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Fahrrad-Blog: Die Fahrräder von Alex Singer

Foto: Severin Neukirch

Radel verpflichtet Der Fahrradgott

Ein kleines Häuschen in der Nähe von Paris: "Alex Singer" steht in großen Buchstaben über dem Eingang. Hier werden noch immer die schönsten Fahrräder der Welt gebaut.

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Foto: Hanna Becker

Zunächst deutete wenig auf eine andauernde Liebesaffäre hin. Die erste Begegnung mit einem Fahrrad, an die Ralf Neukirch sich erinnert, endete mit einem Sturz. Doch irgendwann wurde für den SPIEGEL-Redakteur das Radfahren von der Notwendigkeit zur Leidenschaft. Seither hält er es mit John F. Kennedy: "Nichts ist vergleichbar mit der einfachen Freude, Rad zu fahren."

Von den schönen Momenten, aber auch den sportlichen, technischen und persönlichen Herausforderungen des Radfahrens erzählt Ralf Neukirch regelmäßig in diesem Blog. 

Die Fahrt mit dem Nahverkehrszug aus dem Zentrum von Paris in die kleine Vorstadt Levallois-Perret dauert eine Viertelstunde. Anschließend muss ich noch zehn Minuten zu Fuß gehen, dann stehe ich vor dem Gebäude, das ich schon oft auf Fotos gesehen habe.

Als ich die Tür öffne, fühle ich mich in die großen Zeiten des Fahrrads zurückversetzt: Im Jahr 1938 hat der aus Ungarn eingewanderte Fahrradingenieur Alex Singer  hier seine Manufaktur gegründet, seit 1945 sehen Laden und Werkstatt im Wesentlichen aus wie heute. Der bunte Mosaikboden ist noch immer der gleiche wie damals und die Fahrräder, die im Schaufenster nebeneinander stehen oder aufgereiht an der Wand hängen, könnten auf den ersten Blick ebenfalls aus dieser Zeit stammen.

"Hier hat sich seit Jahrzehnten nichts verändert", sagt Oliver Csuka, ein Großneffe Singers, der seit einigen Jahren das Geschäft führt. Nur die alte Registrierkasse mit dem lackierten Holzgriff musste mit der Einführung des Euros einer moderneren weichen.

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Fahrrad-Blog: Die Fahrräder von Alex Singer

Foto: Severin Neukirch

Alex Singer ist kein Name, der unter Fahrradfreunden einen Klang hat wie Bianchi, Cinelli oder Pinarello, die italienischen Rahmenbauer aus der goldenen Ära der Stahlrennräder. Das ist ungerecht, denn was die Qualität und die Innovationsfreude angeht, konnte es Singer mit den Italienern allemal aufnehmen. Er war neben Rene Herse und Jo Routens einer der großen französischen Constructeurs, die in den Vierziger- und Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts Traumräder gebaut haben, die nicht nur wunderbar aussahen, sondern auch technisch Spitze waren.

Singer ist vor allem für seine Randonneure berühmt, das sind mit Schutzblechen, Gepäckträger und oftmals Licht ausgestatte Rennräder für lange Touren mit leichtem Gepäck. Die Fahrräder sind auf Geschwindigkeit, Zuverlässigkeit und geringes Gewicht ausgelegt. Singer präsentierte im Jahr 1946 bei einem Wettbewerb ein Rad, das (ohne Reifen) gerade mal 6,875 Kilo wog - einschließlich Schutzblechen, Gepäckträgern, Licht und sogar einer Pumpe. Ich bin noch kein alltagstaugliches modernes Rad gefahren, das diese Werte erreicht.

Nur schauen, nicht fahren - Ich kann das verstehen

"Das Besondere an unseren Rädern ist, dass sie bis ins kleinste Detail aufeinander abgestimmt sind", sagt Olivier Csuka und zeigt mir einen Rahmen, den er gerade fertig gelötet hat. Er ist für einen Kunden, der an der 1200 Kilometer langen Traditionsfahrt Paris-Brest-Paris teilnehmen will, die alle vier Jahre stattfindet. Der Gepäckträger fehlt noch, er wird ebenso handgefertigt wie der Vorbau, der den Lenker hält.

Alex-Singer-Fahrräder sind mehr als nur gut funktionierende Maschinen, sie sind kleine Kunstwerke. Es gibt Sammler aus Japan, wo Design traditionell einen hohen Stellenwert genießt, die kaufen sich ein Singer-Fahrrad mit Originalbauteilen - um es zu bewundern, nicht, um es zu fahren. Ich kann das verstehen.

Von Singer-Rädern geht ein Zauber aus, der modernen Rädern fehlt. Die klassische Singer-Farbe ist Bleu Rex, Königsblau, aber es gibt die Räder auch in elegantem Grün oder knalligem Orange. Viele Rahmen schmückt eine feine Goldlinierung.

Die Goldverzierung ist ein Markenzeichen von Singer

Die Goldverzierung ist ein Markenzeichen von Singer

Foto: Christian Bille

Die Befestigung der Rücklichter, die Halterung für die Fahrradpumpe, alles ist funktional und ästhetisch perfekt. An den Spitzen der Gabeln funkelt Chrom. "Früher haben wir auch viele Rahmen verchromt", sagt Csuka. "Das ist leider zu teuer geworden."

Csuka hat die Fahrradmanufaktur Mitte der Neunzigerjahre von seinem Vater Ernest übernommen, einem Neffen Alex Singers, der sich 1962, zwei Jahre vor seinem Tod, zurückgezogen und Ernest die Geschäfte übergeben hatte. Zu den Hochzeiten wurden bei Singer etwa 110 Räder im Jahr gebaut. Heutzutage ist es nicht viel mehr als ein Dutzend. Olivier Csuka arbeitet tagsüber bei einer Versicherung, das Bauen der Räder ist sein Nebenberuf.

Zweirad als Gesamtkunstwerk

In den vergangenen Jahren ist das Interesse an den Rädern aus Levallois wieder gestiegen. Das ist vor allem der Verdienst des deutsch-amerikanischen Journalisten Jan Heine , der mit seiner Zeitung "Bicycle Quarterly"  maßgeblich zur Wiederentdeckung der Constructeurs beigetragen hat. Ein Massenprodukt wird Singer dennoch nie werden, ein Randonneur kostet rund 7500 Euro.

Der Rahmen macht dabei nur einen Teil der Kosten aus. "Die Leute denken, der Rahmen ist das wichtigste", sagt Csuka. "Dabei ist es das ganze Ensemble, das zueinander und zum Fahrer passen muss."

Ein Alex-Singer-Randonneur kauft man als Gesamtkunstwerk. Die handgemachten Gepäckträger, auf Wunsch demontierbar, sind ebenso auf den Rahmen abgestimmt wie die Befestigung der Rücklichter oder die Halterung für die Fahrradpumpe. Das alles ist Handarbeit und hat seinen Preis. Hinzu kommt die aufwendige Lackierung. Der Preis für eines der Räder scheint nicht mehr ganz so absurd, wenn man bedenkt, dass ein Spitzenrad aus Carbon mit entsprechender Ausstattung auch die 10.000-Euro-Marke erreichen kann.

Härtetest Paris-Brest-Paris

Auch wenn Singer-Räder bei Sammlern beliebt sind, sie sind keine Räder nur fürs Privatmuseum. Csuka zeigt mir das Foto einer blau lackierten Schönheit, mit der ein Kunde vor zwei Jahren die Strecke Paris-Brest-Paris in knapp 50 Stunden gefahren ist.

Das würden auch auf einem hochgezüchteten Leichtgewichtsrenner nicht viele schaffen. Hätte ich die Wahl: Ich wüsste, für welches Fahrrad ich mich entscheiden würde.

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