Audi-Motorrad Z02 "Wir sind doch kein Fahrradhersteller"
Auf so einen Verbündeten hatte der Ingenieur Roland Gumpert gewartet. Mitte 1972 heuerte bei seinem Arbeitgeber Audi ein forscher Hauptabteilungsleiter für Sonderaufgaben an: Ferdinand Piëch. Der neue Mann, er kam von Porsche, sorgte für frischen Wind bei den biederen Autobauern in Ingolstadt. Als einer seiner ersten Maßnahmen peitschte Piëch durch, dass kein neues Modell mehr ohne ausführliche Sommer- und Wintertests in die Produktion gehen solle.
"Das war die Geburtsstunde der Sommer- und Wintererprobungsfahrten. Für die Organisation der nun eingeführten Tests war ich Ferdinand Piëch direkt verantwortlich."
Roland Gumpert hatte Maschinenbau in Graz studiert und 1969 gleich nach dem Examen bei Audi in Ingolstadt angeheuert: zunächst als Versuchsingenieur und dann als Typbegleiter beim Kleinwagen Audi 50. Später war er Abteilungsleiter der Versuchsabteilung, in der er auch seiner Leidenschaft frönen konnte: Motorrädern.
"Ich hatte schon immer an Motorradln rumgeschraubt, meine erste Maschine war eine alte Zweitakter-Puch. Und bei Audi gab es ja die alten Neckarsulmer NSU- und DKW-Leute, die nach Ingolstadt gekommen waren. Zweirad-Tradition und Know-How gab es also noch, und Ferdinand Piëch war ja auf seine Art auch ein Motorrad-Verrückter. Als wir mit der Idee rausgerückt sind, in unserer Versuchsabteilung ein Audi-Motorrad zu bauen, war er sofort begeistert, hat aber gesagt: 'Machen Sie das heimlich. Bevor das rauskommt, müssen wir was Brauchbares vorweisen können.'"
BMW-Motorrad als Grundlage
Im Sommer 1975 bauten Gumpert, sein Werkstattmeister Bernd Jäger und zwei Mechaniker in einer Ecke ihrer Versuchsabteilung einen kleinen, abgeschlossenen Holzverschlag für ihr klandestines Projekt. Gumpert kaufte bei BMW in Ingolstadt eine gebrauchte R 90S, ließ das Gefährt völlig auseinandernehmen, und pflanzte an Stelle des bayerischen Boxer-Motors ein Audi-Aggregat ein: den 60 PS starken Vierzylinder des Audi 50 mit knapp 1,1 Liter Hubraum. Um den wassergekühlten Trumm mit dem außen liegenden Zahnriemen einzupassen, wurde der BMW-Rahmen flugs passend geschweißt und statt des Kardans eine handgefertigte Schwinge verbaut. Für die Kraftübertragung griffen Gumpert und seine Crew auf eine Kette - das Getriebe und die Kupplung der Versuchsmaschine stammten aus einer ausgeschlachteten Commando des britischen Herstellers Norton.
"Statt den Audi-Vergasern haben wir uns welche von Bing ausgesucht, die Auspuffkrümmer haben wir selber gebaut, genauso die Alu-Deckel, mit denen der Zahnriemen und die Kupplung verkleidet sind. Und das Design war auf der Höhe des damaligen Geschmacks - teilweise natürlich mit den BMW-Teilen, aber auch mit den Gussrädern von Ronal und dem kleinen Handschuhfach im Tank. Ein klasse Motorradl."
Ein irres Drehmoment
Anfang 1977 war die Z02 - eine Z01 gab es nie - fahrbereit und Gumpert spulte die ersten tausend Testkilometer ab. Bevorzugt am Wochenende und nächtens auf den Autobahnen im Süden der Republik erprobte er den geheimen Prototyp im Dauerlauf.
"Der Motor hatte ein irres Drehmoment und lief wie eine Eins, aber das Norton-Getriebe war nicht auf diese Kräfte ausgelegt. Auf Dauer hätte es durch eine Eigenentwicklung ersetzt werden müssen. Bei den Testfahrten war das oft schon sehr kritisch. Mir ist bei 200 km/h oft der Gedanke durch den Kopf geschossen, was machst Du eigentlich, wenn jetzt das Getriebe versagt oder die Kette reißt?"
Die Volkswagen AG hatte 1964 das Ingolstädter Werk der alten Auto Union gekauft und bestimmte damit die Geschicke von Audi, die 1977 noch Audi NSU Auto Union AG hießen. Ferdinand Piëch hatte noch nicht das Sagen, alle strategischen Entscheidungen in der Konzernzentrale in Wolfsburg wurden noch ohne sein Votum gefällt.
Für die Ingolstädter war das bitter: 1978 etwa wurde die Produktion des erfolgreichen Audi 50 zugunsten des baugleichen Polo der Wolfsburger Mutter eingestellt. Auch über die Zukunft der Z02 musste weit weg von Ingolstadt entschieden werden. Piëch und Gumpert hatten nicht nur eine Klasse Maschine, sondern auch eine Vision: Auf der Basis der Z02 sollte sich neben BMW ein zweiter deutscher Konzern als Motorradhersteller etablieren; gebaut werden sollten die Audi-Maschinen mit 1,1 und 1,3 Liter Hubraum im neuen VW-Werk in Brasilien.
Ein kurzer Blick, dann war es vorbei
"Ende der siebziger Jahre gab es ja noch nicht diese ausgefuchste Marktforschung von heute, da wurden viele wegweisende Entscheidungen noch aus dem Bauch heraus getroffen. Als wir damals 1977 nach Wolfsburg gefahren sind, um die Z02 vorzustellen, hatten wir deshalb schon Bedenken: Wenn der Entscheidungsträger nicht aus dem Fahrzeugbau kommt, sondern mit zwei linken Händen versehen ist und Juristerei studiert hat, dann kann es schwierig werden, hab ich mir gesagt. Und prompt ist es auch so gekommen - der damalige Vertriebschef Schmidt, der zweitwichtigste Mann im Konzern, hat sich die Z02 kurz angeschaut, und dann kam die ernüchternde Antwort, die ich nie im Leben vergessen werde: 'Wir sind doch keine Fahrradhändler.' Damit war die Z02 mausetot."
Roland Gumpert ist überzeugt, dass es heute Audi-Motorräder geben würde, wenn Schmidt selbst einmal auf einer Maschine gesessen hätte. Er tröstet sich damit, dass das Verwerfen von Prototypen das täglich Brot von Entwicklungsingenieuren ist, und zumindest sein Folgeprojekt überaus erfolgreich war - der permanente Vierradantrieb des VW Iltis und in der Folge des Audi Quattro. Auch für ihn hat er kämpfen müssen; VW traute dem Segment am Anfang keine zweihundert Stück zu. Gumpert wurde mit der Innovation Rennleiter von Audi Sport und holte vier Rallye-Weltmeister-Titel.
Die Z02 steht heute fahrbereit im Audi Forum in Ingolstadt nicht weit vom Ur-Quattro. Ihr Erfinder baut die radikalen und superschnellen Apollos in der eigenen Gumpert Sportwagenmanufaktur. Mit Audi-Motoren.