ADAC nicht mehr gegen Tempolimit "Das ist ein riesiger Schritt vorwärts"

Mit dem ADAC gerät einer der größten Tempolimit-Gegner ins Wanken. Bei Politikern und Verbänden schürt das die Hoffnung. Nur einer stellt sich quer.
Der ADAC ist nicht mehr gegen ein Tempolimit und bringt die Diskussion damit neu in Gang

Der ADAC ist nicht mehr gegen ein Tempolimit und bringt die Diskussion damit neu in Gang

Foto: Sebastian Gollnow/ DPA

Es ist das derzeit wohl größte Streitthema in Deutschland: ein generelles Tempolimit auf Autobahnen. Jahrzehntelang war auch der ADAC ein klarer Gegner des Tempolimits - bis jetzt. Der ADAC sei "nicht mehr grundsätzlich" gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung sagte dessen Vizepräsident, Gerhard Hillebrand im Vorfeld des 58. Verkehrsgerichtstags Ende Januar in Goslar. "Wir brauchen eine umfassende Studie über die Wirkungen eines Tempolimits. Diese würde eine belastbare Entscheidungsgrundlage liefern", so Hillebrand. Beim Klimaschutz werde bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern eine Einsparung von bis zu zwei Millionen Tonnen CO2 erwartet. Aber auch das sei vage.

Hillebrands Wort hat Gewicht. Hinter dem größten Automobilklub Deutschlands stehen gut 21 Millionen Mitglieder. Deren Meinung zu einem generellen Tempolimit ist gespalten. In einer Umfrage unter den Mitgliedern hatten 50 Prozent gegen ein Tempolimit votiert und 45 Prozent dafür. Deshalb legt sich der ADAC auch nicht auf ein "Ja" zum Tempolimit fest. Der Debatte über ein generelles Tempolimit gibt Hillebrands Vorstoß dennoch neuen Schwung.

"Der gute Menschenverstand spricht für ein Tempolimit – gut, dass der ADAC das ähnlich sieht! Ich hoffe, dass sich auch der Verkehrsminister überzeugen lässt", äußerte sich Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) über den Nachrichtendienst Twitter.

"Wenn der größte Lobbyist gegen ein Tempolimit seine Ablehnung aufgibt und das nun faktenorientiert prüfen möchte, kann man das in der Bedeutung kaum überschätzen", sagt Bernd Riexinger, Vorsitzender der Partei Die Linke. Die Umweltbelastung und das Risiko schwerer Verkehrsunfälle stünden in keinem Verhältnis zu einem in der Praxis minimal schnelleren Vorankommen. "Wenn jetzt auch der ADAC über ein Tempolimit nachdenkt, wächst der Druck auf die Bundesregierung, hier endlich tätig zu werden", sagt Riexinger auf Anfrage des SPIEGEL.

Ähnlich sehen es die Grünen. Sie werfen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer Verschleppung vor. "Die Vorteile eines Tempolimits sind seit Jahren bekannt. Ein Gespräch mit Verkehrssicherheitsverbänden und der Gewerkschaft der Polizei würde Verkehrsminister Scheuer zu einem Erkenntnisgewinn verhelfen", sagt Stephan Kühn der Grünen-Bundestagsfraktion. Demnach fehle es weniger an Fakten und Studien als am politischen Willen des Verkehrsministers. "Scheuer ist mit seiner Position zunehmend isoliert. Dass er sich weiter gegen ein Tempolimit sträubt, hat nichts mit Fakten zu tun, sondern ist rein ideologisch motiviert. Ich bezweifele, dass sich Scheuer von einem weiteren Gutachten überzeugen lässt", so Kühn.

"Scheuer ist mit seiner Position zunehmend isoliert. Dass er sich weiter gegen ein Tempolimit sträubt, hat nichts mit Fakten zu tun, sondern ist rein ideologisch motiviert."

Stephan Kühn, Sprecher für Verkehrspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion

Scheuer selbst äußerte sich auf Nachfrage des SPIEGEL zum aktuellen Vorstoß des ADAC nicht. Stattdessen verwies sein Ministerium darauf, dass Scheuers Position zum Thema Tempolimit hinlänglich bekannt ist und sich daran auch nichts geändert habe.

Auch die FDP zementiert ihre Position gegen eine Höchstgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen. "Ein generelles Tempolimit halten wir weiterhin nicht für sinnvoll", sagt FDP-Chef Christian Lindner. "Dort, wo die Sicherheit es erfordere, könne die Geschwindigkeit schon heute beschränkt werden. "Um den Verkehrsfluss besser zu steuern, brauchen wir eine intelligente Verkehrssteuerung, aber kein generelles Limit, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit", sagt Lindner.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) äußert sich zur aktuellen Diskussion nicht. Auch dort verwies man darauf, dass die Haltung des Interessenverbandes bekannt sei. Demnach sei ein Tempolimit nicht zielführend.

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) begrüßt den Richtungswechsel von Hillebrand. "Der ADAC ist auf dem Weg zur Vernunft und hat endlich erkannt, dass das Tempolimit einen großen Beitrag für mehr Verkehrssicherheit und besseres Klima leisten kann", sagt VCD-Sprecher Michael Müller-Görnert. Dennoch sei er skeptisch, dass sich das Tempolimit zeitnah durchsetzen lasse. "Solange der Verkehrsminister Andreas Scheuer heißt und das Bundesverkehrsministerium weiterhin von der CSU geführt wird, sind die Chancen für ein generelles Tempolimit nicht gestiegen", so Müller-Görnert.

"Dass der ADAC seinen Widerstand gegen das Tempolimit aufgegeben hat, ist ein riesiger Schritt vorwärts und verändert die Debatte“

Siegfried Brockmann, Leiter Unfallforschung der Versicherer

Optimistischer ist man hingegen bei den Unfallforschern der Versicherer (UDV). "Dass der ADAC seinen Widerstand gegen das Tempolimit aufgegeben hat, ist ein riesiger Schritt vorwärts und verändert die Debatte", sagt Siegfried Brockmann vom UDV. Er hofft, dass die neue Diskussion dazu führt, dass endlich Modellprojekte gestartet würden, die Aufschluss darüber lieferten, ob ein Tempolimit Unfälle verhindere. Denn rein wissenschaftlich sei weder die positive Wirkung eines Tempolimits auf die Unfallzahlen noch das Gegenteil bewiesen. "Man kann kein Tempolimit fordern, wenn es keine wissenschaftlichen Fakten über dessen genaue Wirksamkeit gibt", sagt Brockmann. Der Vorstoß des ADAC habe die Chance erhöht, die Wirkung eines Tempolimits auf die Unfallzahlen wissenschaftlich untersuchen zu können.

Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sieht einen Schritt in die richtige Richtung. "Die Abkehr des Automobilclubs von seiner Blockadehaltung beim Tempolimit auf Autobahnen und der Ruf nach einer Versachlichung der Diskussion sind überfällig", sagt Jens Hilgenberg, BUND-Sprecher. Ohne strukturelle Veränderungen im Verkehrsbereich würden weder die Klimaziele erreicht, noch wird die notwendige Verkehrswende eingeleitet. "Nach dem ADAC muss jetzt die Bundesregierung, allen voran Bundesverkehrsminister Scheuer, das veraltetes Bild von Mobilität überdenken", so Hilgenberg.

Julia Fohmann vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) verwies auf andere Länder in Europa. Wer auf Autobahnen in Frankreich, Österreich oder Belgien unterwegs sei, erlebe mehr Gelassenheit als hierzulande. Es sei zu vermuten, dass die dortigen Tempolimits dazu beitragen. Sobald man wieder auf deutsche Autobahnen komme, sei der Unterschied spürbar, sagt Sören Heinze, Sprecher des Auto Clubs Europa (ACE). Auf Deutschlands Autobahnen gehe es viel aggressiver zu. Die ACE-Hauptversammlung habe jüngst für Tempo 130 votiert.

DVR-Sprecherin Julia Fohmann erteilte der Forderung des ADAC nach einer umfassenden Studie jedoch eine Absage: "Eine groß angelegten Studie zum Tempolimit, die der ADAC fordert, ist nicht zielführend, denn die Faktenlage ist in diesem Fall klar: Ein Tempolimit sorgt für weniger Unfälle und rettet Leben. Ob es zu einem Tempolimit kommt, ist eine rein politische Entscheidung", so DVR-Sprecherin Julia Fohmann.

Zu den eindeutigen Befürwortern einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung gehört die Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Aus unserer Sicht spricht alles dafür, dass ein Tempolimit die Zahl der schweren Unfälle auf Autobahnen deutlich verringern würde", sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende Michael Mertens.

Großteil deutscher Autobahnen ohne Tempolimit

Dagegen ist der Automobilclub von Deutschland (AvD) strikt gegen eine Tempobegrenzung. Autobahnen seien die sicherste Straßenkategorie, sagte Sprecher Herbert Engelmohr. Autofahrer sollten demnach auf einer freien Autobahn bei guten Wetterbedingungen weiterhin mit höherem Tempo fahren dürfen.

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In einer aktuellen Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins spricht sich die Mehrheit für ein Tempolimit aus. 56 Prozent der 1000 befragten Führerscheinbesitzer sehen in einer generellen Geschwindigkeitsbeschränkung eine wirkungsvolle Maßnahme für mehr Verkehrssicherheit.

Auf dem Großteil der Autobahnen in Deutschland gilt nach wie vor freie Fahrt. Ohne verbindliches Tempolimit sind 70 Prozent des Autobahn-Netzes. Dauerhaft oder zeitweise geltende Beschränkungen mit Schildern gibt es auf 20,8 Prozent des Netzes, wie aktuelle Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen von vor fünf Jahren zeigen. Dazu kommen variable Verkehrslenkungsanzeigen. Seit mehr als 40 Jahren gilt zudem eine empfohlene Richtgeschwindigkeit von 130.

cfr/dpa
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