Schönes Ding: BMW Garmisch Gipfel der Kantigkeit

Sogar das Markenzeichen, die BMW-Niere, geriet beim Modell Garmisch zu zwei langgestreckten Sechseck-Formen
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Attraktionen gab es auf dem Automobilsalon in Genf im Frühjahr 1970 zuhauf: Citroën enthüllte den SM mit Maserati-Motor, der Schweizer Firma Monteverdi stellte den Extrem-Zweisitzer Hai vor, Pininfarina präsentierte den Ferrari Modulo.
Gegen solche PS-Exoten musste eine auf Großserientauglichkeit ausgelegte Studie profan wirken: der BMW Garmisch. Das elegante Coupé im Farbton »Champagnergold metallic« wurde von der italienischen Karosseriefirma Bertone gezeigt. Bertone-Chefdesigner Marcello Gandini hatte den Wagen in Form gebracht. Er war einer der einflussreichsten Autogestalter dieser Epoche – unter anderem schuf er den Lancia Stratos, den Lamborghini Miura und den Alfa Romeo Carabo.

BMW Garmisch: Schnörkel verboten!
Gegen diese spektakulären Fahrzeuge wirkt der BMW Garmisch auf den ersten Blick etwas nüchtern und zu glatt. Doch darin liegt bis heute sein Reiz, wie auch in einigen cleveren Extravaganzen von Gandini. Und sein Erfolg: Die Studie war so etwas wie die gestalterische Keimzelle des ersten BMW 5er, der 1972 auf den Markt kam und bis heute gebaut wird, inzwischen in der siebten Generation.
Dass es so weit kommen würde, ahnte damals niemand. »Wir wollten ein Mittelklasse-Coupé entwickeln, das einerseits der Formensprache von BMW treu blieb, andererseits aber auch etwas dynamischer herüberkam und sogar ein wenig provozierte«, sagte Gandini später über das Projekt, mit dem Bertone hoffte, bei BWM zu landen.
Radio und Heizungsregler stehen senkrecht
Auffällig an der Studie Garmisch war die Frontpartie mit den rechteckigen, üppig verglasten Scheinwerfern und der geradlinigen Doppelniere im Zentrum. Sodann die glatt geschliffenen Flanken, an denen die Lufteinlässe in der C-Säule umso kecker wirkten. Und schließlich die wabenförmige Sonnenblende auf dem Heckfenster. Im Auto herrschte großzügige Eleganz in Braun und Beige – dazu gab's eine raffinierte Irritation. Denn Radio und Heizungsregler waren um 90 Grad gedreht und hochformatig im Übergang zwischen Armaturentafel und Mittelkonsole untergebracht.
Bertone kleidete für das Garmisch-Unikat damals einen BMW 2002 ti komplett neu ein. Unter der Haube steckte die vertraute Technik, ein 2-Liter-Vierzylindermotor mit zwei Doppelvergasern und 120 PS Leistung. Ob der Wagen jemals gefahren wurde, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Kurz nach dem Auftritt auf dem Autosalon verliert sich die Spur des BMW Garmisch. Ob und an wen er verkauft wurde? Ob er für andere Projekte zerlegt wurde? Ob er in irgendeiner Lagerhalle verschwand, wo er bis heute auf seine Entdeckung wartet? All diese Fragen sind ungeklärt.
Spurlos verschwunden, trotzdem stilprägend
Fest steht nur: Der BMW Garmisch beeinflusste die Formensprache der Münchner Autobauer in den Siebzigerjahren und darüber hinaus erheblich, obwohl aus ihm kein direktes Serienmodell wurde. Die Extravaganz des Entwurfs und seine formale Bedeutung für die Marke waren zwei wesentliche Gründe, die BMW-Designchef Adrian van Hooydonk vor drei Jahren veranlassten, eine originalgetreue Neuauflage des BMW Garmisch aufbauen zu lassen. Das Remake der Bertone-Studie von 1970 wurde beim Concorso d'Eleganza Villa d'Este im Frühsommer 2019 gezeigt.
»Indem wir den BMW Garmisch ein zweites Mal entstehen lassen, möchten wir Marcello Gandini die Ehre erweisen, uns eines seiner weniger bekannten Automobile in Erinnerung zu rufen, und den stilistischen Einfluss von Bertone auf die Evolution des BMW-Designs beleuchten«, sagte van Hooydonk bei der Vorstellung des Nachbaus. Gandini habe mit wenigen Designelementen stets etwas Spektakuläres geschaffen. »Diesen Ansatz, mit einfachen Mitteln viel zu erreichen, halte ich noch immer für äußerst modern.«
Und offenkundig inspiriert der BMW Garmisch noch heute die Kreativen bei der weiß-blauen Marke. Die hochformatig angeordnete Doppelniere beispielsweise, die den Bug der Studie dominiert, erlebte derzeit beim neuen M3 sowie beim Elektromodell i4 eine Renaissance. Selten dürfte ein spurlos verschwundenes Vorbild noch 50 Jahre später derart großen Einfluss auf Serienprodukte gehabt haben.