Elektroautos made in China Das sind die neuen Gegner der deutschen Autoindustrie

Einer der chinesischen Exporte: der SUV U5 von Aiways
Foto: Ai Shimin / VCG / Getty ImagesEs sind noch nicht sehr viele, aber ihre Zahl wächst schnell: Elektroautos aus China haben den Sprung auf den europäischen Markt geschafft. Knapp 18.000 Batteriefahrzeuge wurden nach Angaben des Marktanalyseanbieters Jato Dynamics von Januar bis November 2020 in Europa zugelassen. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es gerade 391 Stück.
Damit passiert nun, womit Fachleute schon seit Jahren rechnen: Chinesische Hersteller greifen die westliche Konkurrenz auf deren Heimatmärkten an. Zuvor hatte die Branche einen rasanten Aufstieg in der Heimat erlebt – die Volksrepublik ist gemessen am Absatz längst Autoland Nummer eins auf der Welt. Für die deutschen Hersteller ist China enorm wichtig, sie setzen dort einen Großteil ihrer Autos ab und unterhalten große Werke.
Doch nun scheint sich diese Einbahnstraße in die Gegenrichtung zu öffnen. Die Frage ist, wie tief chinesische Unternehmen Volkswagen und Co. ins Fleisch schneiden – und günstige Importware aus Fernost langfristig womöglich Arbeitsplätze in Europa gefährdet.
Ein wichtiger Treiber ist der Wechsel vom Verbrennungs- zum Elektromotor. Mit ihm werden die Karten in der Branche neu gemischt, er stellt den Vorsprung westlicher Konzerne bei Technik und Ansehen infrage. In China sind bereits riesige Batteriefabriken entstanden.

Made in China: Diese Autos kommen nach Europa
Ins Verhältnis gesetzt wirken rund 18.000 Autos aus China zunächst wie eine Randnotiz. Allein in Deutschland wurden 2020 rund 194.000 rein elektrische Fahrzeuge neu zugelassen. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erfasst China als Autoherkunftsland in seinem Neuzulassungsbarometer noch nicht einmal.
Doch Hersteller haben weitere Modelle für den europäischen Markt angekündigt. Viele von ihnen sollen mit aufwendigen Multimedia-Entertainmentsystemen und Assistenzsystem punkten – also in Disziplinen, die in China besonders wichtig sind und die laut Fachleuten weltweit an Bedeutung gewinnen.
SAIC und Polestar dominieren
Bisher haben vor allem zwei chinesische Konzerne in Europa Fuß gefasst: Zum einen der Geely-Konzern mit seiner schwedischen Marke Polestar, die wegen der Nähe zu Volvo nicht unbedingt als chinesisch wahrgenommen wird. Zum anderen Volkswagens Joint-Venture-Partner SAIC mit MG, einer ehemals britischen Marke.
In den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres haben Behörden laut Jato Dynamics rund 12.000 E-Autos von MG in Europa zugelassen, Polestar etwas weniger als 6000 – auf andere Neulinge wie beispielsweise Xpeng oder Aiways entfielen bisher wenige Autos.
Trotz der bisher überschaubaren Stückzahlen sollten etablierte Hersteller die neuen Konkurrenten genau beachten, sagt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch-Gladbach. »Was wir jetzt erleben, ist eine Vorhut.« Chinesische Autohersteller hätten aus dem ersten Versuch, nach Europa zu gelangen, gelernt. Damals, vor etwa 15 Jahren, versagten sie teils im Crashtest.
Vor den neuen Konkurrenten warnt auch Unternehmensberater Jochen Siebert, der auf den chinesischen Automarkt spezialisiert ist. Die heutigen Fahrzeuge hätten nichts mehr mit denen von damals zu tun. »Die chinesischen Autos, die heute in Europa auf dem Markt sind, muss man ernst nehmen«, so Siebert. Eine wirkliche Strategie für Europa habe bisher aber nur SAIC, deren MG-Modelle in Großbritannien aus angelieferten Bausätzen montiert würden.
Die Fahrzeuge werden vor allem dort und in Norwegen in größeren Stückzahlen verkauft. Norwegen ist laut Siebert der einfachste Markt. »Nach Deutschland und Frankreich trauen sich die chinesischen Hersteller bislang nicht wirklich«, sagt der Experte. Norwegen gilt durch die starke Förderung als Elektroparadies, 2020 fuhren dort mehr als die Hälfte der neu zugelassenen Autos rein elektrisch – und neue Hersteller müssen es nicht mit einer heimischen Autoindustrie aufnehmen. In Deutschland startet MG mit seinem bodenständigen Modell ZS erst in diesem Jahr.
Erfolge in Europa sollen Probleme in China ausgleichen
Aktuell kämen manche chinesischen Hersteller noch aus der Not nach Europa, erklärt Siebert – so wollten sie Probleme in China ausgleichen. Dort, so Siebert, habe Tesla einheimische Hersteller weitgehend verdrängt. »MG ist bei E-Autos bisher keine Erfolgsgeschichte«, erklärt der Chinaspezialist, Gleiches gelte für den ebenfalls in Europa präsenten Hersteller Aiways. »Beide spielen in China eine Nebenrolle«, stellt der Berater fest.
Trotzdem sieht er diese Hersteller als ernsthafte Wettbewerber in Europa – allerdings weniger für VW, BMW oder Mercedes. MG konkurriere eher mit Fiat, Peugeot oder auch Dacia, so Siebert. Fiat habe sich wegen Konkurrenten wie SAIC bereits 2019 aus China zurückziehen müssen, gleichzeitig entwickelten sich die Hersteller aus der Volksrepublik wahnsinnig schnell. Außer SAIC und Geely müsse man etwa BYD im Auge behalten.
Die Gegner der deutschen Hersteller kommen erst noch
Die wirklich harten Gegner aus Sicht der deutschen Hersteller dürften erst noch kommen. »Wirklich spannend wird es, wenn die Start-ups Nio, Li Auto und Xpeng in größerem Maßstab nach Europa kommen«, sagt Chinaspezialist Siebert. Denn die, so der Berater, »können alle mit Tesla mithalten«. So liegt Nios Börsenwert bei knapp 90 Milliarden Euro – und damit über dem des Branchenriesen General Motors. Bis zum Angriff der Start-ups dürfte jedoch noch etwas Zeit vergehen – denn diese sind Siebert zufolge bisher damit beschäftigt, ihr Chinageschäft aufzubauen.
Europäische Autokäufer können sich in Zukunft also auf mehr Vielfalt einstellen, auch weil die EU als einer der nächsten großen Wachstumsmärkte für E-Autos gilt. »2025 rechnen wir für China mit zwei Millionen Batteriefahrzeugen pro Jahr, in Europa dagegen mit vier bis fünf Millionen«, erklärt Berater Siebert. Der entstehende Markt dürfte weitere Wettbewerber für die hiesigen Hersteller anlocken.
Und worauf sollten sich Kunden bei den Newcomern einstellen? Zu Beginn, warnt Autoexperte Bratzel, bräuchten sie wohl eine gewisse Leidensfähigkeit. Wie bei Tesla müssten sie anfangs womöglich lange auf Ersatzteile warten. »Dafür sticht man mit so einem Auto heraus und profitiert von relativ günstigen Preisen«, so Bratzel.
Ob die Fahrzeuge in Sachen Qualität halten, was ihre Hersteller versprechen, werde sich aber erst nach einiger Zeit zeigen. Beim EuroNCAP-Crashtest indes verbuchte zumindest der MG ZS schon mal einen Erfolg – der Wagen schnitt mit fünf Punkten sehr gut ab.