Neue Nachtzüge für Europa Wie die Bahn das Flugzeug im Schlaf überholen will
Welche Nachtzugrouten kommen dazu und was soll das bringen?
Ab Dezember 2021 verkehren neue Nachtzüge zwischen Wien, München und Paris sowie Zürich, Köln und Amsterdam. Ab Dezember 2023 wollen die Deutsche Bahn, die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), die französische SNCF und die Schweizerischen Bundesbahnen außerdem Wien und Berlin mit Brüssel und Paris verbinden, Ende 2024 dann Zürich mit Barcelona.
Damit fahren die Züge zwischen bevölkerungsstarken Metropolen und erschließen mittelbar touristische Regionen wie die Alpen und die spanische Mittelmeerküste. Über Brüssel und Paris ließe sich auch London aus weiteren Distanzen besser per Bahn erreichen.
Man glaube fest daran, dass Nachtzüge eine Schlüsselrolle in der europäischen Mobilität spielen werden, erklärte der französische Staatsminister für Verkehr, Jean-Baptiste Djebbari. »Sie sind umweltfreundlich und werden das Interesse unserer Bürger am Zugfahren steigern.« Auch die Allianz pro Schiene begrüßte die Initiative. Die Nachfrage nach einer Alternative zu innereuropäischen Flügen sei groß, erklärte Geschäftsführer Dirk Flege. »Es ist gut, dass nun die Verbraucher bekommen, was sie sich seit Langem wünschen.«
Die Deutsche Bahn behauptete lange, Nachtzüge lohnen sich nicht. Warum macht sie nun trotzdem mit?
Die Deutsche Bahn will angesichts des politischen Drucks für mehr Klimaschutz im Verkehr nicht im Abseits stehen, ihre Beteiligung spielt sich offenbar jedoch eher im Hintergrund ab. So erklärte der Konzern auf Anfrage, es kämen Lokomotiven und Sitzwagen der Bahn zum Einsatz und man investiere in Personal und Vertriebssysteme. Der Kauf zusätzlicher Schlaf- und Liegewagen erfolge im Rahmen der Kooperation aber durch die ÖBB. Unter deren Marke Nightjet sollen die Züge auch betrieben werden, wie das österreichische Bahnunternehmen mitteilte.
Noch 2019 erklärte die Bahn, Nachtzüge seien ein Nischengeschäft, man stecke das Geld lieber in neue Fernverkehrszüge im Tagesbetrieb. »Nachtzugverkehr wird politisch geliebt, ist aber ein extrem mühsames Geschäft«, sagt auch Maria Leenen vom Beratungsunternehmen SCI Verkehr. »Die Organisation ist komplex, die Nachfrage und die Zahl der Strecken sind begrenzt, und man kann ihn kaum in ein modernes Geschäftsmodell überführen«, so Leenen. Außerdem seien die Fahrzeuge kaum universell einsetzbar – wer zum Wintersport verreist, braucht mehr Platz fürs Gepäck als Städtetouristen. Zudem sind viele Nachtzüge für Tagfahrten ungeeignet.
Trotzdem sprang die ÖBB in die Bresche und engagierte sich im Nachtzugverkehr. Österreichs Bahn hat 13 neue Züge mit Schlaf- und Liegewagen bestellt, die 2022 geliefert werden, Ende 2023 sollen 20 weitere hinzukommen. »Man kann nur den Hut vor der ÖBB ziehen, die es schafft, das zu betreiben, wenn auch mit politischer Unterstützung«, so Beraterin Leenen. Die jetzige Ausweitung sei deshalb vor allem ein Pilotprojekt, das dem politischen Willen Nachdruck verleihen solle. »Man muss abwarten, ob hier eine echte Nachfrage entsteht«, warnt Leenen.
Können Nachtzüge im Wettbewerb mit dem Flugzeug wirklich bestehen?
Schnellzüge sind auf vielen Strecken eine ernsthafte Konkurrenz für Fluggesellschaften. Für Nachtzugverbindungen gilt das jedoch nur bedingt, warnt SCI-Beraterin Leenen. »Nachtzüge sind ein Nischenmarkt und nicht mit klassischen Fernverkehrsverbindungen vergleichbar.« Denn ein Nachtzug ersetze nur Flüge am Tagesrand und könne dem Flugverkehr im Gegensatz zum Schnellzug deshalb nur bedingt Marktanteile abnehmen.
»Vor allem Geschäftsreisende nehmen Nachtzüge kaum an, sie fahren eher abends Schnellzug und gehen dann ins Hotel«, sagt Leenen. Denn nur wenige Nachtzugverbindungen bieten Fahrgästen Vorzüge im Vergleich zu anderen Optionen. Sie seien typischerweise für Urlaubsreisen geeignet, bei denen auch die Fahrt so ein zusätzliches Erlebnis werde, zum Beispiel in den Skiurlaub oder ans Meer. Naturgemäß seien nicht alle Strecken geeignet. »Man benötigt eine Distanz, bei der die Abfahrt zwischen 20 und 23 Uhr liegt und man gegen 9 Uhr ankommt«, erklärt Leenen. Denn im Sitzen sei es schwer, in diesen Zügen komfortabel zu reisen.
Wie viel CO₂ spart eine Nachtzugfahrt im Vergleich zu einem Flug?
Die neuen Nachtzugverbindungen sollen Reisenden vor allem eine klimafreundliche Alternative zum Flugzeug bieten. Diesen Vorteil genau zu beziffern ist jedoch schwierig. So sorgt eine Fahrt mit dem Zug für deutlich weniger CO₂ als ein Flug. Während im Eisenbahnverkehr pro Personenkilometer in Deutschland nur 32 Gramm CO₂-Äquivalent entstehen, sind es im Flugverkehr mit 230 Gramm deutlich mehr.

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Die Klimabilanz einer Nachtzugfahrt dürfte jedoch etwas schlechter ausfallen, da weniger Fahrgäste in die Schlaf- und Liegewagen passen. Neben der kleineren Passagierzahl muss bei den internationalen Routen auch der unterschiedliche Strommix berücksichtigt werden. Während nach Angaben der ÖBB in Österreich hundert Prozent des Bahnstroms aus erneuerbaren Energien stammen, sind es in Deutschland nur 61 Prozent, 20 Prozent werden immer noch durch Kohlestrom abgedeckt. Die genaue Ersparnis hängt also von Auslastung und Strecke ab. Den Nachteil der geringeren Passagierzahl kann der Nachtzug jedoch indirekt ausgleichen, indem er auch eine Hotelübernachtung ersetzt – doch auch hier schwanken die genauen CO2-Emissionen je nach Hotel und Zimmer stark.
Ein größeres Nachtzugangebot wird schon länger diskutiert. Warum rollen die neuen Züge erst in einem Jahr?
Dass es erst Ende 2021 losgeht, liegt auch am schwierigen Geschäftsmodell. Die Margen im Nachtzugverkehr seien klein, dadurch steigen kaum Leasingunternehmen in diesen Bereich ein, erklärt Beraterin Maria Leenen. »Es gibt also nur begrenzt Schlaf- und Liegewagen, europaweit etwa 1500 Stück.« Davon seien über 90 Prozent im Besitz der Staatsbahnen, es gebe aber auch ein paar private Anbieter wie Regiojet oder Snälltaget.
»Gleichzeitig sind die Wagen vergleichsweise alt, auf neue Züge muss man rund 18 Monate warten«, so Leenen. Deshalb dauere es relativ lange, bis auf den neuen Linien das erste Mal gefahren werde.
Welche Pläne haben andere europäische Zuggesellschaften für Nachtzüge?
Nicht nur die vier an der aktuellen Kooperation beteiligten Staaten wollen das Angebot ausbauen. Künftig sollen beispielsweise Malmö und Brüssel sowie Stockholm und Hamburg verbunden werden, erklärte die Allianz pro Schiene auf Anfrage. Ab März 2021 will der private Anbieter Snälltaget Berlin mit Malmö und Stockholm verbinden – und dabei ohne Subventionen auskommen.
Als eher kontraproduktiv werten vor diesem Hintergrund die Konkurrenten der Staatsbahnen die neue Kooperation. So bezeichnete der Präsident des Bündnisses für fairen Wettbewerb im Schienenpersonenverkehr Mofair, Christian Schreyer, das geplante Netz als »Nachtzugkartell« der Staatsbahnen. Man müsse sicherstellen, dass die Initiative nicht die sich selbst tragenden Aktivitäten privater Unternehmen zertrete, so Schreyer.
Zahlreiche weitere europäische Städte sind bereits an internationale Nachtzugstrecken angebunden, beispielsweise Prag und Warschau, Budapest und Bukarest oder auch Zagreb und München. Ein Sprecher des Verkehrsclub Deutschland warnte deshalb, neue Aktivitäten dürften sich nicht auf Zentraleuropa beschränken. Es sei höchste Zeit, alle wichtigen Städte Europas von Moskau bis Lissabon und von Neapel bis Stockholm rund um die Uhr mit schnellen Zugverbindungen zu verknüpfen, so der Sprecher. »Hier sehen wir alle Staaten Europas und ihre Bahngesellschaften in der Pflicht, ein attraktives Angebot zu schaffen.«