Fahrradfreiheit, Luxusmobile, Tempodrossel Das waren 2020 unsere Highlights in der Mobilität

Ein Hersteller drosselt alle Autos, Städte räumen Platz frei für Räder – und manche Verbrennerfahrzeuge machen den Abschied vom Uralt-Aggregat verdammt schwer. Unsere Tops aus Verkehr und Mobilität 2020.
BMW R 18

BMW R 18

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BMW

Top 1: Volvo übernimmt Verantwortung

Volvo-Vergleichsfahrt mit und ohne Absicherung auf 180 km/h

Volvo-Vergleichsfahrt mit und ohne Absicherung auf 180 km/h

Foto: Volvo

Seit Mai 2020 baut der schwedische Hersteller Volvo in alle neuen Fahrzeuge einen elektronischen Geschwindigkeitsbegrenzer ein: Bei 180 km/h ist ausnahmslos Schluss. Eine Bevormundung? Nein, hier übernimmt ein Hersteller endlich Verantwortung! Natürlich könnte man lange diskutieren, ob das Limit zu hoch oder zu niedrig ist, ob nicht viel mehr Unfälle durch Alkoholeinfluss, Müdigkeit oder das Fummeln am Handy verursacht werden als durch überhöhte Geschwindigkeit oder ob das sowieso nur ein Marketinggag ist.

Der entscheidende Punkt aber ist: Volvo erkennt mit der Begrenzung als erster Autohersteller an, dass die Verantwortung als Hersteller eben nicht mit dem Verkauf eines Autos endet. Und mit potenziell 180 km/h wird auch niemandes Freiheit eingeschränkt, denn auch Tempo 180 ist meist Raserei. Volvo selbst sagt, man wolle mit der Entscheidung »dazu anregen, über die Zusammenhänge von Geschwindigkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit nachzudenken«. Wäre schön, wenn es gelingt.

Jürgen Pander schreibt seit 30 Jahren über Autos und Mobilität. Was ihn zunehmend wundert, ist, dass die alte Rezeptur des »schneller, schwerer, breiter« noch immer so gut funktioniert.

Top 2: Und plötzlich fuhren alle Rad

Pop-up-Radweg in Berlin

Pop-up-Radweg in Berlin

Foto:

Sabine Brose / Frank Sorge / imago images

Viel weniger Autos, viel mehr Fahrräder auf den Straßen: Bilder wie im ersten Shutdown des Corona-Jahres 2020 gab es in Deutschland wohl seit den autofreien Sonntagen in der Ölkrise der Siebzigerjahre nicht. Das drückte sich plötzlich auch in der Infrastruktur aus: Für Kraftfahrzeuge konzipierte Fahrbahnen wurden in Pop-up-Radwege umgewidmet, etwa die »Protected Bike Lane« entlang der Rheinachse in Düsseldorf. Parallel wurden Straßenzüge der Innenstadt komplett für Pkw gesperrt, so die Friedrichstraße mitten in Berlin. Ein echter Kulturwandel in der Verkehrsplanung.

Das Resultat: Es war in diesem Sommer weniger laut, weniger gefährlich und weniger stickig in deutschen Städten. Zwar schafften es einige Pop-up-Radwege nicht über den Status des Provisoriums hinaus. Trotzdem war da dieses besondere Gefühl, wenn man zur Stoßzeit entspannt von A nach B radelte. Das hat vielen Menschen Lust aufs Rad gemacht: 2020 wurden laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) erheblich mehr Fahrräder verkauft als im Jahr zuvor. Werkstätten waren ausgebucht, so mancher Laden nahezu leer geräumt. Und jetzt? Nicht mehr absteigen, bitte.

Lena Frommeyer lebt in Hamburg und fährt die meisten Wege mit dem Fahrrad. Sie ist vom Konzept einer weitestgehend autofreien Innenstadt überzeugt und hält die meisten Argumente, die dagegengehalten werden, für überwindbar.

Top 3: Die Mercedes S-Klasse

Mercedes-Benz S-Klasse

Mercedes-Benz S-Klasse

Foto: Daimler

Das beste Auto der Welt? Klar nehmen die PS-Bosse den Mund bei ihren PR-Shows gern voll, und die von Mercedes ganz besonders. Doch mit der neuen S-Klasse werden die Schwaben diesem Anspruch wirklich gerecht. Nein, sie kann nicht fliegen, nicht mal vollkommen autonom fahren und läuft nicht ohne CO2-Ausstoß. Wer darauf hofft, muss wohl noch eine ganze Zeit lang zu Fuß gehen. Und sie ist auch nicht das schönste, das luxuriöseste und schon gar nicht das sportlichste Auto.

Doch schlau wie ein Supercomputer, ums Lenkrad moderner als ein Hightech-Office, komfortabler als eine Suite im Fünfsternehotel, entspannend wie ein Interkontinentalflug im Privatjet und trotz ihres stattlichen Formats so leicht zu fahren wie ein Kleinwagen – in der Summe ihrer Eigenschaften ist sie mit Abstand das beste Auto, das ich in den letzten 30 Jahren gefahren habe. Damit legt sie nicht nur die Latte hoch für alles, was da noch kommen wird. Sondern vor allem macht sie mir den Abschied der alten Autowelt verdammt schwer – und erhöht so die Spannung für den EQS, der die Werte der S-Klasse in die elektrische Ära übertragen soll. Wenn dem Modell das gelingt, wird es vielleicht zu meinem Topauto des Jahres 2021.

Thomas Geiger schreibt seit rund 30 Jahren über alles, was mehr als zwei Räder hat: Oldtimer, Designstudien, Technologieträger und mehr als 100 neue Serienautos pro Jahr. Fasziniert von neuen Antrieben und verliebt in klassische Achtzylinder, zeugt auch der private Fuhrpark von einer gewissen Zerrissenheit: Er besteht aus einem neuen Mountainbike und einer alten G-Klasse.

Top 4: Das Elektroauto

Elektroauto an einer Ladestation

Elektroauto an einer Ladestation

Foto: Mario Gutiérrez / Getty Images

Die »First Mover« haben es schon immer gewusst: Der Elektromotor wird eines Tages den klassischen Verbrenner verdrängen, ähnlich wie es die Digital- mit der Analogkamera getan hat. Denn wer einmal elektrisch gefahren ist, denkt gar nicht daran, jemals wieder zurück zu Benziner und Diesel zu gehen. Und es werden tatsächlich immer mehr, die die leise und saubere Fortbewegung lieben. Nische war gestern! Dank fetter Innovationsprämie, Umweltbonus und generöser steuerlicher Regelung bei Dienstwagen boomten Elektroautos in diesem Jahr, verzeichneten teils dreistellige Zuwachsraten.

Nach einer Analyse des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach rechnen Experten für 2020 mit rund 170.000 Neuzulassungen bei rein batterieelektrischen Autos (BEV). Für 2021 liegt die Prognose bereits bei 240.000. Und bis 2025 könnte laut CAM mehr als jeder sechste Neuwagen einen elektrischen Antrieb haben. Schon heute kann der Kunde unter mehr als 25 Stromern wählen, vom kleinen City-Car bis zum dicken SUV. Immer mehr Segmente werden belegt. Auch Luxuslimousinen wie der Mercedes EQS stehen in den Startlöchern. Mehr als 20 E-Autos werden 2021 hinzukommen. Schritt halten muss da nur die Infrastruktur. Derzeit existieren in Deutschland rund 33.000 Ladepunkte, ein Plus von 20 Prozent gegenüber April.

Michael Specht zählt sich zu den sogenannten First Movern, hat bereits vor sieben Jahren den Schalter umgelegt. Seitdem begleitet seinen Alltag ein BMW i3. Trotz dessen geringer Reichweite – im Winter nur 90 Kilometer – hat er bislang nicht zu einem anderen Modell gewechselt. Specht: »In diesem Segment gibt es noch immer keinen würdigen Nachfolger.«

Top 5: BMW R 18 – der letzte Überflieger

BMW R 18

BMW R 18

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BMW

Vor exakt 100 Jahren lieferte BMW die ersten Boxermotoren aus; passend zum Jubiläum wird jetzt das Modell R 18 gebaut. In dem Giganto-Cruiser verdrängen zwei 107 mm dicke Kolben insgesamt 1802 Kubik Hubraum. BMW Motorrad nennt den Dampfer stolz »Big Boxer«. Die Papierdaten lassen auf das Gemüt eines Schiffsdiesels schließen.

Schon der erste Törn ergibt: falsch. Die R 18 ist wendig und lebendig. Im Leerlauf schüttelt sich die 350 Kilogramm schwere Fuhre noch heftig, doch schon ab 2500 Umdrehungen bringen die 158 Nm Drehmoment die R 18 zum Fliegen – und den Fahrer gleich mit. Glücksgefühle breiten sich aus. Dieser schwarze Monolith ist ein feines Destillat aus Ingenieurskunst und Fahrspaß; für Motorradfahrer Quell reiner Freude.

Niemand »braucht« dieses Fahrzeug. Klar ist die R 18 als riesiger Verbrenner aus der Zeit gefallen. Wahrscheinlich werden solche mobilen fossilen Feuerstellen in zehn Jahren nicht mehr gebaut. Doch wer sich 2020 nach einem Motorrad mit ganz eigenem Charakter umschaute, kam an der R 18 kaum vorbei.

Jochen Vorfelder ist freier Autor, fährt dauernd Zweiräder und pendelt dabei täglich zwischen Liebe und Verstand.

Top 6: Citroëns Elefantenrollschuh

Citroën Ami

Citroën Ami

Foto: Citroen

Kein Fahrzeug, das ich 2020 gefahren bin, hat mich so lange schmunzeln lassen wie der Citroën Ami. Klar, mit dem Komfort einer Oberklasselimousine kann der 2,41 Meter lange Kleinstwagen nicht mithalten und, um ehrlich zu sein, auch nicht mit dem eines Smart. Kritikern sei aber gesagt: Für den Stadtverkehr reicht der Wagen völlig aus. Dank des enorm kleinen Wendekreises und der großartigen Rundumsicht fühlt man sich dabei fast wie im Nintendo-Klassiker »Mario Kart« – und darf sich quer in jede Längsparklücke quetschen, sofern man niemanden behindert.

Einen Nachteil hat der Ami jedoch: Er ist genau genommen kein Auto, sondern fällt in die Fahrzeugklasse L6e-BP – und dadurch maximal 45 km/h schnell. Damit teilt er das Schicksal vieler Motorroller und gibt dem Fahrer bereits im Stadtverkehr das Gefühl, ein Verkehrshindernis zu sein. An diesem Problem ist jedoch nicht der Ami schuld. Nachdem endlich ein Auto stadtgerecht gebaut wurde und nicht die Stadt autogerecht, sollte man dieses Problem angehen: Indem man die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 55 oder 60 km/h erhöht – oder in Innenstädten flächendeckend Tempo 30 einführt.

Emil Nefzger hat ein Herz für alles auf vier Rädern, fährt jedoch am liebsten Zweirad, allerdings lieber mit als ohne Motor. Was er trotzdem nicht verstehen kann: Warum so viele Menschen in Städten so gern im Stau stehen anstatt einfach öffentlich zu fahren.

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