
Buch über prominente Unfallopfer: Geplatzte Reifen und Verschwörungstheorien
Prominente Unfallopfer "Das Auto ist eine Massen-Vernichtungswaffe"
SPIEGEL ONLINE: Herr Gietinger, in Ihrem Buch "99 Crashes" beschreiben Sie Verkehrsunfälle, bei denen Prominente ums Leben kamen - von der Schauspielerin Grace Kelly über den Fotografen Helmut Newton bis zum Politiker Jörg Haider. Wollen Sie die Menschen vom Autofahren abbringen?
Gietinger: Sicher, der Gedanke schwingt mit. Aber vor allem wollte ich Miniaturen über interessante Lebensgeschichten schreiben, die alle gleich enden: mit dem plötzlichen Tod.
SPIEGEL ONLINE: "Schwingt mit" ist etwas untertrieben. Sie ordnen die prominenten Opfer chronologisch in der Reihenfolge ihres Versterbens und verbinden dies mit einer Statistik, wie viele Verkehrstote es bis zu diesem Zeitpunkt gegeben hat: mehr als 47 Millionen im Jahr 2013, als der Schauspieler Paul Walker in seinem Porsche starb.
Gietinger: Ja, das Auto ist eine Massenvernichtungswaffe. Diese schöne Formulierung stammt allerdings nicht von mir, sondern von dem US-amerikanischen Dokumentarfilmer Michael Moore.

Der Regisseur Klaus Gietinger wurde mit dem Film "Daheim sterben die Leut" bekannt. Er drehte "Tatort"-Folgen, Fernsehspiele und Kinofilme und arbeitet unter anderem für die ZDF-Kinderserie "Löwenzahn".
SPIEGEL ONLINE: Sollte man Autos besser abschaffen?
Gietinger: Wir sollten das Auto als Massenverkehrsmittel abschaffen. Aber das werden die Autohersteller nicht zulassen. Und die Autofahrer auch nicht, denn Autos machen süchtig.
SPIEGEL ONLINE: Was ist Ihrer Meinung nach der Suchtfaktor?
Gietinger: Vor allem die Geschwindigkeit. Beim Auto genügt der Druck auf das Gaspedal, und man erreicht mit wenig Kraftaufwand übermenschliche Geschwindigkeit. Damit wird ein Urinstinkt des Menschen angesprochen, nämlich der Wunsch nach Kraft und Gewalt.
SPIEGEL ONLINE: Sie zeigen in Ihrem Buch auch, dass ein Auto als Mordwaffe taugt.
Gietinger: Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil erklärt, dass ein Auto keine Waffe sei. Davon mal abgesehen: Stalin hat ein Auto benutzt, um einen Verkehrsunfall vorzutäuschen und einen Mord zu vertuschen. Und dann gibt es den nie geklärten Unfalltod von Karen Silkwood, die 1974 Unterlagen über dramatische Nachlässigkeiten in einem amerikanischen Atomkraftwerk an Journalisten übergeben wollte und auf dem Weg dahin mit ihrem Honda gegen die Betonwand einer Unterführung knallte. Es gibt Spuren, die nahelegen, dass sie von der Straße gedrängt wurde.
SPIEGEL ONLINE: Sie kritisieren, dass die Straße früher allen gehörte und dann vom Auto annektiert wurde.
Gietinger: Richtig, und das ist ein großer Unterschied zur Eisenbahn. Die fährt auf Schienen und hat einen eigenen Weg. Die Straße gehörte ursprünglich den Kindern, den Hühnern, Bauern, Ochsenkarren, Radfahrern. Die Straße war ein Ort der Kommunikation - bis das Auto kam und sie vereinnahmte. In der Straßenverkehrsordnung heißt es, dass Fußgänger die Straße im rechten Winkel so schnell wie möglich überqueren müssen. Das sagt ja schon alles. Der deutsche Schriftsteller Rolf-Dieter Brinkmann wurde in London von einem Auto erfasst und starb. Er hatte den Linksverkehr nicht beachtet, wie es so schön heißt. An der Formulierung sieht man: Das Auto hat eine eingebaute Vorfahrt, und der Fußgänger muss aufpassen. Es gibt übrigens auch keine Denkmäler für die Toten des Straßenverkehrs.
SPIEGEL ONLINE: Kann man das als einen Vorschlag verstehen?
Gietinger: Jedenfalls sollte man sich vor Augen halten, dass Denkmäler an Kriegsopfer erinnern oder an Opfer von Naturkatastrophen. Aber ein Denkmal für die Millionen von Verkehrstoten gibt es nicht. Ab und zu sieht man Holzkreuze an Straßen. Die werden nach einer kurzen Karenzzeit von der Polizei abgeräumt.
SPIEGEL ONLINE: Fahren Sie eigentlich selbst noch Auto?
Gietinger: Nur, wenn ich meine Schwester im Allgäu besuche. Dann lass ich mich vom nächstgelegenen Bahnhof abholen und benutze ab und zu ihr Auto. Sie wohnt auf einem alten Einödhof, da kurvt nicht mal ein Bus hin. Ansonsten fahre ich Bahn, ich habe eine Bahncard 100.
SPIEGEL ONLINE: Im Hauptberuf sind Sie Regisseur. Autos kommen auch in Ihren Filmen nicht gut weg.
Gietinger: Stimmt. In praktisch jedem meiner Filme wird ein Auto durchs Bild geschoben. Zum Beispiel ein Porsche Cayenne in einer "Tatort"-Folge. Da hat dann jemand von Porsche angerufen und sich erkundigt, welcher Händler uns den Wagen gegeben hat.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie den Namen preisgegeben?
Gietinger: Wir hatten das kommen sehen und den Porsche sicherheitshalber von einem privaten Besitzer geliehen.