
Amischlitten mit Elektroantrieb Flüsterleises Sakrileg
Auf den ersten Blick hat das Mercury-Coupe Baujahr 1949 nichts Besonderes. Ein Zweitürer im Art-Deco-Stil, der offenbar mehrere Jahre nicht gefahren wurde. Tatsächlich steckt in dem Wagen jedoch eine Überraschung: Er beschleunigt von null auf 96 km/h in 3,9 Sekunden und ist 193 km/h schnell. "Das ist wahrscheinlich der schnellste 49er Mercury überhaupt", sagt Jonathan Ward stolz. "Er könnte sogar noch schneller sein, aber wir wollten etwas Vernünftiges bauen."
Für die "vernünftigen" Fahrleistungen unterzog Jonathan Wards Firma Icon das Coupe einer umgekehrten Schönheitsoperation. Die angerostete Karosserie wirkt, als habe der Wagen zu lange in der Sonne Kaliforniens gestanden, doch unter der Hülle steckt modernste Technik. Denn bei diesem Wagen handelt es sich um einen sogenannten Restomod: Einen Oldtimer, der restauriert, aber auch mit moderner Technik modifiziert wurde.
Ein lautloser Oldtimer mit 405 PS
Statt des üblichen 6,2 Liter-Achtzylinders mit 430 PS arbeitet in diesem Mercury ein beinahe lautloser "V8". Dort, wo sich früher das Getriebe befand, sitzt nun ein 298 Kilowatt - in alter Währung 405 PS - starker Elektromotor. Die nötige Energie für liefert ein Tesla-Akku - an sonst üblichen Achtzylinder erinnert nur noch die Form der Leistungselektronik unter der Motorhaube.
Die Icon-Mannschaft passe bei allen Restomods jedoch nicht nur die Motoren an, sondern auch das Fahrwerk, die Lenkung und Bremsen an, erklärt Ward. "In Kombination mit dem elektrischen Antrieb hebt das den Wagen auf ein ganz neues Niveau. Das Auto ist jetzt flüsterleise und zieht durch die fehlenden Schaltvorgänge wie eine Lokomotive."
Für Fans ist der E-Motor ein Sakrileg
Mit der Transplantation eines Tesla-Antriebs in einen klassischen Mercury machte sich Icon-Designer Ward jedoch nicht nur Freunde in der Szene. "Viele Traditionalisten erkennen die Kunst, die in unseren Autos steckt, nicht an. Die sind schon wütend, wenn wir einen modernen Motor in so ein Auto einbauen", erzählt Ward. Diese Ablehnung sei bei Elektroantrieben noch stärker, erklärt Oldtimerspezialist Frank Wilke von Classic Analytics: "Viele Fans gehen sofort an die Decke, wenn Autos nur minimal vom Original abweichen, für sie ist so ein Umbau ein Sakrileg."
Die Fahrleistungen eines alten Autos in großem Stil durch neue Teile zu verbessern ist extrem aufwendig. "Für dieses Auto haben wir rund 4000 Stunden gebraucht, dreimal so lang wie für einen vergleichbaren Verbrenner", erklärt Designer Jonathan Ward.
Der Einbau eines E-Antriebs ist vergleichsweise einfach
Das lag jedoch nicht nur am neuen E-Motor, denn diesen einzusetzen ist vergleichsweise einfach. "Aber die simplen Bausätze bieten nicht das, wonach ich als Designer suche", schränkt Jonathan Ward ein. "Ich wollte eine ideale Gewichtsverteilung erreichen, also musste ich mit der Batterie kreativ werden."
Die einzelnen Batteriepakete des 85 kWh fassenden Tesla-Akkus hat Ward deshalb an verschiedenen Stellen des Autos untergebracht. Sie stecken nun unter den Vordersitzen, über der Hinterachse sowie an der Stelle, die früher der Tank einnahm und unter der Motorhaube. "Die Batterie aufzuteilen war sehr leicht, denn Tesla baut sie in einzelnen, viereckigen Segmenten", sagt Ward. Das eigentliche Problem sei, die Bauteile zu kühlen, da sie alle unterschiedliche Wärmezyklen haben. "Also haben wir ein eigenes System für das Temperaturmanagement entwickelt, das alle Bauteile in ihrem idealen Arbeitsbereich hält. Das macht das Auto sicherer und haltbarer."
Leisestes Klappern und Knarzen wird hörbar
Nachdem der Antriebsstrang fertig war, offenbarte sich jedoch ein neues Stromer-Problem: "Wenn man so ein altes Auto elektrifiziert, hört man das leiseste Quietschen und Klappern", erklärt Ward. Die akustischen Störenfriede zu finden und abzustellen, dauere jedoch: "Federn in den Sitzen, quietschende Karosserieteile oder Türgriffe, es kann alles sein."
Auch deshalb ist der elektrische Mercury teurer als seine Verbrenner-Vorgänger. Ein Auto aus dieser Reihe koste normalerweise 200.000 bis 600.000 US-Dollar erklärt Ward. "Dieser hier befindet sich am oberen Ende dieses Spektrums". Solche Preise, schränkt Analyst Frank Wilke ein, seien allerdings nicht die Regel. "Typische Restomods kosten rund 200.000 bis 300.000 Euro", so Wilke.
Kein Auto für Oldtimerfans
Die Käufer seien auch keine klassische Oldtimer-Kundschaft sondern meist Sportwagenfans, die solche Preise eher mit dem eines Lamborghini oder Ferrari vergleichen, erklärt Wilke. "Den hat in ihren Kreisen aber jeder, also lassen sie einen Oldtimer umrüsten, damit er moderne Fahrleistungen hat."

"Immer mehr Menschen lieben zwar den Vintage-Look, wollen aber umweltfreundlicher leben - oder haben nicht die Geduld für die Technik eines Oldtimers", erklärt Ward. Genau dieses Problem löse die Elektrifizierung: "Der Elektroantrieb reduziert die Wartung enorm, denn im Wagen stecken weniger und einfachere Systeme." Damit könne die Elektrifizierung viele Oldtimer länger auf der Straße halten.