VW Käfer Ultima Edicion Schwanken, schleudern, schlucken

Letzte Ausfahrt in die Automobilgeschichte, letzte Gelegenheit zum Flirt mit einer Legende – eine Probefahrt mit dem VW Käfer Ultima Edicion (zu deutsch: letzte Ausgabe) offenbart vor allem, wie verklärt wir in die Vergangenheit blicken.
Von Stefan Anker

Natürlich, den VW Käfer kann man nicht vom Thron schubsen. Er steht für Wirtschaftswunder, Aufstieg nach dem Fall und vor allem für die Demokratisierung des Autofahrens. Wenn es den Käfer nicht gegeben hätte, wer weiß, ob wir heute so selbstverständlich und massenhaft eigene Autos besäßen. Wer sich also aus Dankbarkeit und um der alten Zeiten willen einen gut erhaltenen Käfer in die Garage stellen will - bitte. Aber damit fahren?

Als Erstes fällt auf, wie eng der Wagen ist. Der linke Arm quetscht sich an die Türverkleidung, und rechts ist man froh, wenn kein Beifahrer an Bord ist. Hinten kann man eh nur die Kinder unterbringen. Und dann der Lärm - im Vergleich zu heutigen Autos macht der luftgekühlte Boxermotor im Heck ohrenbetäubenden Krach. Aber man kann von einem Auto, das 1934 erfunden wurde, 1945 in Serie ging und seitdem technisch nie wirklich in Frage gestellt wurde, wohl nicht mehr verlangen. Obwohl: Der Porsche 911 teilt als einziges Auto der Welt das Legendenschicksal des Käfers, er teilt sogar sein Bauprinzip (kugelig und mit Heckmotor), doch er ist mit der Zeit gegangen und hält heute noch alle Konkurrenten in Schach.

Der Käfer kann das nicht. Zwar ist der Testwagen erst im Jahr 2003 vom Band gelaufen, doch er atmet den Geist längst vergangener Jahrzehnte. Nicht nur, weil nach ein, zwei scharf gefahrenen Ecken ein vertrauter Benzingeruch durch den Innenraum weht. Sondern auch, weil die Verarbeitungsqualität nach heutigen Maßstäben haarsträubend ist. Die Türen hängen, die Sitze knarzen, und die Hinterachse poltert in unregelmäßigen Abständen. Der Geradeauslauf entpuppt sich als schwankender Suchkurs. Hier wird selbst die moderate Höchstgeschwindigkeit von 124 km/h, bei der viele Fahrer in heutigen Autos noch SMS schreiben, zum Abenteuer.

Nun gilt zu Recht ein Bann auf Telekommunikation in voller Fahrt, doch Tatsache ist, dass die Fahrwerke heutiger Autos an Stabilität kaum zu wünschen übrig lassen und dennoch keine fliegenden Teppiche sind. In aller Regel erhält man von Federn, Dämpfern und der Lenkung klare Rückmeldungen über Straßenzustand und Seitenwind. Beim Käfer ist das kaum zu beurteilen, er wirkt generell schwankend und unsicher. Bilder kommen in den Sinn von voll gepackten VW mit Mutter, Vater und zwei Kindern auf den Sitzen, dem Gepäck auf dem Dach - Heinz-Erhard-Romantik. Nur: So ging es von Hamburg bis nach Rimini - Hut ab vor den Autofahrern von anno dazumal.

Blockierende Räder und ein ausbrechendes Heck

Ein Besuch beim ADAC-Fahrsicherheitszentrum Linthe nahe Berlin soll Klarheit bringen. Auf abgesperrtem Handlingkurs und großzügigen Übungsflächen für Brems- und Ausweichmanöver soll der Käfer seine fahrdynamischen Qualitäten ohne Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer vorführen. Nach wenigen Minuten wird klar: Wer einen Käfer fährt, sollte das mit Vorsicht tun. Zwar bleibt der Wagen in der Kurve lange stabil, und zu schnelles Fahren wird hier schon durch die hohe Seitenneigung verhindert. Doch in der ersten Rechts-Links-Kombination ist es um die Fahrstabilität geschehen. Das Einfangen des ausbrechenden Hecks gelingt, wenn man darin Übung hat, doch einfach ist es nicht, weil die nicht servounterstützte Lenkung wenig Kontakt zur Straße vermittelt.

Lassen sich solche Abenteuer noch mit vorausschauender und zurückhaltender Fahrweise vermeiden, so ist man bei einer Notbremsung völlig dem schwachen Stand der Technik ausgeliefert. Ein VW Golf IV legt bei Temperaturen eben über dem Nullpunkt und leicht feuchter Strecke vor: Aus Tempo 100 gebremst, steht er nach knapp 42 Metern. Der VW Käfer rutscht und rutscht und rutscht: 68 Meter beträgt der Bremsweg. Dabei hat die Bremse alles getan: Sofort blockierten alle vier Räder, aber die 165er-Reifen des Testwagens können nicht allzu viel Kraft übertragen.

Natürlich gibt es im historischen VW kein ABS, leider ist allem Anschein nach auch keine Bremskraftverteilung vorgesehen. Wenn aber alle vier Räder blockieren, wird die Hinterachse ihrer vornehmsten Aufgabe enthoben, nämlich das Auto in der Spur zu halten. Der Käfer rutscht nicht nur 68 Meter weit, er dreht sich dabei auch und steht am Ende einer jeden Probebremsung quer auf der Straße.

Hersteller:VW
Typ:Käfer Ultima Edición
Karosserie:Kompaktwagen
Motor:Vierzylinder-Benziner-Boxer, luftgekühlt
Hubraum:1.584 ccm
Leistung PS:50 PS
Leistung kW:37 kW
Drehmoment:103 Nm
Von 0 auf 100:19 Sek.
Höchstgeschw.:124 km/h
Verbrauch (ECE):7,7 Liter
CO2-Ausstoß:182 g/km
Kraftstoff:Normal
Kofferraum:280 Liter
Versicherung (HP):10 €
Versicherung (TK):12 €
Versicherung (VK):13 €
Preis:13.030 €

Auf dem Rückweg in die Stadt war klar: Der Käfer ist Kult, und eigentlich ist er ein Museumsstück. Moderne Menschen merken das nicht nur auf der Teststrecke. Während jeder Fahrt zuckt immer mal der rechte Fahrerarm, weil man nach etwas greifen möchte, was man vom Auto kennt, was es im Käfer aber gar nicht gibt. Getränkehalter oder andere Ablagefächer sind ebenso wenig vorgesehen wie elektrische Fensterheber. Nicht mal Heizungs- und Lüftungsregler sind im Armaturenbrett zu finden. Erst nach dem Studium der Betriebsanleitung entdeckt man den Hebel neben der Handbremse (damit wählt man zwischen heiß und kalt) und den neben dem linken Fuß, der den Luftstrom an die Windschutzscheibe oder in den Fußraum lenkt. Zu guter Letzt will der Käfer auch noch neun Liter für 100 Kilometer nachtanken. Nicht sehr bescheiden für einen Kleinwagen mit nur 50 PS.

13.030 Euro hat im Sommer 2003 die Ultima Edicion gekostet, die 3000 Autos waren schnell weg. Ab und an sieht man sie auf der Straße, in "aquariusblue" oder in "harvestmoon-beige", alle mit Weißwandreifen und dem Wolfsburg-Wappen auf der Kofferraumhaube. Manch älterer Käfer ohne Sonderstatus fährt auch noch herum, und gemeinhin wird all diesen Ur-VW eine Seele zugeschrieben, warum auch nicht? Wer in einem Auto eine Persönlichkeit zu entdecken vermag, der soll ruhig Käfer fahren. Alle anderen kaufen bitte einen Toyota.

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