Abgewürgt Club der anonymen Alkoholiker
Neulich, auf einer Automesse in Genf, schmissen die versammelten Hersteller wieder einmal mächtig mit Zahlen um sich: Wer hat die meisten Pferdestärken, das stärkste Drehmoment, die dickste Nockenwelle? Auch am BMW-Stand hatte man sich ganz der Statistik verschrieben. Der Münchner Hersteller hatte übergroße Zahlen auf die Flanken aller seiner Autos gepappt.
Auf einem Einser stand "4,8", auf einem Fünfer "5,1" - der Verbrauchswert in Liter je 100 Kilometer. Dass gerade die für sportliches Durchstarten bekannten Bayern mit schwäbischer Sparsamkeit warben, fand ich ungewöhnlich - nachgerade unglaublich erschienen mir die angegebenen Werte. Kommt so ein fetter Fünfer wirklich mit fünf Litern aus? Geht da alles mit rechten Dingen zu?
Ja und nein. Autohersteller müssen in der Europäischen Union für ihre Fahrzeuge drei Verbrauchswerte angeben - einen inner- und außerstädtischen sowie einen kombinierten. Errechnet wird der Spritbedarf nach einem europaweit einheitlichen Testzyklus. Für einen BMW 520d beträgt der kombinierte Verbrauch demnach tatsächlich 5,1 Liter.
So fährt doch kein Mensch
Die Zahl setzt allerdings voraus, dass ich den Wagen so fahre, wie es der Testzyklus vorsieht. Der fiktive, normzykluskonforme Pilot verhält sich folgendermaßen: Er fährt grundsätzlich nie schneller als 120 km/h. Lustvolle Beschleunigung vermeidet er ebenso wie Stopp-And-Go-Verkehr. Ferner lässt er sein Auto im Hochsommer in der Garage und verzichtet auf Klimaanlage, Radio und andere Bordelektronik.
Wenn ich so freudlos transpirierend dahinzuschleichen gedenke, dann kaufe ich mir keinen BMW. Der offiziöse Verbrauchswert des Fünfers dürfte somit nicht ganz deckungsgleich mit der Realität sein (zumindest wenn ich fahre). Oder drastischer ausgedrückt: Die ECE-Werte, in den Prospekten der meisten Hersteller sind ziemlicher Kokolores.
Dass der Kokolores mit einer Imprimatur der EU versehen ist, macht die Sache nicht besser, SPIEGEL-ONLINE-Autoren fallen bei Fahrtests immer wieder Autos auf, deren Konsum meilenweit von ihrem ECE-Wert entfernt ist. Ein aktuelles Beispiel ist Dieselversion des Mini Clubman. Sollwert: 4,1 Liter auf 100 Kilometer. Erfahrungswert: 6,7 Liter, rund 60 Prozent mehr.
Die Autohersteller können nicht völlig zu Unrecht darauf verweisen, dass solche persönlichen Verbrauchswerte wenig repräsentativ seien. Schließlich halten sich die Konzerne nur an die Vorgaben, ganz nach Recht und Gesetz. Dass die - leider - in fast allen Fällen den Spritverbrauch zu niedrig erscheinen lassen, ist ein schöner Nebeneffekt.
Web-Fahrtenbücher legen Statistikfehler offen
Interessant ist eine Untersuchung des Autoportals Autoplenum.de . Gemeinsam mit Spritmonitor.de hat das Unternehmen Tausende private Web-Fahrtenbücher ausgewertet. Herausgekommen ist eine Übersicht mit offiziellen und tatsächlichen Verbrauchswerten.
Schlecht weg kommt etwa der Volvo XC 90 D5. Er schluckt laut Hersteller 8,2 Liter. Laut Spritmonitor.de sind es aber 10,9 Liter (eine Abweichung von 33 Prozent). Noch übler sieht es beim Renault Mégane 1.5 dCi aus. Statt der avisierten 4,4, Liter genehmigt er sich laut den gesammelten Erfahrungsberichten 6,9 Liter (eine Abweichung von 57 Prozent).
Zyniker mögen einwerfen, dass man Verbraucherangaben von Unternehmen grundsätzlich nicht trauen sollte, nach dem Motto: Wer den Kalorienwerten auf der Müslipackung glaubt, wird fett. Wer dem Prämienversprechen seiner Lebensversicherung vertraut, wird arm. Und wer so doof ist, einen dicken BMW für ein Spritsparauto zu halten, dem ist eben nicht zu helfen.
Kennzahl für die Klimakatastrophe
Der ECE-Wert ist aber dummerweise auch maßgeblich für die Errechnung des CO2-Ausstoßes - wie viel Kohlendioxid wir durch unseren Auspuff pusten, hängt schließlich direkt vom Benzinverbrauch ab. Und wenn alle offiziellen Spritangaben 20 bis 40 Prozent zu niedrig sind, blasen wir folglich deutlich mehr CO2 in die Atmosphäre als angenommen.
Daran kann eigentlich niemand Interesse haben - außer vielleicht die Autohersteller, die demnächst strengere CO2-Vorgaben einhalten müssen. Oder die EU-Umweltminister, die mit ihrer CO2-Statistik glänzen wollen. Es könnte also sein, dass wir uns mit dem ECE-Wert noch länger herumschlagen müssen. Da hilft wohl nur, auf Verbrauchswerte generell 50 Prozent draufzuschlagen. Dann liegt man vermutlich zehn Prozent zu hoch - aber immer noch besser, als 40 Prozent zu niedrig.