
Kreidler-Museum: Streifzug durch die Modellgeschichte
Moped-Museum Der Kreidler-König
Kurz vor der dänischen Grenze, in Satrup, lebt Frank Stegemann - mit Frau, Katze und beachtlichem Fuhrpark: In zwei gemieteten Garagen und einer Scheune bunkert der 45-Jährige über 20 Motorräder, die repariert werden sollen, ferner rund 15 fahrbereite Motorräder und unzählige Ersatzteile.
Die meisten seiner Maschinen sind von Kreidler. Kreidler, das war in den sechziger Jahren ein westdeutscher Moped-Mythos, der Traum aller Halbstarken. Ab 16 Jahren durfte man die in Kornwestheim nahe Stuttgart produzierten Mokicks fahren, ohne Steuerplakette, ohne PS-Limit. Den sich nähernden Fahrer hörte man dank des schrill kreischenden Zweitakttriebwerks schon lange, bevor man ihn sah.
Auch Stegemann wollte eine Kreidler, immer schon. Sie kostete jedoch damals 3000 Mark und war angesichts seines Taschengeldsatzes von 30 Mark somit unerschwinglich. Heute ist er weiter; es gibt kaum ein Kreidler-Florett Modell, das Stegemann nicht gefahren ist.
Sein Lieblingsmodell ist das Motorrad 1961-62. Mit ihm fährt er im Sommer zur Arbeit und nimmt es im Transporter auch gern mit auf Geschäftsreise. Für ihn ist diese Kreidler das perfekte Zweirad: "Sie sieht gut aus, liegt gut auf der Straße, ist solide, zuverlässig, schnell und macht keine Zicken. Eben eine Kreidler."
Stegemann weiß, wovon er spricht. Seit 28 Jahren sitzt er auf den Maschinen aus Kornwestheim. Ebenso lange repariert er sie. Stegemann ist ein Tüftler und er ist akribisch. Wenn etwas nicht klappt, spornt ihn das an. "Ich suche so lange, bis ich die Lösung finde", sagt er. Motorradbasteln ist für ihn Entspannung, der perfekte Ausgleich zu seinem Schreibtischjob. Er ist Ingenieur und arbeitet als Kfz-Sachverständiger. "Das allabendliche Motorradbasteln am Küchentisch wird da fast schon zum Muss", sagt er.
Glück im Unglück
Sein erstes Zweirad verdankte er als Schüler einem Unfall: Sein älterer Bruder war auf seiner Hercules M4 mit einem Kleinlaster kollidiert. Der Bruder hatte ein paar Schrammen, die Hercules dagegen war schwer ramponiert. 890 Mark verlangte der Händler für die Reparatur. Ein Witz bei einem Neupreis von 1100 Mark.
180 Mark sollten ein neues Vorderrad, Stoßdämpfer, Schutzblech und ein paar Kleinigkeiten kosten. Stegemann, damals 15 Jahre alt, traute sich die Reparatur zu. "Seit ich elf Jahre alt war, habe ich an Radios und Fernsehern herumgeschraubt", sagt er heute, "meist mit Erfolg." Nach einer Woche biegen, schrauben, feilen und schmirgeln lief die Hercules wieder. Und Stegemann besaß sein erstes Mofa.
In dieser Woche hatte der 15-Jährige vor allem eines gelernt: gebraucht geht auch. Damit rückte nicht nur sein Traum von einer Kreidler in greifbare Nähe. Er hatte er auch den Grundstein für seinen späteren Fuhrpark gelegt.
Kurz vor seinem 16. Geburtstag kaufte Stegemann für 250 Mark eine Florett Super, ein Kleinkraftrad mit Klauenschaltung. Es folgten Kreidlers fast sämtlicher Modelljahre von 1951 bis 1982, eine Zündapp C 50 Sport, eine Miele K 52, ein Almdudler-Bausatz, eine Maico M 250 B von1960, viele andere Zweiräder und jede Menge Einzel- und Ersatzteile. "Rund 25 Maschinen hätte ich mir immer zusammenbauen können", sagt Stegemann.
Die Seele des Mopeds
Beim Restaurieren hat der Ingenieur seine eigene Philosophie. "Ich möchte die Seele des Mopeds erhalten", sagt er "Man darf es dem Lack ruhig ansehen, dass er 50 Jahre auf dem Buckel hat."
Neben den Motorrädern pflegt Stegemann sein Archiv. Seit 30 Jahren sammelt er jeden Zweirad-Schnipsel: Anzeigen, Prospekte, Reparaturanleitungen, Motorradzeitschriften, Kreidler-Musik vom Werbe-Jingle bis zu Bill Ramseys Song "Kreidler-Florett". Allein seine Kreidler-Literatur fasst drei Regalmeter. Jedes Papier ist elektronisch archiviert und in beschrifteten Kartons verpackt.
Viele der Relikte zeigt Stegemann mittlerweile in seinem Kreidler-Florett-Museum im Internet. Schwarz-weiß Fotos zeigen Kreidler-Fahrer, die wacker durch Pfützen fahren, das Wasser bis zur Wade und ein Kurzfilm zeigt den Motorrad-Weltmeisters Jan de Vries während eines Rennens - natürlich auf einer Kreidler.
In drei detaillierten Kaufberatungen erläutert Stegemann sämtliche Knackpunkte beim Kreidler-Kauf: Angefangen bei der Betriebserlaubnis, die, falls sie fehlt, 50 bis 200 Euro kosten kann, über schwer zu beschaffende Ersatzteile wie Scheinwerfer oder Gepäckträger bis hin zum Test des Lenkerendanschlags.
Neben sämtlichen Kreidler-Modellen nebst Fahrgestellnummern und Reparaturanleitungen hat Stegemann auch Mischrezepte für die Farben der Zweiräder gelistet. "Wenn ich eine Farbe nicht kannte, bin ich mit dem Ersatzteil auf einen Kaufhausparkplatz gefahren und habe sie an die Autos gehalten", sagt Stegemann.
Sein virtuelles Archiv braucht wenig Platz, das reale umso mehr. Deshalb sortiert Stegemann regelmäßig aus. "Bevor ich ein neues Motorrad kaufe, verkaufe ich eines. Seine Motorräder braucht er zum Glücklichsein wie die Ostsee und den weiten Himmel über Schleswig-Holstein. Der Arbeit, die in seinem Fuhrpark auf ihn wartet, sieht er gelassen entgegen: "Die Mopeds kann man mal einen Tag oder einen Monat in die Ecke stellen. Bei einem Pferd ist das anders, das muss jeden Tag gefüttert und gepflegt werden - so viel Pflege braucht keine Kreidler."