VDA-Chefin kritisiert Pop-up-Radwege Heulen gehört zum Handwerk

Ein Kommentar von Emil Nefzger
Keine Branche wurde von der Politik so verwöhnt wie die Autoindustrie. Jetzt ist der deutschen liebstes Kind verzogen, ständig quengelt der Lobbyverband herum. Diesmal voll gemein: Pop-up-Radwege.
Laut VDA-Präsidentin Müller "politisches Theater": Ein Pop-up-Radweg in Berlin

Laut VDA-Präsidentin Müller "politisches Theater": Ein Pop-up-Radweg in Berlin

Foto: Sabine Gudath / imago images

Kleine Kinder entwickeln schon früh im Leben eine Strategie, um sich die Aufmerksamkeit der Eltern zu sichern und ihren Willen durchzusetzen: Wenn die Dinge nicht wie geplant laufen, plärren sie los. Weil die Methode genauso schlicht wie effektiv ist, wird sie in zermürbendem Takt eingesetzt.

Nach einem ähnlichen Muster verfährt der Verband der Automobilindustrie (VDA). Und weil es in den vergangenen Jahren angesichts von Dieselskandal und Klimakrise vieles gab, was nicht nach dem Gusto von Deutschlands mächtigem Lobbyverband war, erklang von dort ein ständiges Jammern: harte CO2-Grenzwerte, Verkaufsstopp für Verbrennungsmotoren, Malus-Systeme für fette SUV. Menno!

Aktuell hat VDA-Präsidentin Hildegard Müller ein neues Klagelied angestimmt: Sie kritisierte die in der Coronakrise temporär errichteten Radstreifen, sogenannte Pop-up-Radwege, und einzelne, für Autos gesperrte Straßenzüge in einem Interview mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe als "politisches Theater".

Zur Erinnerung: Mehrere deutsche Städte haben in der Corona-Pandemie, als der Radverkehr geradezu explodierte und das Fahrrad das Auto zeitweise als wichtigstes Verkehrsmittel ablöste, provisorische Radstreifen eingerichtet, für gewöhnlich auf Kosten des Autoverkehrs. Solche Maßnahmen sind hoch umstritten, beheben jedoch ein grundlegendes Problem. Der öffentliche Verkehrsraum ist in deutschen Städten nicht nur knapp, er ist auch ungerecht verteilt. So belegen zum Beispiel im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg Autos zwei Drittel der Flächen, erreichen bei den Verkehrsmitteln aber nur einen Anteil von einem Drittel.

Teile und herrsche im Verteilungskampf auf der Straße

VDA-Präsidentin Müller will diese Einzelmaßnahmen – denn mehr sind es bisher ja nicht – nun auf plumpe Art delegitimieren, indem sie den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) gegen den Radverkehr ausspielt. So droht Müller zufolge durch Maßnahmen "gegen den Autoverkehr" und der Tatsache, dass es im ÖPNV Strecken ohne Verbindungen gibt (Müller nennt es Lücken), ein Verkehrskollaps. Wer also einfach Straßenzüge für Autos sperre, ohne den ÖPNV auszubauen, sorge lediglich dafür, dass Autofahrer Umwege fahren.

Diese Argumentation hinkt aber. Natürlich gibt es Lücken im ÖPNV, die nur per Auto überwunden werden können. Allerdings vornehmlich auf dem Land. Und natürlich sorgen Sperrungen für Ausweichverkehr, aber eben nicht nur. Genau so eine Sperrung sorgte beispielsweise in Tübingen dafür, dass der Autoverkehr zurückging und mehr Menschen Rad fuhren – was natürlich nicht im Sinne eines Auto-Lobbyverbands ist.

Das Ziel der VDA-Präsidentin ist deshalb klar: Der sich langsam manifestierende Bedeutungsverlust des Autos soll kompensiert werden, indem man die deutschen Autofahrer gegen mögliche Veränderungen pro Fahrrad mobilisiert. Dass neue Radwege zulasten von Fahrspuren den Autoverkehr nicht automatisch verlangsamen? Geschenkt. Denn tatsächlich dürfte es dem VDA weder um die Mobilitätswende, wie Müller beteuert, noch um die deutschen Autofahrerinnen und Autofahrer gehen, sondern ausschließlich um die Wahrung des eigenen Besitzstandes. So sollten Kommunen, anstatt Verkehrsraum umzuverteilen, Müller zufolge "den Vorteil der modernen Autos nutzen" und in smarte Mobilität investieren.

Profite für die Autoindustrie, die Allgemeinheit zahlt

Was die Autohersteller durch immer größer werdende Fahrzeuge verbockt haben, sollen also öffentliche Gelder richten und das Auto in Zukunft innenstadttauglich machen. Dabei ändern auch digitale Leitsysteme nichts am entscheidenden Problem des Autoverkehrs: Pkw stehen die meiste Zeit nur ungenutzt herum und verbrauchen Platz, der auch noch großzügig subventioniert wird. Während das Anwohnerparken in deutschen Städten pro Tag umgerechnet acht Cent kostet, liegen die wahren Kosten eines öffentlichen Stellplatzes Modellrechnungen zufolge bei mehreren Tausend Euro  pro Jahr.

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Müller wendet mit ihrer Forderung ein gelerntes Muster des verzogenen Lieblingskinds der deutschen Wirtschaft an: Sobald die Befindlichkeit gestört ist – in diesem Fall die Angst vor ein paar umgewidmeten Autospuren – fordert man staatliche Unterstützung.

Im Gegensatz zu früheren Zeiten stößt der VDA in Berlin mittlerweile meist auf taube Ohren, wie der gescheiterte Ruf nach Kaufprämien zeigte. Nachdem die Bundesregierung inzwischen als Steigbügelhalter ausfällt, muss der VDA nun eben den deutschen Autofahrer für seine Ziele einspannen. Dabei wirkt der ewig gestrige Lobbyverband in der Diskussion um die Umverteilung des Platzes in deutschen Städten jedoch immer mehr wie ein Teilnehmer einer Realitysendung auf RTL2, der auf vorgeschlagene Veränderungen hysterisch brüllte: "Halt, stopp, das bleibt alles so, wie es hier ist". Ein tatsächlicher Lösungsvorschlag ist das jedoch nicht.

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