt. Dafür sorge neben UV- und Schimmelschutz eine vierfache Lackschicht wie beim Auto.
Doch das hat seinen Preis. Das E-Cross Pro Pure kostet fast 4000 Euro. »Ein Premiumprodukt«, sagt Fraundorfer. Hochwertige Hardtail-Mountainbikes mit Alurahmen und bewährten Mittelmotoren bekommt man auch für 1000 Euro weniger, auch gegenüber voll ausgestatteten E-Trekking-Bikes ist das My Esel die um oft mehrere Hundert Euro teurere Alternative. Zumal es in der Pure-Version bis auf den Seitenständer ohne Features wie Gepäckträger, Lichtanlage und Schutzbleche vorfährt, die an Trekkingbikes zum Standard zählen. Sollen diese beim E-Cross Pro an Bord, erhält es den Namenszusatz Plus+, Kostenpunkt: 300 Euro extra.
Holz als nachwachsender Rahmenwerkstoff steht übrigens nicht nur nach Einschätzung Fraundorfers vor einer Renaissance. »Jetzt kommt die Holzthematik zurück, da kann sich am Fahrradmarkt was tun«, sagt auch Marco Brust vom Prüflabor Velotech. Ja, zurück. Auch die vor über 200 Jahren von Karl von Drais vorgestellte Draisine, die als erstes Fahrrad der Geschichte gilt, bestand aus Holz.
Erst im Zuge der industriellen Revolution habe sich Stahl und später Aluminium als das besser skalierbare und kostengünstiger zu produzierende Material durchgesetzt. Heute könnten Holzrahmen dank Automatisierung und Digitalisierung wieder wirtschaftlich lohnend gefertigt werden. »Das war jahrzehntelang nicht möglich«, so der My-Esel-Geschäftsführer.
Datenblatt My Esel E-Cross Pro Pure
Motor | Hecknabenmotor, 250 Watt, 60 Nm, Tretunterstützung: bis max. 25 km/h, abschaltbar |
Akku | 540 Wh (Samsung) |
Reichweite | 70 bis 130 km (je nach Leistungsstufe, Topografie und weiteren Variablen) |
Ladedauer | 100 Prozent in 4 Stunden, 60 Prozent in ca. 1 Stunde |
Rahmen | Holz, drei Größen (Maßanfertigung für 800 Euro Aufpreis) |
Schaltung | Shimano Deore XT, 1x11, |
Bremsen | Hydraulische Scheibenbremsen Shimano BR-MT 400 (zwei Kolben), Discs: 180 mm |
Bereifung | Schwalbe 54 – 622 (Modell: Racing Ray) |
Gewicht | 22 kg |
Radstand | 1149 mm (Größe M) |
Preis | 3950 Euro |
Was Holz in die Karten spiele: Der Rohstoff für die My-Esel-Bikes stamme aus österreichischen Wäldern. Bei Alu und Stahl besteht dagegen eine Abhängigkeit von Asien, wo die meisten Rahmen produziert werden, wie die Branche seit Monaten durch Lieferkettenprobleme zu spüren bekommt. Doch noch ist bei Fahrrädern aus Holz mit zum Beispiel HTech Bikes aus Australien oder TimberWolf Cycles in Kanada selbst die internationale Konkurrenz dünn.
Das werden wir in Erinnerung behalten: Dass man mit einem Holzrad nicht auf dem Holzweg ist, wenn es so gut verarbeitet ist wie das E-Cross Pro. Der Dämpfungskomfort ist klasse, Regenschauer können dem Rahmen nichts anhaben. Nur darf man kein Smalltalk-Muffel sein, denn ein Fahrrad im Timber-Look macht die Menschen redselig und lässt sie staunen – als sähen sie einen Baum aus Alu.