
Bikerinnen-Treffen Petrolettes: Diese Frauen geben Gas
Bikerinnen-Treffen Petrolettes "Du tust es für dich"
SPIEGEL ONLINE: Frau Kotnik, wenn ich als Mann mit meinem Motorrad zu Ihrem Treffen geknattert komme - was sagen Sie mir dann?
Irene Kotnik: Ich würde Ihnen sagen, dass dieses Wochenende noch mindestens zwei andere, tolle Motorradveranstaltungen stattfinden, zu denen Sie unbedingt hinmüssen. Ich würde Ihnen sagen, dass wir gern unter uns wären, und darum bitten, dass Sie mir nicht böse sind.
SPIEGEL ONLINE: Sie würden mich also freundlich, aber bestimmt wegschicken. Gibt es Männer, die sich darüber beschweren?
Kotnik: Doch, klar. Ich kann das auch verstehen. Es ist in gewisser Weise eine Diskriminierung. Gleichzeitig würde es die Idee unseres Treffens ad absurdum führen, wenn wir Männer einlassen. Es geht bei den Petrolettes gerade darum, eine Minderheit sichtbar zu machen. Die Motorradszene ist männerdominiert, wenn wir einige Männer als Gäste akzeptierten, würden viele kommen. Wir Frauen wären sofort wieder in der Minderheit.
SPIEGEL ONLINE: Mit Minderheit meinen Sie, dass es schlicht wenig Motorradfahrerinnen gibt?
Kotnik: Genau.
SPIEGEL ONLINE: Wie ist die Idee zu dem Treffen entstanden?
Kotnik: Ich habe vor einiger Zeit einen Motorradklub nur für Frauen in Berlin mitbegründet, weil es mir mehr Spaß macht, mich mit Frauen zu Motorrädern auszutauschen. Es gibt mehr gemeinsame Interessen, auch der Zusammenhalt ist größer. Ausschlaggebend war mein Besuch beim Babes Ride Out, einem Treffen von Motorradfahrerinnen in den USA. Etwa 1200 Bikerinnen, die sich in der Wüste treffen. Ich war von dem dort herrschenden Geist tief beeindruckt. So etwas wollte ich nach Europa bringen - gleichzeitig aber auch ganz anders aufziehen. Beim Babes Ride Out hängen die Teilnehmer drei Tage lang in der Wüste ab. Mir schwebte von Anfang an ein Treffen mit einem ganz anderen Programm vor.

Bikerinnen-Treffen Petrolettes: Diese Frauen geben Gas
SPIEGEL ONLINE: Was für ein Programm?
Kotnik: Bei uns spielen Bands, es gibt Vorträge, Workshops, einen Marktplatz für Bikerinnen-Mode, eine große gemeinsame Ausfahrt, kleine Rennen und vieles mehr.
SPIEGEL ONLINE: Worin unterscheidet sich Petrolettes atmosphärisch von einem Motorradtreffen, bei dem auch Männer sind?
Kotnik: Die Stimmung ist einmalig. Es ist schwer, das knapp in Worte zu fassen. Friedlich und dann wieder adrenalingeladen, wenn wir unser Rennen fahren. Insgesamt nehme zumindest ich Petrolettes als einen Safe Spot wahr, einen Ort, wo ich als Person und mit meinem Selbstbewusstsein als motorradfahrende Frau wachsen kann. Bei uns treffen sich drei Generationen von Frauen aus verschiedenen Berufen und gesellschaftlichen Schichten. Trotzdem sind alle zutiefst verbunden.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben von einem Safe Spot gesprochen - sind Sie als Frau auf normalen Motorradtreffen unangenehmen Situationen ausgesetzt?
Kotnik: Nein, das kann man pauschal nicht sagen. Es kann durchaus reizvoll sein, als Frau unter vielen Männern an einem Treffen teilzunehmen. Ich habe nichts grundsätzlich gegen Treffen, an denen Männer teilnehmen. Petrolettes aber holt die Frauen ab. Ich empfinde es angenehmer und freier. Ich kann dort als Frau unverstellter sein.
SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?
Kotnik: Nur ein Beispiel: Ich bin keine Profi-Rennfahrerin und keine Profi-Schrauberin. So geht es den meisten Besucherinnen. Und alle gehen damit entspannt um. Bei Treffen mit Männern entspinnen sich oft Nerd-Debatten um technisches Fachwissen, die in Fachsimpel-Wettstreit ausarten. Bei uns steht nicht der Wettbewerb oder die Profilierung im Vordergrund, sondern der Spaß.
SPIEGEL ONLINE: Ist Petrolettes eher ein soziales Event, bei dem Motorräder das verbindende Element sind, aber weniger im Mittelpunkt stehen?
Kotnik: Die normalen Motorradtreffen sind auf das männliche Publikum zugeschnitten. Frauen machen dort vielleicht zehn Prozent der Teilnehmer aus und fahren oft noch nicht einmal selbst, sondern sind nur Sozius, sitzen also hintendrauf. Wir haben bei der Gestaltung unseres Treffens überlegt: Was sind unsere Bedürfnisse, was interessiert uns? Nur ein Beispiel: Ich stelle bei jedem Besuch im Motorradfachgeschäft fest, dass es keine Mode für motorradfahrende Frauen gibt. Selbst in einer so großen Stadt wie Berlin. Deswegen wollten wir von Anfang an bei uns auf dem Treffen auch Mode bieten - auf unserem Marktplatz.
SPIEGEL ONLINE: Dabei entwickeln sich in der Motorrad-Szene ja durchaus modeorientierte Nischen, etwa rund um die Café Racer genannten Retro-Bikes.
Kotnik: Ja, das ist aber ein gutes Beispiel dafür, warum es eine Veranstaltung wie Petrolettes braucht. New Heritage ist ein starker Trend, die Typen mit ihren Custom-Bikes, langen Bärten sehen schick aus und Veranstaltungen wie der Distinguished Gentleman's Ride sind stilvoll inszeniert. Aber als Frau habe ich trotzdem Schwierigkeiten, mich damit zu identifizieren. Welche Rolle hatten denn Frauen in den Sechzigerjahren, aus denen sich diese Bewegung optisch inspirieren lässt? In der Regel die des Heimchens am Herd. Da finde ich mich nicht wieder.
SPIEGEL ONLINE: Das Frauenbild in der Motorradszene ist eh problematisch: Sie treten oft nur als leicht bekleidete Beifahrerinnen in Erscheinung. Oder täuscht das?
Kotnik: Nein, leider nicht. Ich bin erst spät in die Szene gekommen und war entsetzt. "Ist hier die Zeit stehen geblieben?", war meine spontane Reaktion nach den ersten Treffen. Und nicht nur auf organisierten Veranstaltungen trifft man auf dieses Rollenbild. Auch auf der EICMA, der größten Motorradmesse Europas, sozusagen der IAA für Motorräder, werden Mädchen in Catsuits und Stilettos auf die Stände der Hersteller drapiert. Unglaublich! Allein deswegen muss es Veranstaltungen wie Petrolettes als Gegenentwurf geben.
SPIEGEL ONLINE: Sehen Sie sich als Feministin?
Kotnik: Ja und nein. Ich mache, wozu ich Lust habe, aber ich habe keine Lust, mein Handeln zu politisieren.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben vorhin erwähnt, dass es beim Treffen auch Vorträge gibt.
Kotnik: Dieses Jahr hatten wir Tina Meier eingeladen, eine Motorrad-Pilotin bei der Rallye Paris-Dakar. Sie bietet ein Trainingscamp in Marokko an, nur für Frauen. Sie hat einen Vortrag gehalten, wie man innere Widerstände überwindet und sich von Angst befreit. Auch das zeigt die Eigenheit von Petrolettes: Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas bei einem männerdominierten Treffen Anklang findet. Gleichzeitig ist Petrolettes keine esoterische Selbstfindungsveranstaltung, da kommt schon ein bestimmter Schlag Frauen hin. Und zwar eher der, der zupackt.
SPIEGEL ONLINE: Warum sollten Frauen, die noch nie in ihrem Leben Motorrad gefahren sind, unbedingt damit anfangen?
Kotnik: Ein Teil der Antwort ist nah dran am Klischee: Weil es ein wahnsinniges Gefühl von Freiheit ist. Im Auto, im Bus, im Zug siehst du die Welt, durch die du fährst, immer nur durch eine Scheibe. Du betrachtest sie wie durch einen Bilderrahmen. Auf einem Bike fühlst du dich der Umwelt viel näher. Es gibt noch einen anderen Punkt. Bei Petrolettes geht es um Gemeinschaft, aber bei Motorradfahren kann es manchmal auch nur um dich gehen. Es ist kein Familiending, es ist kein Partnerschaftsding, du tust es für dich.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es einen Moment in der Geschichte von Petrolettes, der alles zusammenfasst, was Sie sich für dieses Treffen erhofft haben?
Kotnik: Ja. Er hat gleich beim ersten Mal stattgefunden. Wir machen bei den Treffen jedes Jahr eine Ausfahrt. Im ersten Jahr haben wir auf einem wenig befahrenen Teil einer Landstraße ein kleines Beschleunigungsrennen veranstaltet. Total spontan. Es gab eine mit Kreide aufgemalte Start-, und Ziellinie und dann die Ansage über Megafon. "Mädels, wir fahren jetzt Achtelmeile, tut euch in Leistungsklassen zusammen." Bei vielen hat man gemerkt: Denen geht die Düse. Die denken an ihre Kinder, ihren Job, an alles Mögliche, die Hemmungen sind groß. Wir haben dann einfach mit ein paar Frauen angefangen, haben es vorgemacht, und plötzlich kam Dynamik rein. Nacheinander sind alle gefahren, und jede einzelne wurde nach ihrer Zielankunft beklatscht, in die Arme genommen und gefeiert. Bei uns werden nicht nur die Sieger bejubelt, sondern auch die Verlierer. Es war ein unglaubliches Gemeinschaftsgefühl. Viele Fahrerinnen haben Ballast des Alltags zurückgelassen, ihre Ängste überwunden und sich getraut. Sie sind über sich herausgewachsen.
Mehr Infos unter www.petrolettes.com
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