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Schweizer Militärrad: Schlicht langlebig

Foto: Fritz Scheuermann

Schweizer Ordonnanzrad 05, Baujahr 1934 Wie ewiges Gletschereis

Gut pflegen oder vors Militärgericht zitiert werden: Letzteres muss SPIEGEL-ONLINE-LESER Fritz Scheuermann nicht fürchten, wenn er mit seiner Antiquität unterwegs ist. Er fährt ein Schweizer Ordonnanzrad 05 - in Zivil und zum Vergnügen.

Mit seinem Fahrrad fühlt sich mancher Besitzer auf besondere Weise verbunden. Bei SPIEGEL ONLINE stellen Leser ihr Lieblingsmodell und ihre persönlichen Erlebnisse mit dem Gefährt vor. Diesmal berichtet Fritz Scheuermann über das Leben mit seinem Schweizer Ordonnanz-Rad 0 , Baujahr 1934.

Neben mir an der Ampel steht der Prototyp eines modernen Radfahrers: bunter Fahrradhelm, sportlicher Dress, Spiegelbrille, Trinkflasche. Er sitzt auf einem Mountainbike. Bunte Klebestreifen am Rahmen, mindestens 27 Gänge, Federung. Ultraleichtbau. Der Rahmen ist vermutlich aus Alu, vielleicht sogar aus Karbon. Sieht jedenfalls schweineteuer aus.

Mein Fahrrad ist ein ehemaliges Kriegsgerät; es besteht aus Stahl - schwarz, schwer und sehr anachronistisch. Der Typ 05, das Schweizer Militärvelo, besitzt keine Schaltung und keine Federung. Selbst die Kette nach hinten würde man eher einem Moped zuschreiben. Dieses Fahrrad ist wahrscheinlich aus dem Vollen gefräst.

Gute 22 Kilogramm Leergewicht - ohne Marschgepäck oder Zubehör - sprechen jedenfalls für diese Vermutung. Natürlich, im Gelände könnte mein Velo nicht mithalten, aber hier in der Stadt sehr wohl. Das alte Militärrad läuft in der Ebene, erst einmal in Schwung gebracht, unglaublich leicht, leise und stoisch geradeaus, so dass man eine Gangschaltung nicht wirklich vermisst.

Und überall scheint in diesem Velo das verbaut zu sein, für das die Schweiz einst stand. Eidgenössische Solidität. Wie ewiges Gletschereis, rote Offiziersmesser, Toblerone, Riccola oder das Bankgeheimnis. Wer hat's erfunden? Genau! Und was die Langlebigkeit angeht, da können die heutigen Mountain-, Trekking-, Retro- oder was es da sonst noch an Bikes gibt, eh nicht mithalten.

Mein Velo wurde beispielsweise 1934 - erkennbar an der im Rahmen eingefrästen Jahreszahl sowie Rahmennummer - gefertigt und ist seit fast einem Jahrzehnt mein treuer Begleiter.

Vom Kriegsgerät zum Designobjekt

Es ist allerdings nicht top-restauriert, sondern in einem alltagstauglichen Zustand. Was natürlich auch an der Pedanterie der Schweizer Armee gelegen haben mag, wie der Auszug aus einer Dienstanweisung belegt. "Geht ein Rad infolge nachlässiger Behandlung zugrunde oder ist es beim Einrücken in einem Zustand, dass es zuerst in Revision gegeben werden muss, so hat der Fehlbare nicht nur die Reparatur selbst zu bezahlen, sondern es kann gegen ihn noch das Militärgerichtsverfahren wegen Zugrundegehenlassens und Verschleuderns von Kriegsmaterial eingeleitet werden."

Harte Sitten waren das. Da wenden wir uns doch lieber den schönen Seiten des zu: Sattel und Werkzeugtasche sind aus Leder gefertigt, die Pedale sind mit überdimensionalen Gummiklötzen bestückt, und unter dem Rücklicht ist - sozusagen als Krönung - das Schweizer Nummernschild befestigt. Das ist kein billiger Retro-Effekt, denn wie jedes normale Fahrrad in der Schweiz musste auch das Armeerad angemeldet und versichert sein.

Mein Fazit nach einigen Jahren mit dem Ordonnanzrad 05: Mit diesem Klassiker fällt man neben den 0815-Rädern der anderen so richtig schön auf, und man macht mit dem Gefährt auch vor dem Biergarten oder Café eine gute Figur. Nur aus den Augen lassen sollte man es nicht. Original-Armeeräder sind inzwischen begehrt und dementsprechend teuer.

Für ein Rad in gutem Zustand sollten rund 450 Euro bis 550 Euro veranschlagt werden, besonders gut erhaltene Exemplare mit zeitgenössischem Zubehör wie beispielsweise Nummerntafeln, Packtaschen und dergleichen kosten deutlich mehr. Dafür entschädigt das Wissen, es nicht mit einem kurzlebigen Gebrauchsgegenstand zu tun zu haben. Dieses Rad begleitet einen zuverlässig über die Jahrzehnte und altert dabei würdevoll mit seinem Besitzer.

Wenn mir also an der roten Ampel so ein Typ mit seinem Kohlenstoff-Hightech-Mountainbike einen mitleidigen Blick zuwirft, halte ich es ganz mit Hubert von Goisern, der sang: "Ich fahr auffi auf'n Berg mit meim' alten Waffenradl, weil a Mountain-Bike is nur für a ausgronnenes Wadl" (zu hochdeutsch: eine dürre Wade).

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