Oberflächlich betrachtet ist dieses Auto hässlich, lahm und laut. Je länger man aber mit dem Nissan Evalia unterwegs ist, desto deutlicher wird: Er ist ein Traumwagen unter den Familienkutschen.
Sowas würde ein deutscher Autohersteller unter keinen Umständen anbieten: Einen Autositz, bei dem man zuerst die Lehne nach vorne klappt, dann die ganze Konstruktion seitlich hochschwenkt und das Ganze schließlich mit einem Gurt fixiert. Der Ingenieur, der in Stuttgart oder Wolfsburg mit einer derartigen Lösung vorstellig würde, müsste vermutlich bis zu seinem Renteneintritt Fußmattenbefestigungen entwickeln.
Bei Nissan ist das offenbar anders. Vielleicht nicht immer und bei jedem Modell. Aber beim Evalia schon.
Das Auto, seit 2011 auf dem Markt, ist hierzulande kaum bekannt und verkauft sich auch nicht besonders gut. Wenn man den Evalia das erste Mal zu Gesicht bekommt, versteht man auch sofort, warum: Die Karosserie sieht aus wie ein Blechcontainer, auf den sich vorne ein Elefant draufgesetzt hat.
Das ist die oberflächliche Betrachtung. Beschäftigt man sich jedoch näher mit dem Evalia, wird es immer unverständlicher, warum dieser Wagen nicht längst ein Bestseller unter den Familien-Allzweck-Autos ist.
Foto: Jürgen Pander
Fotostrecke
Nissan Evalia: Nutzwert vor Schönheit
Gute Gründe dafür gäbe es zuhauf. Zum Beispiel die beiden Schiebetüren, die den Zugang zum Fond öffnen, oder die Tatsache, dass kein anderes Auto auf lediglich 4,40 Meter Länge einen derartig geräumigen Innenraum und dazu eine so große Variabilität bietet. In der Standard-Ausstattung sind hinter den beiden Vordersitzen eine Zweiersitzbank und daneben ein Einzelsitz angeordnet. Bei beiden Sitzmöbeln lassen sich die Lehnen umklappen und es können dann auch noch die kompletten Sitze nach vorn gekippt werden. Dazu braucht es jeweils nur einen Handgriff, denn man erkennt sofort, an welcher roten Schlaufe man ziehen muss, um die gewünschte Klappfunktion auszulösen.
Viele praktische Details ergeben ein sehr praktisches Auto
Für 875 Euro Aufpreis bietet Nissan für den Evalia zwei weitere Einzelsitze in der dritten Reihe an. Das sind jene Plätze, von denen schon die Rede war und die sich bei Bedarf neben den Seitenfenstern hochklappen lassen. Je nachdem, wie man klappt und faltet, verwandelt man den Fond des Evalia rasch in einen Siebensitzer mit 870 Liter Ladevolumen, in einen Zweisitzer mit 2940 Liter Stauraum, in einen Viersitzer, der auch noch ein Mountainbike aufnimmt - oder einen Dreisitzer mit bis zu 1,30 Meter Ladelänge.
Das, was jeder Kombi-, SUV- und Van-Hersteller verspricht - nämlich ein Auto für fast jede Transportaufgabe - hat Nissan tatsächlich auf die Räder gestellt.
Der Evalia ähnelt vom Konzept am ehesten den Hochdachkombis vom Schlage eines Renault Kangoo oder eines VW Caddy Maxi. Bei dem Wagen fällt zudem die Verwandtschaft zum Kleintransporter-Zwilling Nissan NV 200 auf. Das Lenkrad steht fast so flach im Cockpit wie bei einem Lkw, das Armaturenbrett ist an Schlichtheit kaum zu übertreffen und die Plastikwölbungen an den Vordertürverkleidungen, auf denen jeweils der Schalter für den elektrischen Fensterheber sitzt, sehen aus wie nachträglich eingebaut. Man könnte jetzt noch über die billigen Kunststoffoberflächen in diversen Grau-Schattierungen lamentieren, über den mickrigen Fünf-Zoll-Bildschirm des Navigationssystems klagen oder den fehlenden Deckel vor dem Handschuhfach bemängeln.
Aber warum? Ihren Zweck erfüllen all diese Dinge trotzdem. Die Instrumente sind übersichtlich gestaltet und gut ablesbar, das Navi arbeitet flott und nachvollziehbar, die Ablagemöglichkeiten sind okay, der Schalthebel des Sechsgang-Schaltgetriebes ist erfreulich hoch positioniert und der Tempomat lässt sich auf Anhieb wie gewünscht justieren. Es gibt weitaus teurere Autos, die sehr viel aufwendiger und schicker ausgestattet sind, bei denen es jedoch an solchen Selbstverständlichkeiten bei der Bedienung und der Ergonomie hapert.
Nissan bietet den Evalia als Elektroauto mit allerdings bescheidener Norm-Reichweite von 170 Kilometern an, oder aber mit einem 1,5-Liter-Dieselmotor mit wahlweise 90 oder 110 PS, der die Abgasnorm Euro 6 erfüllt. In unserem Testauto brummte der 110-PS-Selbstzünder, und er tat dies so ungeniert, dass man die Nutzfahrzeugvariante NV 200 deutlich heraushörte. Davon abgesehen jedoch bietet die Maschine eine ordentlich Vorstellung, bringt das Auto auch mit mehreren Passagieren und Gepäck ausreichend auf Trab und konsumiert während unserer Testfahrten im Schnitt 6,6 Liter je 100 Kilometer.
Fährt man behutsam und ganz bewusst spritsparend, zeigt die Verbrauchsanzeige nach einer Weile sogar Werte von weniger als sechs Liter an. Wie man allerdings im normalen Straßenverkehr den offiziellen Normwert von 4,9 Liter erreichen soll, ist nicht ganz nachvollziehbar.
SPIEGEL ONLINE
Das Fahrgefühl im Evalia ist, abgesehen von der prägnanten Geräuschkulisse, durchaus angenehm. Man sitzt etwas höher, hat daher einen guten Aus- und Überblick und ist außerdem immer wieder selbst überrascht, wie handlich und wendig das Autos ist. 10,60 Meter beträgt der Wendekreis. Zum Vergleich: beim VW Caddy Maxi sind es 12,20 Meter.
Es lebt sich also schlicht, aber praktisch und nervenschonend mit dem Evalia. Und das Auto lehrt einen jeden Tag aufs Neue, dass man tatsächlich nicht so sehr auf Äußerlichkeiten achten sollte. Und dass die einfachste Lösung, zum Beispiel einen Klappsitz einfach per Gurt und Karabinerverschluss an der Seitenwand zu fixieren, machmal auch die beste Lösung ist.
Der Nissan Evalia ist buchstäblich ein großer Unbekannter auf deutschen Straßen. Dabei bietet der 4,40 Meter lange Allrounder sehr viel Auto für sehr viele Gelegenheiten.
Foto: Jürgen Pander
2 / 14
Der Blick ins Cockpit des Evalia zeigt gut ablesbare Instrumente und ein vergleichsweise flach stehendes Lenkrad mit etlichen Tasten, über die sich zum Beispiel der Tempomat oder das Radio regulieren lassen.
Foto: Jürgen Pander
3 / 14
Gleich zwei Schiebetüren öffnen den Zugang zum Fond. Das ist hilfreich, denn einen Durchgang zwischen den Vordersitzen nach hinten gibt es nicht.
Foto: Jürgen Pander
4 / 14
In den Aufsätzen an den Türverkleidungen sind die Tasten für die elektrischen Fensterheber untergebracht.
Foto: Jürgen Pander
5 / 14
Elegant ist etwas anderes, aber bei diesem Auto geht es auch nicht um Design oder Statussymbolik, sondern um einen möglichst geräumigen Innenraum auf möglichst geringer Grundfläche.
Foto: Jürgen Pander
6 / 14
Wenn man mit dem Evalia zu viert unterwegs ist, kann man auch die zweite Sitzreihe einfalten und die beiden Sitze in der hinteren Reihe nutzen. Dann wird die Beinfreiheit riesig und das Reisen sehr bequem, denn die Lehnen lassen sich, wie im Bild zu sehen, in eine angenehm flache Lümmelposition bringen.
Foto: Jürgen Pander
7 / 14
Unter der Motorhaube steckt im Evalia ein 1,5-Liter-Turbodiesel. Wahlweise gibt es den Selbstzünder mit einer Leistung von 90 oder 110 PS. Wir waren mit der stärkeren Variante unterwegs, die das Auto ausreichend auf Trab bringt, aber auch ziemlich laut ist.
Foto: Jürgen Pander
8 / 14
Klare Kanten und rechte Winkel sorgen dafür, dass der Evalia gut zu überblicken und passgenau zu manövrieren ist. Rein optisch könnte man sich natürlich elegantere Linien vorstellen.
Foto: Jürgen Pander
9 / 14
Eine große Heckklappe öffnet den Zugang von hinten ins Auto. Hier der Blick hinein in den Evalia mit voller Bestuhlung und sieben Sitzplätzen. Die beiden Einzelsitze in Reihe drei kosten 875 Euro Aufpreis.
Foto: Jürgen Pander
10 / 14
So sieht es aus, wenn das Auto als Fünfsitzer konfiguriert ist und die beiden hinteren Sitze jeweils seitlich nach oben geklappt wurden. Natürlich lassen sich alle Sitze im Fond auch komplett ausbauen, doch dazu muss man ein wenig werkeln und ordentlich Kraft einsetzen.
Foto: Jürgen Pander
11 / 14
Hier ist der Blick in den Fond, in dem nun knapp drei Kubikmeter Ladevolumen zur Verfügung stehen. Die hinteren Sitze sind hochgeklappt, die mittlere Sitzreihe ist eingewickelt.
Foto: Jürgen Pander
12 / 14
Hier noch einmal der maximale Laderaum im Fond durch die geöffnete, linke Schiebetür fotografiert.
Foto: Jürgen Pander
13 / 14
Der Nissan Evalia kann zum Beispiel als Viersitzer konfiguriert werden, und dennoch passt zusätzlich ein ausgewachsenes und nicht demontiertes Mountainbike problemlos ins hintere Abteil.
Foto: Jürgen Pander
14 / 14
Klappe zu, alles gut. So wie das Heck des Nissan Evalia aussieht, ist das ganze Auto: Schlicht, einfach, gut.