

Radfahrprämie Drahtesel? Goldesel!


Ein Radler in Amsterdam: Für viele Niederländer ist das Pendeln zur Arbeit auf dem Fahrrad schon seit Jahren eine Selbstverständlichkeit
Foto: AmsterSam/ Moment Editorial/ Getty ImagesJetzt mal ehrlich: Was müsste man Ihnen zahlen, damit Sie nicht mit dem Auto zur Arbeit fahren, sondern mit dem Fahrrad? 50 Euro im Monat? 100? Ich meine das ernst. Sie bekommen die Kohle steuerfrei überwiesen. Nennen Sie eine Summe. Jeder hat doch seinen Preis.
Tatsächlich ist dieses Angebot weniger abwegig, als es scheint. In einigen Länder werden Bürger dafür bezahlt, wenn sie mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Steuerfrei wird die Prämie auf den Lohn draufgeschlagen. Zuletzt wurde in den Niederlanden diskutiert, 19 Cent für jeden geradelten Kilometer auszuzahlen.
In einer vereinfachten Rechnung wären das bei durchschnittlich 20 Arbeitstagen im Monat bei einer Vollzeitstelle und einer Strecke von zehn Kilometern pro Weg 76 Euro im Monat. Die Pedalierleistung könnte von den teilnehmenden Unternehmen geprüft oder, wie beim Projekt "B-Riders", über eine App und GPS ermittelt werden. Das Geldverdienen würde morgens direkt beim Verlassen der Haustür beginnen.
In Belgien wird man schon fürs Radfahren bezahlt
Auch in anderen europäischen Ländern, etwa Italien oder Frankreich, werden radelnde Pendler belohnt - mit bis zu 25 Cent pro Kilometer. Belgiens System startete Ende der Neunzigerjahre. Die Anzahl der Empfänger der steuerfreien Prämie habe sich stetig erhöht: zuletzt von 140.636 Belgiern im Jahre 2006 auf 547.152 im Jahre 2018, so Holger Haubold, Direktor des Europäischen Radfahrerverbands (ECF). "Inzwischen empfangen über 15 Prozent aller Arbeitnehmer die Prämie."
Untersuchungen des belgischen Föderalen Öffentlichen Dienstes für Mobilität und Transportwesen hätten zudem ergeben, dass die Einführung einer Prämie die effektivste Möglichkeit zur Fahrradförderung für Unternehmen sei, noch vor dem Bau von Fahrradparkplätzen. "Unternehmen, die die steuerfreie Kilometerprämie einführen, können das Fahrradfahren zur Arbeit um durchschnittlich 36 Prozent erhöhen", so Haubold.
Radfahrer mit Geld zu belohnen, ist aus unterschiedlichen Gründen sinnvoll:
Immer mehr Menschen ist nachhaltiger Konsum wichtiger als möglichst günstig einzukaufen. Sie benutzen beispielsweise Zahnbürsten aus Bambus statt die günstigeren aus Plastik. Und sie machen Urlaub an der Nordsee anstatt wegzufliegen. Trotzdem erreicht man viele Menschen nach wie vor nur, wenn man durchs Portemonnaie zu ihnen spricht. Ihnen sollte man Umweltschutz als guten Deal verkaufen. Eine Radfahrprämie ist da ein geeignetes Instrument. Sie appelliert nicht ans Klimagewissen, sondern an den Kontostand.
Psychologen raten: loben statt bestrafen
Auch psychologisch ergibt eine Prämie Sinn. In der Verhaltenspsychologie spricht man von positiven und negativen Verstärkern. Das bedeutet, dass ein gewünschtes Verhalten zu einer höheren Wahrscheinlichkeit eintrifft, wenn ein angenehmer oder unangenehmer Reiz eingesetzt wird. Etwas kann beispielsweise mit Zuneigung belohnt oder Abneigung bestraft werden. Positive Verstärkung hat einen besseren Ruf als negative, etwa bei der Erziehung von Kindern. Psychologen raten, Lob statt Bestrafung anzuwenden.
Übertragen auf die Verkehrspolitik: Autofahrer müssen KfZ-Steuer zahlen, um beispielsweise durch sie verursachte Schäden zu kompensieren. Sie empfinden das zumeist als Bestrafung und nicht als notwendigen Beitrag für den Erhalt der Infrastruktur. Wer kein Auto besitzt, spart dieses Geld. Woran es trotzdem fehlt, ist ein finanziell positiver Verstärker für Radfahrer, der darüber hinausgeht. Der einen als Verdiener und nicht als Sparer definiert. Das wäre dann die Radfahrprämie.
Weg mit der Pendlerpauschale
In Wahrheit gibt es in Deutschland längst eine Prämie für den Weg zur Arbeit: die Pendlerpauschale. Jeder kann in seiner Einkommensteuer pauschal Kosten für Fahrten zwischen seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte absetzen. Der Haken an der Sache ist, dass die 30 Cent pro Kilometer - ab 2021 sollen es 35 Cent sein - unabhängig davon gelten, wie man die Strecke zurücklegt. So subventioniert die Pauschale täglich Tausende gefahrene Autokilometer.
Viel sinnvoller wäre es, eine Prämie einzuführen, die nur für Radfahrer gilt. Die Pendlerpauschale sollte entsprechend abgeschafft werden. Zu dem Schluss kommen auch die Autoren eines internen Papiers des Umweltbundesamts, das der "Süddeutschen Zeitung" vorliegt. Aus ihm gehe hervor, welche drastischen Einschnitte nötig wären, um die deutschen Klimaziele im Verkehr zu erreichen. Unter anderem müsse der Preis von Diesel bis 2030 um 70 Cent steigen und auch die Pendlerpauschale wegfallen, um Autofahren unattraktiver zu machen.
Das wäre ein starkes Signal für die Verkehrswende. Es müsste in diesem Szenario nicht einmal Verlierer geben, wenn sukzessive der ÖPNV ausgebaut und die Ticketpreise für gemeinschaftliche Mobilität stärker subventioniert würden.