
Schlafen im Auto: Der Fahrtenzwerg
Schlafen im Auto Das vermutlich kleinste Wohnmobil Deutschlands
Als Sebastian Schille und Antje Gustavus an diesem Leipziger Sommertag in ihrem Auto um die Ecke biegen, stehen sie augenblicklich im Mittelpunkt: Kellner drehen ihre Köpfe, Passanten blicken zur Straße, und ein paar Kinder winken sogar. Der Wagen ist mickrig, aber umso auffälliger: rot mit blauer Motorhaube, Dachgepäckträger, erkennbar vollgeladen und mit etlichen Beschriftungen liebevoll verziert. Es ist ein Daihatsu Cuore, vor allem aber ist der 3,40-Meter-Autozwerg das vermutlich kleinste Wohnmobil Deutschlands.
Die Marke Daihatsu ist seit Anfang 2013 gar nicht mehr in Europa vertreten, der Wagen ist schon allein deshalb eine Rarität. Für das Modell von Schille und Gustavus, einen Cuore L701, Baujahr 2000, 55 PS, 720 Kilogramm Leergewicht und 140 Sachen Höchstgeschwindigkeit gilt das jedoch umso mehr: Denn der Kleinwagen bietet dank einer raffinierten Eigenbau-Einrichtung alles, was die beiden für ihre ausgedehnten Campingurlaube brauchen.
"Den Cuore habe ich Anfang 2016 im Internet entdeckt und fand ihn auf Anhieb niedlich", sagt Schille. 500 Euro kostete das Auto, und eigentlich war der Knirps als Zweitwagen gedacht, um das andere Auto der beiden, einen Peugeot-Bus vom Typ Expert Tepee, im Alltag zu schonen. Mit dem Peugeot nämlich fuhren Schille und Gustavus regelmäßig in den Campingurlaub. Irgendwann jedoch wurde dem Bauzeichner-Paar der Peugeot zu schwerfällig und unpraktisch - und es reifte eine Idee: Wie wäre es, den Daihatsu zum Wohnmobil umzubauen?
Aus dem Plan wurde ein Projekt, und aus dem Projekt ein Paradebeispiel für zentimetergenaues Packaging. Mit viel Ausdauer, Kreativität und exakt zugesägten Hölzern zimmerten Schille und Gustavus dem Cuore eine Einrichtung anstelle der Fondsitze (die ausgebaut wurden), mit der sich das Auto binnen einer Minute zum Schlafzimmer verwandeln lässt. Dazu müssen lediglich Fahrer- und Beifahrersitzlehnen nach hinten geklappt werden, so dass sich die Matratzenauflage ausfalten lässt und so eine Liegefläche von 1,80 mal 1,10 Meter entsteht. Unter dem Bett befinden sich zwei große Staufächer, der Rest der Campingausrüstung ist auf dem Dach untergebracht.
"Man muss beim Schlafen nur aufpassen, dass man nicht aus Versehen gegen die Hupe kommt und den ganzen Campingplatz weckt", sagt Antje Gustavus. "Ansonsten ist der Kleine aber saugemütlich."
Und er ist ein Kontaktknüpfer ersten Ranges. "Allein schon, weil man ziemlich oft auf das Auto angesprochen wird", sagt das Camping-Pärchen. Das sieht dann oft so aus, dass die Campingplatz-Nachbarn schon nach ein paar Minuten vor dem Mini-Wohnmobil stehen und sich kopfschüttelnd und staunend die Ausrüstungs-Raffinessen erklären lassen.

Schlafen im Auto: Der Fahrtenzwerg
Deutschland, Polen, Skandinavien, Italien - Schille und Gustavus sind, so oft es geht, auf Reisen. Allein im vergangenen Jahr waren sie mit dem Cuore rund 10.000 Kilometer auf Urlaubsfahrten . Die nächste, für drei Wochen geplante Tour soll von Frankreich über Spanien nach Portugal und zurück gehen. "Bei uns artet das meist ein bisschen aus", sagt Schille. "Aber wir lieben dieses Freiheitsgefühl - und Auto fahren sowieso."
In den Urlaub fliegen? Nicht unser Ding!
Mittlerweile sind die beiden Profis, was das Minimalisten-Campen angeht. Denn ehe sie einen Cuore zum Wohnmobil erkoren, sammelten sie schon einmal Erfahrung mit einem Mini-Camper. Das war 2007. Damals wollten sie ursprünglich mit einem gemieteten Wohnmobil drei Wochen lang durch Norwegen reisen. Nach der Sondierung einiger Angebote war jedoch klar, dass ein solcher Urlaub viel zu teuer ist. "Die Mietpreise sind extrem und am Ende gehört dir nichts", sagt sich Gustavus. "Und wir hatten ja ein Auto, es war allerdings ein Opel Corsa."
Als Sebastian Schille dann erstmals ein Auto ausmaß, um es zu einer Urlaubsbehausung auszubauen, sammelte er die ersten Erfahrungen dieser Art. Nach dem Umbau beherbergte der Corsa unter anderem ein Doppelbett (120x190 Meter), einen Wasserspender sowie einen aus dem Heck ausziehbaren Esstisch. Zusätzlich wurde noch ein Vorzelt an der geöffneten Heckklappe befestigt - fertig war die Kleinwagen-Wohnung für den Norwegen-Urlaub.
In dem Mini-Mobil ließ es sich besser leben als gedacht. Ihre Erlebnisse veröffentlichten Gustavus und Schille in einem Blog. Dort ermunterten sie auch ausdrücklich Nachahmer mit Hilfe von detaillierten Bauplänen und zahlreichen Handwerks-Tipps. Ferien als eine Art Gesamtkunstwerk. In den Urlaub fliegen? "Nicht unser Ding", sagt Gustavus, "wir wollen unterwegs sein, was erleben und so viel wie möglich sehen."
Ein Elektromotor, das wäre es
Als der Corsa schlappmachte, kam zwischenzeitlich der Peugeot-Bus als Campingwagen ins Spiel, dann aber der Rückfall in den Minimalismus. Und zwar noch radikaler als zuvor, denn der Daihatsu Cuore ist rund 60 Zentimeter kürzer als ein Opel Corsa. Ein Vorzelt bauen Schille und Gustavus nun auch nicht mehr auf, und die Wasserversorgung wanderte vom Kofferraum in einen Kanister auf dem Dach.
Das war allerdings gar nicht so einfach. "Um einen Dachgepäckträger für den Cuore zu bekommen, musste ich Detektivarbeit leisten", sagt Schille. "Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis ich alle Einzelteile zusammenhatte." Schließlich gelang es, einen Eigenbau-Dachträger aus den Einzelteilen dreier verschiedener Gepäckträger zu konstruieren. Auch für die Aufhängung des vorderen Teils der Liegefläche wurde eine ungewöhnliche Lösung gefunden. "M6-Gewinde im Rahmen eines Autos - eine absolute Seltenheit", ruft Schille und zeigt auf die Gewinde oberhalb der Türöffnungen, in denen vorher die Haltegriffe befestigt waren. Jetzt werden dort die Karabinerhaken eingeklinkt, die das Doppelbett in der Waagerechten halten.
Nur eines fehlt dem kleinen Weltenbummler noch: ein E-Motor. "Das würde das Auto wirklich perfektionieren", sagt Schille. "Wenn die Technik soweit ist, werde ich auf jeden Fall schauen, was möglich ist." Umbau- und Reisepläne gibt es mehr als genug. Sebastian Schille und Antje Gustavus haben an den Cuore ihr Herz verloren (was passt, denn Cuore ist italienisch und bedeutet übersetzt: Herz). Und so geht es auch vielen, die das Auto erstmals zu Gesicht bekommen. Etwa den Kindern, die in einigen italienischen Dörfern hinter dem Auto herliefen. Oder den Anzugträgern in Göteborg. Gustavus berichtet: "Als wir da durch das Bankenviertel fuhren, haben sich einige Banker aufgestellt und eine La-Ola-Welle für uns gemacht. Da geht einem wirklich das Herz auf."