Kostenbeteiligung im Verkehr Schweizer Politiker fordern Fahrrad-Vignette

Nur wer zahlt, darf in die Pedale treten: In der Schweiz soll Radfahren künftig nur noch mit Vignette erlaubt sein, so verlangen es 45 Politikerinnen und Politiker. Ist das gerecht – oder nur Schikane der Autolobby?
Radfahrer in der Schweiz: Politiker fordern Kostenbeteiligung

Radfahrer in der Schweiz: Politiker fordern Kostenbeteiligung

Foto: Pius Koller / IMAGO

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

Radfahren ist gesund, umweltfreundlich, platzsparend – und kostenlos. Letzteres könnte sich künftig ändern, zumindest in der Schweiz.

Dort hat der Nationalrat und Transportunternehmer Benjamin Giezendanner von der konservativ-populistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht, mit der Radfahrer zur Kasse gebeten werden sollen. Radlerinnen und Radler sollen demnach künftig »die Infrastrukturkosten für den Veloverkehr« möglichst selbst übernehmen. Das Papier wurde von 45 Politikerinnen und Politikern aus drei Parteien (SVP, FDP, Die Mitte) unterzeichnet.

»Künftig sollen Velofahrer gleich wie Autofahrer, Töfffahrer [Motorradfahrer] und Zugreisende behandelt werden«, sagte Giezendanner, der auch Geschäftsführer des Fuhrunternehmens Giezendanner Transport AG ist, der Züricher Zeitung »Tages-Anzeiger« . Wer mit dem neuen Veloweg-Gesetz bessere Trassen und zusätzliche Rechte bekomme, müsse auch zusätzliche Pflichten auf sich nehmen, das gelte ebenso in finanzieller Hinsicht. »Vernünftig wäre ein Preis von 20 Franken (ca. 19,50 Euro, d.Red.) pro Velo und Jahr.«

Der Nationalrat Matthias Aebischer von den Sozialdemokraten (SP), der auch Präsident der Gruppierung »Pro Velo Schweiz« ist, hält den Vorschlag für Unfug. »Vom Ausbau der Velowege profitieren nicht nur die Radfahrer, sondern alle.« Die Trennung von motorisiertem Verkehr und Fahrradverkehr bedeute auch für Auto- und Lkw-Fahrer mehr Sicherheit. Darüber hinaus werde der Verkehr insgesamt flüssiger. »Jeder Velofahrer ist ein Steuerzahler und leistet so schon einen Beitrag an den Unterhalt der Infrastruktur aller Verkehrsteilnehmer.« Dazu komme, dass heute jeder Autofahrer auch ein Radfahrer sei.

Die Protagonisten der »Auch-Radfahrer-sollen-zahlen«-Initiative haben noch nicht erklärt, wie die geplante Abgabe erhoben werden soll. In der Diskussion ist eine Velo-Vignette, analog zur Schweizer Autobahn-Vignette.

Für die meisten Radlerinnen und Radler in der Schweiz wäre eine Kennzeichnung am Fahrrad nichts Ungewohntes, sie hat dort Tradition. Bereits in den 1890er-Jahren wurden in einigen Kantonen Nummernschilder für Fahrräder ausgegeben. Erst waren das Blechschilder, später Aluplaketten, schließlich Aufkleber. Die wurden erst Ende 2011 abgeschafft.

Radlerinnen am Ausbau der Infrastruktur beteiligen

Die ehemaligen Velo-Vignetten galten als Nachweis einer Haftpflichtversicherung des Fahrrads. Wer auf einem Fahrrad ohne eine gültige Vignette ertappt wurde, musste ein Bußgeld von 40 Franken zahlen (die Vignetten selbst kosteten zuletzt etwa 10 Franken pro Jahr). Abgeschafft wurden sie schließlich, weil 2011 fast alle Schweizer Haushalte mit einer privaten Haftpflichtversicherung ausgestattet waren, die auch Fahrradunfälle einschloss. Beim neuen Anlauf für eine Fahrrad-Vignette geht es darum, Radlerinnen und Radler am Ausbau der Infrastruktur zu beteiligen.

Auch in Deutschland flammt diese Diskussion in Foren und sozialen Medien immer mal wieder auf. Ein Argument: Die Kosten für Radwege, autofreie Zonen oder Fahrradstellplätze müssten allein Autofahrer begleichen.

Das indes trifft so nicht zu, denn Steuern sind nicht zweckgebunden, auch nicht Kfz- und Energiesteuer. Zudem landen die etwa neun Milliarden Euro pro Jahr aus der Kfz-Steuer beim Bund und nicht bei den Kommunen. Die allerdings bauen und bezahlen die Radwege. Die Energiesteuer auf Sprit wiederum kann zwar Städten und Gemeinden zufließen, darf aber von jenen nur für große Infrastrukturprojekte verwendet werden. Baumaßnahmen für den Rad- oder Fußgängerverkehr fallen selten darunter.

Im Bundeshaushalt für 2022 sind insgesamt 18 Milliarden Euro für Ausbau, Unterhalt und Sanierung der Verkehrsinfrastruktur vorgesehen. Davon entfallen je 8,5 Milliarden auf Straßen und Schienen sowie rund eine Milliarde auf Wasserstraßen. Fürs Fahrrad steht viel weniger Geld bereit, allerdings wuchsen die Summen zuletzt deutlich. Der Bund hat 2021 angekündigt, in den Jahren 2020 bis 2023 insgesamt knapp 1,5 Milliarden Euro für die Förderung des Radverkehrs und den Ausbau der Radinfrastruktur bereitzustellen . Ein neuer Radverkehrsplan 3.0 soll das Muskelkraft-Verkehrsmittel zusätzlich voranbringen.

Spezielle Fahrradsteuern soll es zu dessen Finanzierung nicht geben, findet erwartungsgemäß der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC). »Von der Idee einer Fahrrad-Vignette halten wir nichts«, sagt Ann-Kathrin Schneider, ADFC-Bundesgeschäftsführerin. »Ein so kleinteiliges Bezahlsystem verkompliziert das Radfahren unnötig – und schafft mehr Bürokratie als Nutzen.« Die Politik wolle und müsse das Radfahren fördern, um den Verkehr nachhaltig zu machen und auf Klimakurs zu bringen. Das Bundesverkehrsministerium nahm auf Anfrage des SPIEGEL nicht Stellung zu einer Fahrradsteuer.

Nach Ansicht mancher Fachleute wären wohl ohnehin Zuschüsse für Radfahrer eher angezeigt als Abgaben. Ein Team um den schwedischen Tourismus- und Verkehrswissenschaftler Stefan Gössling hat in einer Studie (»The Social Cost of Automobility, Cycling and Walking in the European Union«) von 2019 errechnet, dass jeder mit dem Auto gefahrene Kilometer gesellschaftliche Kosten – etwa durch Unfälle, Schadstoffausstoß, Lärmbelastung – von rund 11 Cent verursacht.

Dagegen bringt Radfahren einen gesellschaftlichen Gewinn von 18 Cent und Zufußgehen von 37 Cent pro Kilometer. Der Grund: Fahrradfahren und Zufußgehen seien erheblich umweltschonender, platzsparender, gesünder – und mithin vorteilhafter für die Gesellschaft insgesamt.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten