Neander-Fahrmaschine Darth Vaders Helm auf Rädern
Bizarr ist gar kein Ausdruck. Würde man den Helm von Science-Fiction-Diktator Darth Vader auf Karosserieformat vergrößern und blank schmirgeln - dann käme man formal in die Nähe dessen, was derzeit am Hamburger Hafenrand in der Sammlung Prototyp zu sehen ist: eine Fahrmaschine von Ernst Neumann-Neander im Originalzustand. Ein vierrädriges Gefährt mit einem 1000 Kubikzentimeter großen Zweizylindermotor der Firma JAP, der 55 PS leistet und dessen Ventilhebel offen liegen.
Das zeigt schon eines der Grundprinzipien, nach denen Ernst Neumann (1871 bis 1954), der sich während seines Kunststudiums den Künstlernamen Neander zulegte - also die griechische Form seines Nachnamens Neumann - Fahrzeuge konstruierte. Ihm kam es auf Einfachheit an. Neumann-Neander träumte von einem Volkswagen. Er wollte tatsächlich eine reine Fahrmaschine für den sogenannten kleinen Mann bauen, weshalb er die Vehikel niemals Automobil nannte, denn das war das Wort für die Luxusgefährte der oberen Zehntausend.
Auch zu solchen Fahrzeugen hatte Neumann-Neander eine enge Beziehung. Denn unter anderem für die Karosseriebaufirma Szabo & Wechselmann in Berlin entwarf er ein glamouröses Auto mit einer Holz-Aluminium-Karosserie in Bootsform. Das Modell Szawe, von dem nur wenige Exemplare gebaut wurden, gehörte zu seinen bekanntesten Pkw-Schöpfungen. Auch weil der Wagen extrem teuer war. Nur ein Typ überstand die Kriegswirren und die Zeit bis heute - er steht im dänischen Technikmuseum in Helsingør.
Neumann-Neanders Leidenschaft galt zunächst den Motorrädern. 1886 konstruierte er sein erstes Modell; später gründete er in Düren die "Neander Motorfahrzeug GmbH" und fertigte dort mehr als 2000 eigentümliche Maschinen mit zwei, drei und vier Rädern.
Motorräder und Fahrmaschinen als Kunstwerke
Speziell die Motorräder waren allerdings nicht nur skurril, sondern auch extrem schnell. Leon Lismonde stellte auf einem Neander Motorrad 1928 mit einer Höchstgeschwindigkeit von mehr als 200 km/h einen neuen Weltrekord auf. Und eine Neander-Bahnrennmaschine aus Duralaluminum, die lediglich 35 Kilogramm wog, trumpfte zu dieser Zeit auf den Rennbahnen Europas auf. Der spezielle Neander-Rohrrahmen durfte übrigens auch von Opel nachgebaut werden; Neumann-Neander hatte den Rüsselsheimern eine Lizenz verkauft.
Dass aus seinen Fahrmaschinen kein Geschäft wurde, hatte zahlreiche Gründe. Zum einen hatte in Nazi-Deutschland wohl kaum ein einflussreicher Industrieller Interesse an den Fahrzeugkonstruktionen eines unabhängigen Einzelkämpfers. Dann waren da das extrovertierte Design und die hohen Kosten, denn die Fahrmaschinen wurden in aufwendiger Handarbeit gebaut. Allerdings griffen nach dem Krieg diverse Autohersteller die Ideen von Neumann-Neander auf und verwirklichten sie in den plötzlich überaus gefragten Kleinwagen der Wirtschaftswunderjahre.
Autos in einer Vielfalt, die heute unvorstellbar ist
Die Fahrmaschine mit einer Karosserie aus Flugzeugsperrholz und einem Lenkrad, das einen Teil der Instrumente enthält - eine frühe Umsetzung dessen, was heute in der Formel 1 zum Standard gehört - ist eines der Fahrzeuge, die von der Sammlung Prototyp aus Anlass des 100. Geburtstags des Futuristischen Manifests von Filippo Tomaso Marinetti 1909 zu einem "Futuristischen Kabinett" (noch bis 15. August) zusammengestellt wurden.
Zu den Exponaten gehören darüber hinaus ein Raketenwagen von Fritz von Opel, und zwar das Rekordfahrzeug mit der Nummer 3; dann einer von zwei noch existierenden Propellerwagen namens Helica des Flugzeugkonstrukteurs Marcel Leyat sowie ein Grade-Automobil. Dieses Modell ist das letzte bekannte Exemplar von circa 2000, Anfang der zwanziger Jahre gebauten Fahrzeugen mit Reibradantrieb der Firma Grade in Borkheide bei Berlin. Nie zuvor und auch nicht mehr danach wurde ein Auto mit diesem Antrieb verwirklicht. Futuristisch - das ist die Gemeinsamkeit all dieser Fahrzeuge - sind sie bis heute.