Skurriles Einzelstück Der hässliche Porsche

Die mächtigen Flügeltüren reichen fast über die gesamte Länge der Passagierkabine. Und sie lenken ab von den seltsamen Proportionen des Autos, dessen Heck so üppig ist, weil dort der Motor sitzt
Foto: Alden JewellHat womöglich Tesla bei diesem Auto abgeguckt? Das Model X verfügt über große, hintere Flügeltüren — nicht unähnlich jenen, mit denen der Porsche Karisma schon 1994 Aufmerksamkeit erregte.
Damals wurde der von Bertone entworfene Prototyp auf dem Autosalon in Genf erstmals gezeigt: Mit Flügeltüren, die so groß waren, dass sie die gesamte Länge der Passagierkabine links und rechts öffneten. Denn bei der Porsche-Studie handelte es sich um einen geräumigen Viersitzer. Einen Autotyp also, der in Zuffenhausen zu dieser Zeit gar nicht gebaut wurde. Obwohl Porsche schon länger daran herumdokterte.

Porsche Karisma – ideal für ein Quartett
Bereits Jahre vor der Präsentation des Karisma strebten die Entwickler in Zuffenhausen nach einem »Porsche für mehr als zwei«. Das führte zum Projekt 989, vollmundig als »Lear-Jet für die Straße« angekündigt. Es sollte ein sportliches Luxusauto für die ganze Familie werden — und geriet zum Fiasko. Aus den zunächst kalkulierten Entwicklungskosten in Höhe von 150 Millionen Mark wurden mehr als 600 Millionen; aus dem anfangs anvisierten Preis für das Auto von rund 80.000 Mark wurde beinahe das Doppelte. Anders gesagt: Der 989 war ein Totalflop, der Aufsichtsrat stoppte Anfang 1992 das Projekt. Porsche blieb — vorerst — ein reiner Sportwagenhersteller.
Der Reinfall war nicht vergessen, als das italienische Karosserie- und Designunternehmen Bertone zwei Jahre später den nächsten Anlauf wagte. Auf der technischen Basis des kurz zuvor neu präsentierten Porsche 911 der Baureihe 993 (das war der letzte Neunelfer mit luftgekühltem Motor) entwickelte Bertone einen geschmeidigen Familienwagen mit fließenden Linien, spektakulären Flügeltüren, vier Sitzplätzen und einem sehr luftigen Innenraum.
Ideenreiches Interieur, holpriges Heck
Dass Bertone auf lediglich 4,50 Meter Länge ein so geräumiges Auto gelang, lag am technischen Layout. Der Heckantrieb machte einen Kardantunnel überflüssig. Weil die Designer überdies auf eine Mittelkonsole verzichteten, gab es einen durchgehend flachen Fahrzeugboden. Zudem ließen große Scheiben sowie ein Glasdach reichlich Licht in den Innenraum, was den luftig-weitläufigen Eindruck verstärkte. Belederte Sitze und Wurzelholzeinlagen an der Armaturentafel brachten Chic. Allerdings wirkte das Auto nicht protzig. Die Bedienelemente waren minimalistisch gestaltet, wie es in modernen Elektroautos zu beobachten ist.
Die Macher nutzen den Raum also clever aus, zum Vorteil der Insassen. Woran es hingegen haperte, war Platz für Gepäck. Das Heck war ja mit dem Sechszylinder-Boxermotor ausgefüllt. Auch ästhetisch befand sich hier die Schwachstelle des Autos, denn das dicke Ende passte nicht zum schlanken Bug. Kein Wunder, dass es kaum ein Foto gibt, dass den Porsche Karisma von hinten zeigt.
Der Karisma blieb ein Einzelstück
Neben der fehlenden Ausstrahlung, man könnte auch sagen: dem Mangel an Charisma, war jedoch die auch 1994 immer noch angespannte Situation des schwäbischen Unternehmens der Hauptgrund dafür, dass Porsche kein Interesse am Karisma zeigte. Der Prototyp blieb ein Einzelstück und Porsche weiterhin ein Autobauer, der im Prinzip lediglich Zweisitzer fertigte. Die Rücksitze des Modells 911 waren allenfalls für Kinder geeignet, meist jedoch wurden sie als Jacken- oder Taschenablage genutzt.
Den ersten Familienwagen mit fünf Sitzplätzen und vier Türen baute Porsche dann ab 2002: Das SUV-Modell Cayenne. Eine Limousine kam erst 2009 ins Sortiment, der Panamera. Der Porsche Karisma parkte fortan in der Bertone-Sammlung am Firmensitz Grugliasco und wurde nach der Insolvenz des Unternehmens 2014 zusammen mit mehreren Dutzend weiteren Bertone-Unikaten vom Automotoclub Storico Italia aufgekauft. Heute sind die Exponate im Volandia-Museum in Mailand ausgestellt.