Saab 90, Baujahr 1985 Stabiler Schwede mit Trinkproblem
Das Durchschnittsalter der rund 46 Millionen Pkw in Deutschland liegt bei knapp acht Jahren, einige Autos sind noch deutlich älter. SPIEGEL ONLINE testet mit Hilfe der Leser, wo die Stärken und Schwächen des Altmetalls liegen. Diesmal berichtet Philipp Wöhler aus Berlin über seinen Saab 90 aus dem Baujahr 1985.
Philipp Wöhler, Berlin:
Der Saab 900 ist quasi der VW Golf von Berlin Mitte an jeder Ecke parkt mindestens einer. Steht so ein alter Saab doch für Individualität und wird darum von allen gefahren, die individuell rüberkommen wollen. Also von all den Mitte-Bewohnern, die "irgendwas mit Medien" oder "gerade ein Projekt" machen.
Da auch ich "irgendwas mit Medien" mache, brauchte ich natürlich auch so ein Ding. Vorher hatte ich sechs Jahre gar kein Auto, sondern eine 200er Vespa. Die ist in einem Stadtteil mit chronischem Parkplatzmangel zwar ungemein praktisch, verbraucht fast nichts und steht an jeder roten Ampel vorn in der ersten Reihe aber so ein Roller war mir einfach nicht mehr individuell genug.
Praktischerweise gibt es in der Schönhauser Allee einen Gebrauchtwagenhändler, der die Bedürfnisse von uns Mitte-Menschen ernst nimmt und fast ausschließlich Saab 900 bis Baujahr 1993 feilbietet, also den "Klassiker". Als tüchtiger Geschäftsmann weiß er, was er seiner Klientel abverlangen kann, nur waren mir knapp 5000 Euro für ein knapp 20 Jahre altes Auto dann doch zuviel.
Im Anzeigenblatt wurde ich schließlich fündig und erstand einen Saab 90, Baujahr 1985. Der Saab 90 verhält sich zum Saab 900 wie Tom Cruise in "Mission Impossible" zu Sean Connery als "James Bond": Ihm fehlt die Doppelnull, die Lizenz zur Coolness. Vom Kühlergrill bis zum Armaturenbrett ist er baugleich mit dem Saab 99 aus den Siebzigern, ab der A-Säule bis zu den Rückleuchten entspricht er dem 900er Stufenheckmodell aus den Achtzigern. Stilistisch könnte man also sagen: Abba trifft auf Dr. Alban. Eine interessante Komposition, die allerdings nur von wenigen goutiert wurde: Nach drei Jahren Bauzeit nahmen die Schweden das Zwitterwesen 1987 wieder aus dem Programm.
Ich jedenfalls bin sehr zufrieden. Trotz 235.000 Kilometern auf dem Tacho sieht der Wagen innen wie außen noch so gut wie neu aus. Bis auf den Dachhimmel, der den Fondpassagieren auf den Kopf hängt. Aber da sitzt eh niemand. Mit seinen 74 kW und 100 PS hält er locker im Stadtverkehr mit. Und die mächtigen Stoßstangen erleichtern nicht nur das Einparken sie schieben auch sonst alles aus dem Weg, was einem zwischen Oranienburger Tor und Kollwitzplatz so vor die Karre springt.
Der Schwede trinkt wie ein Finne
Also gut - wenn ich ganz ehrlich bin, ist der Saab 90 nicht gerade die Idealbesetzung im Stadtverkehr, zumindest nicht im Winter. Ist der Motor kalt, trinkt der Schwede wie ein Finne, bis zu 17 Liter auf 100 Kilometern. Und der Motor ist lange kalt - meist ist man schon am Ziel, bevor die Nadel der Temperaturanzeige den grünen Bereich erreicht hat.
Auf Autobahn und Überlandstraße spielt der Wagen hingegen seine Reisequalitäten voll aus. Die Sitze sind bequem wie Fernsehsessel, die Lüftung lüftet pollenfrei, und bis Tempo 140 kann man sich ohne Anstrengung unterhalten. Jenseits der 150 km/h beginnt dann das große Tosen. Zwar verstehe ich nichts von Aerodynamik der Saab 90 anscheinend aber auch nicht. Er wird dermaßen laut, dass ich bis heute nicht weiß, wie schnell er eigentlich fahren kann.
Auch wenn er kein waschechter "Mitte-Golf" ist, mir gefällt mein Saab 90. Und da es von diesem Modell in Deutschland nur noch ein paar Hundert gibt, komme ich damit ja vielleicht auch entsprechend individuell rüber zwischen all den anderen Individualisten.