
Historische Fahrräder: Der große Preis von Patina
Historische Fahrräder Kampf ums Tret-Juwel
Alten Fahrrädern begegnet Ulrich Gumz mit der Fürsorge eines Arztes. Er tastet sie ab, hört ihren Bewegungen zu und stellt am Ende sogar Diagnosen: "Das ist mein neuer Patient", sagt Ulrich Gumz und zeigt auf das goldene Rennrad aus den Achtzigerjahren, das in seiner aufgeräumten Garage steht. In den Speichen hängen noch die Spinnweben. Doch bis auf die natürliche Patina sieht das Koga Miyata für den Laien fahrbereit aus. Woran der Patient krankt? "Alle Lager müssen erst mal inspiziert werden; neue Reifen sind wohl auch fällig", sagt der 55-Jährige im Blaumann. "Dann noch waschen, polieren und ölen."
Gumz gehört zu einer größeren Truppe von Fahrradliebhabern aus Hamburg, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, historische Räder zu erhalten - und das möglichst originalgetreu. Einige von ihnen kennen sich über den Altonaer Bicycle Club von 1869/80 , den nach eigenen Angaben ältesten Bicycle Club der Welt. Viele Wochenenden im Jahr treffen sie sich bei Gumz zum gemeinsamen Restaurieren. Doch ihre Liebe zu den Oldtimern auf zwei Rädern wird derzeit auf eine harte Probe gestellt. Ähnlich wie beim Auto steigen die Preise für alte Fahrräder, besonders für Ersatzteile.
"Für eine Campagnolo-Schaltung rufen die Anbieter bei Ebay mittlerweile 80 bis 100 Euro auf", erzählt Michael Jahnke, der auch zur Gumz-Reparaturgruppe gehört. "Im vergangenen Jahr kostete die Schaltung noch die Hälfte." Er selbst fährt ein goldenes Alan-Rennrad. Dafür reiste er nachts nach Kassel, nachdem er es bei Ebay günstig entdeckt hatte. Um 23 Uhr war das Rad dann seins.
Jugendträume für Ü30er
Es sind bestimmte Namen, die die Fahrradszene elektrisieren und die Preise in absurde Höhen treiben. Der des niederländischen Herstellers Koga, der ab 1976 eine Zeit lang mit dem renommierten japanischen Rahmenbauer Miyata unter dem folgerichtigen Namen Koga-Miyata Fahrräder baute, gehört sicherlich dazu. Gleiches gilt für die Räder und Rahmen des ehemaligen belgischen Radrennsportlers Eddy Merckx. Bei den Schaltungen treibt der Name des italienischen Familienbetriebs Campagnolo die Preise.

Ulrich Gumz begutachtet ein Laufrad
Foto: Lisa MeinenDoch die Preisrallye beschränkt sich längst nicht nur auf Rahmen und Schaltungen. Auch bestimmte Kleinteile wie Klingeln, Vorderlampen und Schutzbleche schaffen es immer wieder in Preisregionen, für die andere Menschen ganze Räder kaufen. Eine seltene Vorderlampe aus den Dreißigerjahren bei Ebay? Gesehen für 650 Euro. Zu Großveranstaltungen wie der Eroica in der Toskana reisen Fahrradfans nicht mehr allein wegen des historischen Radrennens, sondern längst wegen des umfangreichen Teilemarkts.
"Fahrrad liegt total im Trend", sagt Jahnke. "Auf jeder sechsten Seite im Ikea-Katalog parkt ein Fahrrad in der Wohnung. Es ist zum Stilelement geworden". Doch genau diese Mode macht den Schraubern das Leben schwer. "Die Zielgruppe wächst, aber die Zahl der Räder ist begrenzt", sagt Jahnke. Kleines Angebot, große Nachfrage, das treibt die Preise.
Es sind vor allem Männer Ü30, die nun mit einem guten Job an der Hand ihre bisher unerfüllten Jugendträume wahr werden lassen. Für eine der letzten in Japan handgefertigten Shimano-Schaltgruppen wie die XTR M900 legen sie dann mehr als 600 Euro auf den Tisch, etwa den Neupreis von damals.
Auf "Trophäenjagd"
Wie sehr die Szene im Goldrausch ist, zeigt die Kollektion Embacher, die Fahrradsammlung des gleichnamigen Wiener Architekten. Im vergangenen Jahr wurden die historischen Bikes aus 100 Jahren Fahrradgeschichte im ehrwürdigen Auktionshaus Dorotheum versteigert. Zwar gingen dort keine Teile über den Tisch, doch die Preisentwicklung für Komponenten und ganze Räder läuft nahezu parallel. So brachte es ein Faltrad von Sir Alex Moulton, das "One Off Moulton", auf 30.000 Euro, das Modell "Laser" des italienischen Fahrradherstellers Cinelli ging für 16.250 Euro weg.
"Verrückt", finden das die Männer um Ulrich Gumz. Und sie leiden darunter. Früher stand bei ihnen das Schrauben im Mittelpunkt, die tatsächliche Arbeit am Rad. Die Ersatzteilbeschaffung lief zwar auch damals schon vorwiegend über das Internet ab, nahm aber nur wenig mehr Zeit in Anspruch als der Gang in den Laden zum Kauf eines Neuteils.
Heute entfachen historische Teile auf den gängigen Verkaufsplattformen Bietergefechte, die oft den Anschein einer "Trophäenjagd" haben, wie Jahnke sagt. Zwar sehen sich die Restaurateure aus Hamburg von der neuen Konkurrenz fahrradbegeisterter Großstädter mit Hang zum zweirädrigen Statussymbol nicht bedroht. Doch der Zeitaufwand für die Teilebeschaffung steigt durch diese Entwicklung stetig weiter.
Das geschenkte Diamant-Fahrrad entpuppte sich als echtes Juwel
Immer noch werden sie im Netz fündig, doch dabei müssen sie deutlich trickreicher vorgehen. Die Hobby-Mechaniker suchen bewusst Angebote mit Vertippern und falschen Suchbegriffen in der Artikelbeschreibung. Unscharfe Fotos schrecken Mode-Fahrradfans ab und rufen genau deswegen Gumz und seine Truppe auf den Plan. Ebenfalls Aussicht auf Erfolg versprechen Abbildungen von ganzen Kartons mit Krimskrams. Sie werden von den Schraubern genauer untersucht, ob sich in dem bunten Allerlei nicht eine Nabe, Klingel oder ein Kettenblatt verbirgt, das allein schon mehr wert ist als das abgegebene Gebot. Um Angebote mit Zusätzen wie "Dachbodenfund", "Kult" oder "Vintage" machen sie eher einen Bogen - diese Suchbegriffe deuten oft auf profitgetriebene Verkäufer hin.

Restauriertes Fahrrad der Marke Diamant
Foto: Lisa MeinenManchmal braucht man auch einfach nur Glück. Wie Nico Thomas. Er erhielt sein hellblaues Diamant-Fahrrad aus der Vorkriegszeit geschenkt. Eigentlich wollte er nur einem Fahrradhändler, der aus Altersgründen seinen Laden schließen musste, einige alte Ersatzteile abkaufen. Daraufhin bot der ihm ein altes Fahrrad aus dem Keller an.
Thomas dachte, er halte einen Teileträger in der Hand. Ein altes Stahlross, von dem man vielleicht noch die ein oder andere Schraube verwerten könne. Doch unter den vielen Lackschichten verbarg sich ein echtes Diamant - ein Renner aus der Fahrradfabrik aus Chemnitz. Zwar war der Vorbau hinüber, der Lenker zu nichts mehr zu gebrauchen und auch das Kettenblatt musste ersetzt werden. Doch Diamant - lange verpönt als DDR-Marke - feiert bei Kennern derzeit ein Revival. Schon früh baute der Hersteller innovative Fahrräder, die Straßenweltmeisterschaften gewannen.
Thomas schickte sein geschenktes Rad "einmal auf die große Hafenrundfahrt", wie er die Komplettrestauration nennt. Nach der Generalüberholung liegt der geschätzte Marktwert bei gut 1000 Euro.
Auf dem mühsamen Weg zum Tret-Juwel kam auch der von den Hobby-Schraubern genannte "heilige Gral" von Gumz zum Einsatz, ein Spezialwerkzeugkoffer der Kult-Marke Campagnolo. Gumz besitzt ihn aus seiner Zeit als Fahrradhändler und irgendwie steht auch dieser Werkzeugkoffer wie ein Symbol für das, was auf dem Fahrradmarkt gerade passiert. Gumz erwarb das Werkzeug als Gebrauchsgegenstand und benutzt es bis heute. Doch auch der alte Kasten ist längst ein gesuchtes Teil und hat sich zu einem kleinen Schatz gewandelt: Kenner bieten für den "Cassetta grande Utensili" genannten Koffer bis zu 3000 Euro - der Neupreis lag in den Achtzigern bei etwa 4000 Mark.