Bußgeldkatalog Kompromiss in Sicht - weniger Fahrverbote, aber höhere Geldstrafen für Raser

Ein Radargerät in einem Streifenwagen der rheinland-pfälzischen Polizei blitzt in einer Straße mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h
Foto: Ronald Wittek/ picture alliance / dpaBis vor Kurzem hat es ausgesehen, als ließe sich die verunglückte Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO) bis zur Bundestagswahl im Oktober 2021 nicht mehr reparieren. Dies wäre aber dringend nötig. Ein juristischer Formfehler, den das Bundesverkehrsministerium von Andreas Scheuer (CSU) in die Verordnung hineingeschrieben hatte, machte das Regelwerk ungültig, und damit auch viele neue Bußgelder, mit denen der Straßenverkehr vor allem für Fußgänger und Fahrradfahrer sicherer werden sollte. Auf den Straßen und vor Gericht herrschte große Rechtsunsicherheit.
Doch jetzt kommt Bewegung in die peinliche Angelegenheit. Zu Hilfe eilt dem Christsozialen ausgerechnet Landeskollegin Anke Rehlinger (SPD) aus dem Saarland, derzeit Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz. Sie hat für die Sitzung des Bundesrat-Verkehrsausschusses an diesem Mittwoch ein Kompromisspapier vorgelegt. Darin enthalten sind neue Vorschläge. Außer über die Frage, ab wann bei Raserei der Führerschein für einen Monat entzogen werden soll, geht es auch um die umstrittenen Pop-up-Radwege.
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Dem Papier zufolge, das dem SPIEGEL vorliegt, ist die Fahrerlaubnis erst dann sofort weg, wenn Autofahrer mit 26 km/h innerorts und 36 km/h außerorts zu schnell geblitzt werden. Laut der ursprünglichen Novelle sollte dies bereits bei 21 und 26 km/h der Fall sein. Darauf bestanden vor allem die grünen Landesverkehrsminister, Scheuer lehnte das ab. Die saarländische Verkehrsministerin kam dem Bundesminister nun entgegen.
Konzession an Grüne bei Popup-Radwegen
Als Konzession an die Grünen, die sich für den Schutz der Fahrradfahrer und Fußgänger vor Rasern starkmachen, sieht Rehlingers Vorschlag eine drastische Erhöhung der Strafen vor. "Die Geldbußen für Geschwindigkeitsverstöße [...] werden im Interesse der Verkehrssicherheit an das Niveau vieler europäischer Nachbarstaaten angenähert und nahezu verdoppelt", heißt es in ihrem Vorschlagspapier. Wer innerorts etwa mit 21 km/h zu schnell unterwegs ist, zahlt künftig rund 160 Euro statt 80 Euro. Bei 61 km/h sind innerorts derzeit 480 Euro fällig, künftig knapp unter 1000 Euro. Rehlinger stellt klar: "Bei der Anpassung wird die gesetzliche Höchstgrenze von 1000 Euro beachtet."
Als weiteres Entgegenkommen an die Grünen dürfte gelten, dass die Verkehrsminister eine rechtliche Klarstellung zu den sogenannten Pop-up-Radwegen vornehmen wollen. Diese in Berlin und anderen Städten vorübergehend mit Farbstrichen eingeführten Fahrradwege waren nach einer Klage der AfD zunächst untersagt worden, gelten aber weiterhin, bis eine höhere Gerichtsinstanz darüber befindet. Eine Klarstellung in der StVO würde diese Rechtsunsicherheit beseitigen und die Spuren endgültig etablieren.
Des Weiteren sieht der Vorschlag aus dem Saarland vor, dass an mehr Stellen als bisher Städte ein Tempolimit auf 30 Kilometer pro Stunde verhängen können. Das verbirgt sich hinter dem Satz: "Mit einer erweiterten Experimentierklausel werden in der StVO die Voraussetzungen dafür geschaffen, neue Regeln oder Verkehrsmaßnahmen über den bisherigen Rechtsrahmen hinaus erproben zu können." Vor allem die Grünen drängen seit Langem darauf, dass in der Stadt generell Tempo 30 und nur als Ausnahme Tempo 50 gilt. Dies ist bislang genau umgekehrt, was die Union und die FDP so auch beibehalten wollen.
Bundesrat entscheidet Anfang November
Rehlinger, hofft das "leidige Thema StVO endlich beenden" zu können, sagte sie dem SPIEGEL. Auf dem Tisch liege ein Vorschlag, der Rechtssicherheit und Verkehrssicherheit vereint. "Keine parteipolitische Seite kann ihre Vorstellungen zu 100 Prozent durchsetzen, deshalb sollte der Bundesrat auch nicht zum Spielfeld für Maximalpositionen werden", so die Sozialdemokratin. Sie hofft am Mittwoch auf eine Mehrheit im Verkehrsausschuss des Bundesrats, insbesondere durch die Länder, in denen Grüne mitregieren. Zustimmen sollten ihrer Hoffnung nach auch jene Länder, in denen Grüne mit der CDU regieren.
Wäre dies der Fall, dann könnte der Kompromissvorschlag in der kommenden Sitzung des Bundesrats am 6. November eine Mehrheit finden und die StVO-Novelle in ihrer neuen Form in Kraft treten lassen. Damit, so Rehlinger, wäre endlich das Durcheinander beseitigt, das bei Geschwindigkeitsverstößen auf deutschen Straßen herrsche. Nach SPIEGEL-Informationen will das von den Grünen geführte Verkehrsministerium des schwarz-grün regierten Baden-Württemberg dem Vorschlag Rehlingers zustimmen. Damit wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Einigung getan.