Aston Martin Lagonda, Bj. 1982 Das Auto von einem anderen Stern

Verschrobener Exot: Der Aston Martin Lagonda war 1976 nicht nur der teuerste, sondern auch der schnellste Wagen seiner Art. Zugleich war der Viertürer so bizarr, dass er extrem selten blieb. Zum Comeback der Marke stöberte SPIEGEL ONLINE jetzt ein Originalexemplar auf.
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Aston Martin Lagonda: Auto mit Lichtorgel an Bord

Foto: Tom Grünweg

Die Umstehenden raunten, als Aston-Martin-Chef Ulrich Bez vor einigen Wochen auf dem Autosalon in Genf einen neuen Lagonda enthüllte. Mit solch einem Koloss wollen die Briten ihre luxuriöse Schwestermarke wieder beleben? Das kann doch nicht ihr Ernst sein. Ist es aber. Und sobald man einen alten Lagonda zu Gesicht bekommt, versteht man auch warum. Denn ein Blick auf die 1976 präsentierte und 1989 eingestellte, bislang letzte Lagonda-Limousine beweist: Verschrobenheit und Formen jenseits der Norm sind für diese Marke stilbildend.

Ähnlich verstört wie in Genf dürften die Reaktionen gewesen sein, als der damals fast bankrotte Autohersteller Aston Martin 1976 auf der Motorshow in London jene 5,30 Meter lange Limousine präsentierte, die so fremd zwischen den Jaguar-, MG- und Rover-Typen stand wie Raumschiff Enterprise zwischen Jumbo-Jets. Als ließe sich Blech nur in scharfen Winkeln falten, formte Designer William Towns den Viertürer.

Der spektakulären Form wurde jede Menge Funktion geopfert. Zwar sollte der Lagonda ein komfortabler Gran Turismo werden mit Lederbank im Fond, doch reicht der Fußraum hinten allenfalls für Schuhgröße 36. Noch schriller geriet das Cockpit. In Zeiten, als Computer noch Wundermaschinen waren, baute Aston Martin rund ums Lenkrad viel Elektronik ein. Statt konventioneller Schalter gab es schwarze Sensorfelder, die auf Fingerzeig reagieren sollten. Das Klima wurde geregelt wie der Klang an einer High-End-Stereoanlage, und Banalitäten wie Tacho oder Drehzahlmesser waren durch Digitalanzeigen auf einem riesigen Tableau ersetzt. Sogar ein Sprachsyntheziser war an Bord, der der internationalen Kundschaft wichtige Hinweise im jeweils passenden Idiom geben konnte: Englisch, Französisch, Deutsch oder Arabisch - Knopfdruck genügte.

Empfindliche Technik und ein horrender Preis

Die Technik war jedoch so fragil, dass schon die Auslieferung immer wieder verschoben werden musste und der Lagonda erst zwei Jahre nach dem Messedebüt auf den Markt kam. Außerdem hatte der Ritt in die Zukunft seinen Preis: Die Angaben in den einschlägigen Foren schwanken zwischen 100.000 und fast 300.000 Mark, aber alle führen den Lagonda als teuersten Viertürer seiner Zeit, selbst ein Rolls Royce Silver Spirit war günstiger. Dafür war auch kein anderes Auto dieser Klasse schneller: Trotz mehr als zwei Tonnen Gewicht katapultierte der 5,3 Liter große V8-Motor mit rund 300 PS den Luxusliner auf bis zu 230 km/h - für eine Limousine war das damals Weltrekord.

Die Schickeria stand Schlange für den Exoten und rettet die Firma durch Anzahlungen vor der Pleite. Doch Aston Martin baute anfangs nur ein Auto pro Woche und musste die Elektronik immer wieder überarbeiten. Später gab es sogar Monitore und Leuchtbalken statt der Digitalziffern. Als nach 13 Jahren die Produktion eingestellt wurde, waren lediglich 645 Autos fertig geworden. Schnell, skurril, selten - damit wäre der Lagonda eigentlich das ideale Sammlerstück. Doch zur begehrten Rarität hat es angesichts des immensen Verbrauchs und der vielen technischen Defekte nicht gereicht: Auch bei PS-Nostalgikern führt das Auto nur ein Schattendasein.

Mobile Rarität zum Schnäppchenpreis

Das ist das Glück von Sammlern wie Jens Meiners aus Franken, der dem Lagonda erst spät verfiel den Wagen aus der Serie II für den Schnäppchenpreis von 28.000 Franken aus der Schweiz holte. "Da durfte man nicht lange überlegen: anrufen, hinfahren, zuschlagen", erinnert sich Meiners.

Der lindgrüner Luxusliner stammt aus dem Baujahr 1982, hat jetzt gut 80.000 Kilometer auf dem Zähler und noch nie eine größere Panne gehabt. Einer der beiden Elektromotoren, die die Haube aufstellen, ist kaputt, die Klimaanlage funktioniert nur manchmal, und die Sensortasten brauchen gelegentlich einen etwas festeren Druck.

Doch an die Schrullen hat sich Meiners gewöhnt. Selbst dass der Wagen seinen Besitzer nach zehn Sekunden auch bei laufendem Motor automatisch aussperrt, oder dass man erst nach dem Entfernen des Nummernschildes an das Kofferraumschloss kommt, stört ihn nicht mehr. Stattdessen freut er sich jedes Wochenende auf die Zeitreise, wenn er in den breiten Ledersessel sinkt, das futuristische Lenkrad in die Hände nimmt und vor ihm eine Anzeigenwand entflammt.

Zeitreise in einem Auto, das wie ein Raumschiff aussieht

So gerne man im Lagonda in fremde Räume und Zeiten entschweben möchte, so schnell holt einen der V8-Motor unter der endlos langen Haube wieder zurück ins Hier und Jetzt. Kaum dreht man den Zündschlüssel, bollert er tief und souverän aus den vier Endrohren, die unter dem Kofferkasten am Heck hervorlugen. Und sobald man die Füße im engen, leicht versetzten Schacht sortiert hat und das Gaspedal tritt, schießt der Wagen flott voran.

Natürlich wirken die von einer Drei-Stufen-Automatik sortierten 300 PS und fast 500 Nm heute lange nicht mehr so imposant wie noch vor 30 Jahren, und wahrscheinlich würde jeder BMW 5er den Lagonda stehen lassen - doch für einen Rentner ist der Wagen ausgesprochen rüstig. Und in der Kategorie "schillerndstes Auto" liegt er sehr weit vorn.

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