
»Bild«-Kampagne gegen Katharina Fegebank Die Grünen wollen Crashtest-Dummys gendern? Ja, bitte!


Männer im Vorteil: Crashtest-Dummy auf einer Versuchsstrecke der Dekra
Foto: Tobias Kleinschmidt/ picture alliance / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Öffentlichkeitsarbeit ist im Prinzip recht simpel: Je plakativer und kontroverser ein Thema, desto größer seine Reichweite. Die griffige Zeile wird lieber genommen, erzielt mehr Aufmerksamkeit als der ausgewogene Satz. Die Verantwortlichen des ITS-Verkehrskongresses in Hamburg hätten ihre Veranstaltung also auch überschreiben können mit: »Wie können Frauen und Menschen mit Behinderung bei Verkehrskonzepten besser mitgedacht werden?« Entschieden sich aber für: »Gender und Inklusion«. Das ist griffiger. Es bietet aber auch mehr Angriffsfläche. Zumindest wenn das Wort »Gender« als Reizwort wahrgenommen wird wie von der »Bild«-Zeitung. Aber von vorn.
»Gender und Inklusion« waren also die Schlagworte einer Podiumsdiskussion im Rahmen des ITS-Verkehrskongresses am vergangenen Dienstag in Hamburg. Darüber diskutierte die zweite Bürgermeisterin und Gleichstellungssenatorin der Hansestadt, Katharina Fegebank von den Grünen, mit Vertreterinnen verschiedener Frauennetzwerke sowie einer Mobilitätsforscherin. Tenor: Mobilitätslösungen werden vor allem von Männern gemacht und orientieren sich daher zu sehr an männlichen Bedürfnissen.
Gerade Frauen und auch Menschen mit Behinderung bräuchten besser auf sie abgestimmte Verkehrskonzepte
Die in Großstädten verfügbaren Sharing-Angebote würden besser zur Alltagsmobilität der Männer passen, sagte etwa die Verkehrsplanerin und Soziologin Ines Kawgan-Kagan. Doch gerade Frauen und auch Menschen mit Behinderung bräuchten besser auf sie abgestimmte Verkehrskonzepte.
Hamburg habe hier »einige Dinge angestoßen« und sei daher auf einem guten Weg, sagte die Hamburger Bürgermeisterin. So weit, so erwartbar. Fegebank sagte aber auch, Verkehrsmittel wie das Auto seien vor allem auf Männerkörper genormt: Sitze, Sicherheitsgurte, Airbags, aber auch Crashtest-Dummys bildeten männliche Proportionen ab. Das sei mindestens unangenehm für Frauen.
»Vize-Bürgermeisterin will Crashtest-Dummys gendern« machte daraus die »Bild«. Eine griffige Zeile. Im Text heißt es dann weiter: »Bald soll es auch bei der Produktion von Autos und in der Unfallforschung ›geschlechtsinklusiv‹ zugehen!« Ausrufezeichen. Wäre ja noch schöner!
Fegebank bezog sich in ihren Ausführungen auf den sogenannten 50-Perzentil-Mann: 78 Kilogramm schwer und 1,75 Meter groß, die eine Hälfte der europäischen Männer ist größer, die andere Hälfte kleiner. Bei vielen in der EU erhältlichen Fahrzeugen sind Seitenairbags, Nackenstützen, Gaspedale und so weiter auf ihn ausgelegt – im schlimmsten Fall zum tödlichen Nachteil weiblicher Passagiere.
Tatsächlich gibt es inzwischen eindrückliche und mit Zahlen belegte Beispiele für viele Bereiche, in denen der Mann noch als das Maß der Dinge gilt. Auch in der Medizinforschung oder der Architektur werden Frauen oftmals ausgeklammert. So haben Frauen mit Herzinfarkt oft andere Symptome als Männer, Lehrbücher vermitteln aber oft nur die von Männern; für öffentliche Herrentoiletten wird oft die gleiche Grundfläche eingeplant wie für Damentoiletten, weil die aber nur aus Kabinen bestehen, können sie pro Quadratmeter von weniger Personen gleichzeitig benutzt werden.
Die »Bild« begnügt sich mit einer Stichprobe. Stichprobengröße: eins
All das zusammenzutragen, dauert aber und ist komplex. Die Autorin Caroline Criado-Perez etwa hat mit ihrer Recherche über den Mann als das Maß der Dinge letztlich 400 Buchseiten vollgeschrieben zuzüglich eines 69 Seiten starken Anhangs mit 1331 Quellenangaben.
Die »Bild«-Zeitung wollte so weit offenbar nicht gehen und begnügte sich mit einer Stichprobe, Stichprobengröße: eins. Ein Sprecher von Volkswagen, immerhin der nach Toyota größte Autobauer der Welt, durfte darin mitteilen: »Autos von Volkswagen werden generell auch von und mit Frauen entwickelt. Sicherheit und Komfort gibt es für alle Insassen – passgenau abgestimmt auf alle Geschlechter und Körpergrößen.«
Eine klare Botschaft, schön griffig – und auch werbetauglich. Mehr kann man sich nicht wünschen, als Autoinsasse nicht, als »Bild« nicht, als Volkswagen schon gar nicht.