
Fotostrecke: Mit dem Oldtimer in die Schlacht
Oldtimerszene in Russlands Autostadt Jede Kollision macht Spaß
Der Traum vom eigenen Auto ist oft mit einer Stadt verbunden. Detroit, Turin, Wolfsburg - oder Toljatti. Der Ort an der Wolga entfachte in den Sechzigerjahren die Sehnsucht vieler Sowjetbürger. Denn hier wollte die Sowjetunion den Westen einholen, zumindest was Autos angeht: Auf sechs Quadratkilometern stampfte der Staat in vier Jahren ein Autowerk aus dem Boden, nebenan baute man eine Werkssiedlung für eine halbe Million Einwohner.
Während in Westdeutschland 1965 drei Millionen Pkw produziert wurden, schaffte die Sowjetindustrie gerade einmal 200.000 Fahrzeuge. Das sollte sich in Toljatti ändern - mit einer Jahresproduktion von 600.000 Autos. Benannt wurde der Ort nach Palmiro Togliatti, dem 1964 verstorbenen Chef der Kommunistischen Partei Italiens.
Vom Sehnsuchtsort zur abgewrackten Industriestadt
Denn neben einem 320-Millionen-Dollar-Kredit vom italienischen Staat kamen auch das Fachwissen und das Auto aus Italien: Das erste Modell des Wolga-Werks, auf Russisch Wolschskij Awtomobilnij Sawod (WAS) genannt, basierte auf dem Fiat 124. Der italienische Konzern erhielt im Gegenzug sowjetischen Stahl - dessen Rostanfälligkeit das Image von Fiat und Co. massiv beschädigte.
Der sowjetische Autotraum begann vielversprechend, Arbeiter strömten aus allen Ecken des Landes an die Wolga, um eine größere Wohnung und ein Auto auf Raten zu ergattern. Nach nur vier Jahren war das Werk fertig - drei Jahre früher als zunächst berechnet. 1970 lief der erste Wagen vom Band, 1973 bereits der millionste Schiguli, wie der Lada auf dem Heimatmarkt hieß.

Fotostrecke: Mit dem Oldtimer in die Schlacht
120.000 Menschen arbeiteten damals im Werk in Toljatti, das so zum Wolfsburg der Sowjetunion wurde. Mit dem Ende des Kalten Krieges begann jedoch auch hier der Niedergang. AwtoWAS entließ immer mehr Mitarbeiter, 2013 waren es nur noch 67.000, bis 2018 sank die Mitarbeiterzahl noch mal auf rund 36.000. Mittlerweile hat die Stadt eine der höchsten Armutsquoten Russlands.
Kein Verständnis für Hochglanz-Oldtimer
Eine Gruppe Jugendlicher, deren Eltern und Großeltern bei AwtoWAS arbeiteten, leben dieses automobile Erbe auf eine ungewöhnliche Art. Sie kaufen schrottreife Schigulis, wie der Lada hier heißt, richten sie mit minimalem Aufwand wieder her, und verheizen ihre "Boevaya Klassika" - "wilden Klassiker" - genannten Autos bei Rennen und Drift-Veranstaltungen auf Parkplätzen und zugefrorenen Seen. Die locken jedoch nicht nur viele Zuschauer, sondern auch die Polizei an, die dann versuche, sie zu vertreiben, sagt Alexei Levin, ein Mitglied der Gruppe. Doch das bedeute für sie nur zusätzliche Unterhaltung: "Wir betrachten es als Spiel."
Alte Autos, die in desolatem Zustand gekauft werden, aufwendig zu reparieren und herauszuputzen, käme für Alexei Levin, ein Mitglied der Gruppe, nicht infrage: "Da gibt es ja nicht viel, was erhalten bleiben soll." Die Autos kaufen sie billig, für umgerechnet rund 200 US-Dollar, schrauben selbst an ihnen - besonders sorgsam gehen sie deshalb aber nicht mit ihnen um. "Mir bereitet jede Kollision mit anderen Autos, jedem Zaun einen Riesenspaß", so Levin. Der Fotograf Anar Movsumov konnte sich in den Werkstätten der "Boevaya Klassika" umsehen und die Fahrer zu ihren Drift-Rennen begleiten. Eine Auswahl seiner Fotos sehen Sie in der Fotostrecke.