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YouTube-Hit aus der Garage Die Schmierenkomödie

Ein Motor zerlegt sich von selbst: Mit Tausenden Fotos hat ein Brite die Bastelarbeiten an seinem Oldtimer dokumentiert. Das daraus entstandene Daumenkino macht jetzt im Internet Furore.

Das Meisterwerk entstand zufällig. Eigentlich pflegte Chris Herridge nur sein Hobby und bastelte an einem alten Motor. Nebenbei knipste er die Maschine - schließlich wollte der 37-jährige Web-Entwickler seinen Freunden im südenglischen Chichester zeigen, wie er so die Wochenenden verbringt. Doch dann wurde daraus dieses irrwitzige Video: "11 months, 3000 pictures and a lot of coffee". Innerhalb kurzer Zeit ist es über zwei Millionen Mal auf YouTube geklickt worden.

Zu sehen ist ein Motorblock, der zu den Takten Edvard Griegs berühmter Peer-Gynt-Suite zum Leben erwacht. Schrauben springen aus den Gewinden, Kolbenringe rollen davon, der Keilriemen seilt sich ab. Ölflecken und Rost verschwinden wie von Geisterhand, polierte Ventile hüpfen in den Zylinderkopf wie ein Mops ins Körbchen. Dann bugsiert sich die Maschine unter die Motorhaube. Kabel und Drähte stürzen sich auf sie.

Schließlich das dramatische Finale: Der Zündschlüssel wird gedreht, die Ventile hämmern los. Gang rein - und ab dafür. Aber was ist das? Ein paar Schräubchen kullern noch über den Asphalt. Bevor sie geschnappt werden, haben sie sich auch schon davon gestohlen. Die Musik ist aus, Schluss.

Elf Monate harte Arbeit verdichten sich in diesem Video auf 141 Sekunden atemlose Unterhaltung. Dass der Clip so viele Leute begeistert, macht Chris Herridge ein bisschen verlegen. "Es war das erste Mal, dass ich so was gemacht habe", erzählt er. "Ich hatte weder viel Erfahrung als Mechaniker, noch im Produzieren von Animationsvideos."

Fotostrecke

YouTube-Hit aus der Garage: Das Schmierstück um den Spitfire

Foto: Chris Herridge

Die Austauschaktion sei nötig gewesen, weil der alte Antrieb in seinem Triumph Spitfire MKII völlig hinüber und der geliebte Oldtimer zum Stillstand verdammt war. Den gebrauchten Ersatz ersteigerte er für 100 Pfund auf Ebay. "Ein fertiger Motor aus der Werkstatt hätte mich das Zehnfache gekostet", sagt er, "Außerdem war ich neugierig darauf, so eine Maschine mal zu zerlegen."

Die Idee mit dem Video kam ihm, als er sich nach den ersten Arbeitsschritten einige Bilder auf seiner Digitalkamera durchklickte. "Die Fotos von dem Motor sollten eigentlich bloß als eine Art visueller Bauplan dienen. Aber dann merkte ich, dass sich daraus ein Daumenkino machen lässt." Und schon im nächsten Moment fiel ihm der passende Soundtrack dazu ein: das Orchesterstück "In der Halle des Bergkönigs" aus der Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg.

Ein stummer Assistent

Ein Hauch von MTV lag jetzt in seiner Garage. Wie ein Videoregisseur schrieb der Brite ein kleines Drehbuch." Für die Animation war eigentlich nur ein bisschen Vorplanung nötig", zeigt sich der 37-Jährige bescheiden. "Ich überlegte mir zuerst, was ich auseinanderbaue, anschließend komponierte ich daraus Bilderstrecken." Der Titel verrät es: 3000 Foto passten in die rund zweieinhalb Minuten Musik. "Insgesamt habe ich mehr als 4000 Bilder gemacht", sagt Herridge.

Weil er alleine arbeitete, wurde der Selbstauslöser zu seinem wichtigsten Assistenten. "Ich drückte den Knopf, sprintete zum Motor, hob das jeweilige Teil an und wartete ein paar Sekunden bis es Klick machte." In der fertigen Animation wirkt es, als würden die Teile von selbst wegfliegen. "Manchmal sieht man aber meine Hände", sagt Herridge. Den Umgang mit dem Schnittprogramm habe er zuletzt während der Schulzeit geübt, erklärt er. "Anfangs musste ich deswegen viel experimentieren."

Das Gleiche galt für die Arbeit am Motor. Die Schraubaktion sei die bislang größte Reparatur an seinem Triumph gewesen, seit er ihn sich vor fast zehn Jahren angeschafft hatte. "Die Anleitungen habe ich mir aus Büchern und Internetforen geholt", sagt er. "Und im Vergleich zu den heutigen Autos sind Oldtimer ja eigentlich simpel gebaut."

Trotzdem war ihm mulmig zumute, als die fertige Maschine endlich im Spitfire saß. "Ich hielt den Zündschlüssel in der Hand und hatte Angst, dass mir der Motor um die Ohren fliegt", erzählt er. Aber das Happy End im Video ist nicht gestellt: "Der Oldie ist auf Anhieb wieder zum Leben erwacht."

Dass das Video ebenfalls durchstartet, damit rechnete Chris Herridge nicht. "Ich habe es einfach mal ins Netz gestellt und an ein paar Freunde geschickt." Kurz darauf verbreitete sich es wie ein Lauffeuer.

Chris Herridge hört sich glücklich an, wenn er von seinem Doppelprojekt erzählt. Im August will er mit dem Triumph von England bis nach Frankreich reisen, ins Loire-Tal. Nur eine Sache macht ihm ein bisschen zu schaffen. "Die Peer-Gynt-Suite war eines meiner absoluten Lieblingsstücke. Aber nach den vielen Stunden, die ich es vor- und rückwärts abgespielt habe, kann ich es einfach nicht mehr hören."

cst

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