Steve McQueens Kultfilm "Le Mans" "Lass die anderen quasseln"

Steve McQueen war so besessen wie verschlossen. Doch beim Dreh zu seiner Rennsport-Hommage "Le Mans" öffnete er sich einem Kollegen: Hier erinnert sich Schauspieler Siegfried Rauch an den Hollywoodstar.
Filmszene aus "Le Mans"

Filmszene aus "Le Mans"

Foto: DDP

"Komisch", sagt Siegfried Rauch, "obwohl so viel Zeit vergangen ist, erinnere ich mich noch an fast jeden Drehtag zu 'Le Mans'. Bei anderen Filmen weiß ich gar nicht mehr, ob ich wirklich mitgespielt habe". Rauch, 84 Jahre alt, sitzt am Tisch seines Bauernhauses in der bayerischen Provinz und hat sich eine Pfeife angezündet. Es ist 46 Jahre her, dass der Schauspieler für "Le Mans" vor der Kamera stand.

"Le Mans", das war eine Hommage in Spielfilmlänge an das 24-Stunden-Rennen in Nordfrankreich. Es war auch das wahnwitzige Projekt eines der größten Hollywoodstars der damaligen Zeit: Steve McQueen.

Der "King of Cool" war ein Geschwindigkeitsfanatiker, vernarrt in Autos und Motorräder. In seinen Filmen lebte er diese Obsession aus - und setzte oftmals durch, dass Fahrzeuge eine wichtige Rolle in der Handlung spielen. In "Bullitt" hatte er sich am Steuer eines Ford Mustang eine irre Verfolgungsjagd geliefert, in "Gesprengte Ketten" war er den Nazis auf einem Motorrad davongebraust und samt Bike über einen Grenzzaun gesprungen.

In "Le Mans" sollte die Handlung nun ausschließlich von Benzin vorangetrieben werden. Eine einzige Verfolgungsjagd zwischen Rennwagen, viel Action, wenig Dialoge. Es dauert tatsächlich mehr als eine halbe Stunde, ehe ein Schauspieler in dem Film die ersten Worte spricht. Ein Liebesgeschichte wird höchstens angedeutet, aber selbst dazu musste McQueen überredet werden.

Der Film geriet dann zum Kassenflop.

"Das war mir schon vorher klar. Den meisten Zuschauern fehlte einfach eine richtige Story", erzählt Siegfried Rauch. Er spielte in "Le Mans" den Rennfahrer Erich Stahler, Konkurrent von Steve McQueen alias Michael Delaney. "Trotzdem", sagt Rauch, "werde ich heute noch oft auf den 'Le Mans' angesprochen. Mit so einem Aufwand ist nie wieder ein Film über Autorennen gedreht worden."

"Le Mans" gilt tatsächlich längst als Klassiker. Der lauteste Stummfilm der Kinogeschichte gehört zum DVD-Kanon jedes Motorsportfans. Das liegt maßgeblich daran, dass McQueen großen Wert auf Authentizität legte. Der Profi-Rennfahrer David Piper erklärt es so: "Die Schönheit von 'Le Mans' besteht für mich im Ungeschönten, in der Echtheit der Rennszenen, die nicht einfach im Studio beschleunigt werden mussten." Piper weiß, wovon er spricht: Er verlor bei einem Rennunfall während des Drehs einen Unterschenkel.

Das Zitat von David Piper stammt aus dem jetzt erschienenen Buch "Unser Le Mans", das den Mythos und die Nostalgie um den Film von 1971 feiert. Es erzählt vor allem auch die Geschichte einer Freundschaft: Steve McQueen galt als schwieriger Charakter, verschliss am Set zwei Regisseure und legte sich mit seinen Produktionspartnern an. Doch zu Siegfried Rauch fasste er tiefes Vertrauen.

Als Rauch eine Auswahl der Fotos aus "Unser Le Mans" anschaut, in seinem Bauernhaus in Bayern, kommt er kaum noch dazu an seiner Pfeife zu ziehen. Es gibt zu viel zu erzählen.


"Warum redest du nie mit mir?"

Foto: Archiv Siegfried Rauch

Hier sieht man Steve und mich am Set von "Le Mans". Dass er und ich Freunde wurden, kam so: Für "Le Mans" waren fast 400 Menschen an den Dreharbeiten beteiligt. Jeder wollte mit Steve McQueen reden. Ich fand das unsinnig, damit wurde ihm ja die Zeit zum Arbeiten gestohlen. Nach einer Woche kam er plötzlich zu mir: "Warum redest du nie mit mir?", fragte er mich. Ich erklärte ihm den Grund für meine Zurückhaltung, und diesen Respekt fand er toll. Danach hing er nur noch bei mir rum.


Vom Schloss zur Rennstrecke

Foto: Porsche Archiv/erschienen im Buch "Unser Le Mans"

Das ist Steve neben seinem Filmauto, dem Porsche 917 mit der Startnummer 20. Er hatte Talent als Rennpilot, kurz vor dem Drehstart zu "Le Mans" holte er als Privatfahrer beim Langstreckenrennen in Sebring in den USA den zweiten Platz.

Steve war großer Porsche-Fan und fuhr einen 911er. Er wohnte bei den Dreharbeiten in einem alten Schloss und brauchte eine Dreiviertelstunde bis zum Drehort. Er fand das toll, erzählt er mir: So könne er mehr Zeit im Auto verbringen. "It corners so well", sagte er.

Was für ein Auto fuhren Sie?

Mitte der Siebziger kaufte ich mir einen Porsche 911 Targa. Steve hatte mir zu einem offenen Auto geraten. Er sagte auch, ich sollte mir einen Dreipunktgurt einbauen lassen und einen Helm tragen.

Haben Sie den Rat mit dem Helm befolgt?

Ja, ich trug eine Zeit lang einen Helm beim Autofahren. Rauch muss so laut lachen, dass er hustet. Auf der Straße haben mich die Leute angeschaut und nur mit dem Kopf geschüttelt. Dann habe ich mir gedacht: Bevor dich jetzt gleich die Polizei verhaftet, ziehst du den Helm lieber aus.


"Jeder von uns hätte tödlich verunglücken können"

Foto: Archiv Siegfried Rauch

Ein Grund dafür, warum "Le Mans" Motorsportfans fasziniert, ist die originalgetreue Besetzung der Filmfahrzeuge. Hier kamen keine billigen Attrappen zum Einsatz, sondern echte Rennwagen. In dem Buch "Unser Le Mans" ist zu lesen, wie zwei Schweizer Rennstallbesitzer und Piloten dabei gutes Geld machten: Sie stellten ihre Ferraris, Porsches, Chevrons und Chevrolets der Produktionsfirma zur Verfügung - und erhielten dafür hohe Tagessätze.

Das bin ich am Steuer meines Rennwagens, ein Ferrari 512 S. Der Ex-Rennfahrer Mike Parkes brachte mir bei, wie man damit fährt. Als ich das erste Mal im Ferrari saß, sollte ich im Stand das Gas leicht antippen - ich jagte die Drehzahl dabei aber auf 11.000 Umdrehungen hoch, zum Entsetzen von Parkes.

Wie fühlten Sie sich am Steuer einer solchen Rennmaschine?

Ich wollte immer schneller fahren, einmal hatte ich 330 km/h drauf. Man nennt das wohl Geschwindigkeitsrausch.

Hatten Sie Angst?

Während der Fahrt nicht. Da ist man zu konzentriert. Erst als ich aus den Wagen ausgestiegen bin, bekam ich plötzlich furchtbaren Schiss. Da wurde mir erst bewusst, wie riskant das war. Jeder von uns hätte tödlich verunglücken können. Die Autos sind ja oft sofort abgefackelt, die Sicherheit stand damals in keinem Vergleich zu den Boliden von heute. Mein Stuntman saß zum Beispiel in einem der Ferrari 512 S, als das Auto plötzlich anfing zu brennen. Da blieben nur 15 Sekunden Zeit, um aus dem Cockpit rauszukommen. Keine Ahnung, ob ich das geschafft hätte.


Ende eines Porschola

Foto: Porsche Archiv

Bei den Unfallszenen im Film saß oft der Rennfahrer Rob Slotemaker am Steuer. Den nannten sie den Schleudermeister, weil er mit den Autos so kunstvoll Pirouetten drehen konnte. Für die schweren Crashs wurden die Autos per Fernsteuerung in die Leitplanken gelenkt und gesprengt, am Steuer saß eine Puppe. Die flogen dann richtig durch die Luft. Auf dem Foto ist das Wrack eines solchen Wagens zu sehen.

Die teuren Original-Boliden wurden für den Film nicht geopfert. Stattdessen bastelten Mechaniker Hüllen der jeweiligen Autos auf das billigere Chassis von Lola-Rennwagen. Die "Le Mans"-Crew taufte diese Unfallautos "Porschola" und "Lorari".


Ein Hollywoodstar in der Provinz

Foto: Archiv Siegfried Rauch

Das ist in einer Wirtschaft in Hagen, ein kleines Dorf bei Murnau. Als die Dreharbeiten fast fertig waren, stand Steve vor mir und hat so komisch geschaut. Er hat nichts gesagt, aber ich wusste genau, was mit ihm los war: Der anstehende Abschied machte ihn traurig.

"Was machst du jetzt?", fragte er schließlich. Ich sagte ihm, dass ich nach Hause nach Bayern fahren werde. "Oh, Bavaria…", meinte er dann - er kannte die Gegend von den Dreharbeiten zu "Gesprengte Ketten". Da fragte ich ihn, ob er mich besuchen möchte. "Steve", sagte ich, "komm vorbei, wir feiern die Taufe meines Sohnes, du wirst sein Patenonkel und dann gibts gutes Sauerkraut." Er liebte Sauerkraut.

Ein paar Wochen später kam er nach einem Abstecher in der Schweiz in seinem 911er zur Taufe angefahren, zusammen mit seiner Frau Neile und seinem Sohn Chad. Eigentlich wollten sie nur drei Tage bleiben, aber daraus wurden zwei Wochen. Er wollte nicht in die Stadt nach München, sondern in die Berge zum Wandern. "Du lebst hier so fantastisch", sagte er immer wieder. Ich konnte das zuerst nicht richtig verstehen, er wohnte ja in Beverly Hills und war ein Riesen-Star in den USA.

Aber Hollywood konnte eben nicht nur Karrieren schaffen, sondern auch Leben zerstören. Seine Ehe mit Neile kriselte zu der Zeit. Ich habe bei den Dreharbeiten erlebt, dass er ständig von Frauen umlagert war. Diesen Versuchungen konnte er nicht widerstehen.


Ausnahme-Poser

Foto: Archiv Siegfried Rauch

Auf dem Foto stehen wir alle zusammen vor dem Hotel, in dem Steve und seine Familie untergebracht waren. Ganz links ich, dann meine Mutter, Karin, neben Steve und Neile mein Bruder und seine Frau. Gestellte Fotos mochte Steve eigentlich nicht. "I don't pose", sagte er immer.

Als die McQueens zu Besuch waren, lebten meine Frau Karin und ich noch bei meiner Mutter. "Ja mei, der Steve!", rief sie immer, wenn er zu ihr kam. Er genoss die Geborgenheit, die in unserer Familie herrschte. "I never had this", sagte er. Seine Mutter war Alkoholikerin, sein Vater hatte sich einfach aus dem Staub gemacht.

Wie haben Sie McQueen als Vater erlebt?

Steve war sehr liebevoll zu seinem Sohn Chad. Es war ein eher kumpelhafter, lockerer Umgang. Ein Beispiel: Einmal sitzen wir auf dem Sofa vor dem Fernseher, plötzlich lässt Steve lässt einen langen, lauten Furz fahren. Er schaut seinen Sohn an und sagt "Chad! What are you doing!?" Der Kleine vergötterte seinen Vater, aber darüber war er natürlich empört.


"Er hatte Angst, dass ich ihn an die Wand spiele"

Foto: Archiv Siegfried Rauch

Man nannte Steve McQueen den "King of Cool". Seine schweigsame Art war aber auch ein Erfolgsgeheimnis. "Siggi, lass die anderen quasseln", sagte er mir bei den Dreharbeiten, "du musst deine Darstellungskunst durch Blicke und Gesten zum Ausdruck bringen."

Ich hab bei "Le Mans" viel von ihm gelernt. Dabei hatte er Angst, dass ich ihn an die Wand spiele: Wir hatten beide die gleiche Körpergröße - in einer Szene, in der wir nebeneinander zu sehen sind, überragte ich ihn aber ein bisschen, weil ich auf einer kleinen Bodenerhöhung stand. Als er sich das im Schnitt anschaute, wollte er wissen, ob das Absicht gewesen sei. Mir war das gar nicht aufgefallen, aber er wusste um die Bedeutung solcher Kleinigkeiten.

Siegfried Rauch überlegt kurz und zieht an seiner Pfeife.

Wie hieß doch gleich dieser Schauspieler mit der Glatze…?

Meinen Sie Yul Brunner?

Genau. Steve konnte ein richtiger Hundling sein: Yul Brunner wollte nach dem gemeinsamen Dreh von "Die glorreichen Sieben" nie mehr mit McQueen arbeiten, weil der ihm bei einer Szene auf einer Kutsche die Show gestohlen hatte. Brunner sitzt neben ihm, beide sagen kein Wort, aber Steve zieht eine Patrone nach der anderen aus der Tasche, schüttelt sie und lädt sein Gewehr. Das stand nicht im Drehbuch - und Brunner nebendran nimmt man gar nicht mehr wahr.


"Steve hasste ihn"

Foto: REX / Shutterstock / action pres

Das rechts ist der Regisseur von "Le Mans", Lee Katzin. Steve hat ihn gehasst. Katzin fand jede Szene mit McQueen gleich nach dem ersten Take fantastisch. Diese kritiklose Art konnte Steve nicht leiden.

Zu Beginn der Dreharbeiten war John Sturges Regisseur. Er wollte McQueen davon überzeugen, dass der Film eine Nebenhandlung braucht, eine richtige Liebesgeschichte. Steve kam es aber vor allem darauf an, dass die Rennszenen so authentisch wie möglich waren. Er hat sich mit Sturges darüber so zerstritten, dass dieser hinschmiss und ging. Das waren beide totale Sturköpfe.

Wir waren dann froh, das Lee Katzin es schaffte, den Film fertig zu stellen. Er hatte es wirklich nicht einfach. Steve hat ihn mal im Streit an seinem Halstuch gepackt und in die Ecke geschleudert.


Kamerawagen

Foto: Archiv Hans Joachim Bunnenberg

Das Set bei "Le Mans" war im Grunde eine riesige Werkstatt. Ein Mitglied aus der Filmcrew tüftelte zum Beispiel ständig daran herum, wie die Kameras an den Wagen richtig angebracht werden. Der hat sich seine Methoden sogar patentierten lassen. Manchmal hatte man zwei Kameras am Auto. Das beeinflusste natürlich die Aerodynamik und machte die Wagen für uns noch schwerer zu beherrschen.

Für "Le Mans" wurden gestellte Szenen mit Aufnahmen des richtigen Rennens von 1970 zusammengeschnitten. Das Material stammte direkt von der Strecke: Dazu war ein Porsche 908/02 mit drei Kameras bestückt worden und fuhr außer Konkurrenz mit. Bei den Boxenstopps wurden nicht nur die Reifen, sondern auch die Filmrollen gewechselt.

Einer der Porsche 917 hatte während des Drehs mal einen Schaden. Um die Wagen kümmerte sich ein Porsche-Team aus den USA. Der Chefmechaniker erklärte den Filmproduzenten, dass er für die Reparatur ungefähr zwei Tage brauche. Zufällig waren an dem Tag auch zwei Porsche-Mitarbeiter aus Stuttgart am Set. Die Produzenten baten um ihre Einschätzung.

Rauch hustet wieder vor lachen. Mit schwäbischem Akzent sagt er:

"Was moinsch, Kerle?", hat der eine zum anderen gesagt.

Und der: "Ha, I ded sage ganz einfach isch des ned - zwoi Stund' auf jede Fall."

Das sorgte für einigen Zoff zwischen den Stuttgartern und den Amerikanern.


"Dear Ziggy"

Foto: Archiv Siegfried Rauch

Ich erinnere mich immer noch an fast alle Erlebnisse bei "Le Mans" und an die gegenseitigen Besuche von Steve und mir in Kalifornien und Bayern. Wir haben uns die Jahre danach regelmäßig geschrieben. Leider haben wir es nicht mehr geschafft, uns zu treffen. Sein Terminkalender war zu voll und meiner auch.

In dem Buch "Unser Le Mans" sind vier Briefe abgedruckt, die McQueen an Rauch schickte - mit vier verschiedenen Anreden: "Dear Sigi", Dear Ziggi", "Dear Siegi", "Dear Ziggy".

Dann wurde er schwer krank. Im November 1980 las ich in der Zeitung, dass ein Arzt aus Bad Wiessee zu ihm geflogen war, um ihn zu behandeln. Komischer Zufall: Diesem Arzt bin ich dann in der Wirtschaft begegnet, in der wir mit Steve die Taufe unseres Sohnes gefeiert hatten. Der Doktor erzählte mir, dass McQueen nicht mehr lange leben werde. Zwei Tage später war Steve tot. Ich konnte es nicht fassen, dass er so früh sterben musste.

Wie haben Sie ihn in Erinnerung behalten?

Er hat nie viel geredet. Aber dafür konnte man sich bei ihm auf jedes Wort verlassen.


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