
Gefährlicher Nervenkitzel: Indische Steilwände
Motorshow in Indien "Und wenn mir ein Auto auf den Kopf fällt?"
Wagemutig oder leichtsinnig? Mit bis zu 100 Kilometern pro Stunde knattern Inder mit Motorrädern und Autos eine fast senkrechte, zylinderförmige Wand entlang und trotzen dabei der Schwerkraft. Die indische Steilwand, auch "Well of Death" genannt, was man am besten mit Brunnen des Todes übersetzen kann, gehört zu den aufregendsten und gleichzeitig gefährlichsten Motorshows der Welt.
Der Fotograf Ken Hermann hat gemeinsam mit dem Regisseurin Gem Fletcher eine Gruppe von acht Fahrern eine Woche lang auf einem Jahrmarkt in Solapur, im westindischen Bundesstaat Maharashtra, begleitet. Sie wollten die Energie des Spektakels, die Fahrer und ihre Persönlichkeit fotografisch einfangen.
Es sind gewöhnliche Menschen, die täglich ihr Leben riskieren: Sieben der Fahrer sind Männer, Radha ist die einzige Frau. Sie fährt bereits seit 20 Jahren mit, damals musste sie den Chef überzeugen, sie aufzunehmen. Heute verdient er sogar besser mit ihr, weil sie mehr Publikum anzieht.
Bei den Shows klettern die Fahrer aus dem Fenster
Die Fahrer stammen aus verschiedenen Bundesstaaten des Landes und kannten sich vorher nicht. Jetzt reisen sie mehrere Monate im Jahr gemeinsam durch Indien und treten auf verschiedenen Jahrmärkten auf. Sie leben dabei fast wie eine Familie, unterstützen sich gegenseitig und schlafen nachts in Zelten in der Nähe der Steilwand. Kommt jemand Neues dazu, bringen sie ihm ihre Tricks bei.
Bei den Shows starten die Fahrer auf dem Boden der Arena, fahren auf eine leicht schräge Rampe bis sie genügend Geschwindigkeit erreichen. Mit etwa 100 km/h wagen sie sich dann an den oberen Rand der Steilwand und vollführen tollkühne Stunts: Sie klettern aus dem Fenster, legen sich auf das Dach ihres Autos, reichen sich zwischen zwei Fahrzeugen die Hände; sie setzen sich rittlings auf ihr Motorrad oder fahren freihändig.

Gefährlicher Nervenkitzel: Indische Steilwände
Der Aufbau der Steilwand dauert rund eine Woche: An jedem neuen Ort graben die Mitarbeiter erneut ein Loch in den Boden und installieren mit Holzbrettern die Arena. Der so entstehende Zylinder hat einen Durchmesser von rund 15 Metern, die Wände sind an die zehn Meter hoch. Die Show gehört auf den Jahrmärkten meist zu den beliebtesten: Viele Einheimische aller Altersstufen werden davon angezogen, die Fahrer gelten als Helden. Rund 50 Cent zahlen die Besucher umgerechnet pro Veranstaltung.
Auch in anderen Ländern gibt es vergleichbare Attraktionen
Die meisten der Fotos entstanden mitten in der Arena, während mehrere Fahrzeuge an der Steilwand um Fotograf Ken Hermann kreisten. Die Motoren dröhnten, ein überwältigender Geruch von Benzin lag in der Luft - eine Herausforderung für Hermann, in dieser Situation zu fotografieren. "Ich war schon ein wenig paranoid, konnte den Gedanken nicht abschütteln: Und wenn mir ein Auto auf den Kopf fällt?"
Auch in anderen Ländern gibt es vergleichbare Attraktionen: "Der Hauptunterschied ist, dass Sicherheit in Indien keine Rolle spielt", sagt der Fotograf. Die Fahrer tragen weder Helme noch sonstige Schutzkleidung, vermeiden jegliche Sicherheitsvorkehrungen. "Das Risiko ist außergewöhnlich hoch." Schwere Unfälle sind jedoch eher selten. Eine Sache bereut Hermann allerdings trotzdem bis heute - als er gefragt wurde, ob er in einem der Autos mitfahren wolle, sagte er nein.