Wählerunterdrückung in den USA Kein Auto, keine Stimme

Biden-Anhänger in Des Moines, Iowa
Foto:Brian Snyder / REUTERS
Mit "Trump 2020"-Flaggen geschmückte Autos umringen in Texas einen Wahlkampfbus der Demokraten und rammen ein Begleitfahrzeug. Wahlkampf brutal - ein Einzelfall. Aber Autos spielen generell eine bedeutende Rolle im demokratischen Prozess: Vielerorts sind Wählerinnen und Wähler mehr denn je auf Führerschein und eigenen Wagen angewiesen, um überhaupt an der Wahl teilzunehmen.
So empfanden es etwa Meredith Reilly und Zachary Houdek. Sie studieren an der American University in Washington, D.C., sind aber im Bundesstaat Texas zu Hause . Beide hätten gern per Brief gewählt, berichtet die "Texas Tribune", so wie viele US-Amerikaner angesichts der Corona-Pandemie.

USA: Wahlkampf im Zeichen des Automobils
Die Republikaner versuchten im Vorfeld der Wahl jedoch, die Briefwahl zu erschweren. So verweigerte die von der Partei dominierte Regierung der Post zusätzliche Gelder, um angeblichen Wahlbetrug zu verhindern. Die Post warnte deshalb bereits drei Monate vor der Wahl vor möglichen Zustellproblemen. Reilly und Houdek sorgten sich, ob ihre Stimmzettel rechtzeitig ankommen würden – und setzten sich ins Auto. Sie fuhren insgesamt rund 4800 Kilometer, um nach 30 Stunden Fahrt in Texas ihre Stimme abzugeben.
4800 Kilometer Autofahrt, um wählen zu gehen
Wie Reilly und Houdek sind bei dieser Präsidentschaftswahl zahlreiche US-Bürger auf das Auto angewiesen – allerdings nicht nur wegen der Corona-Pandemie und des dadurch gewachsenen Wunsches, per Post zu wählen. Und meist geht es um deutlich kürzere Distanzen, die aber doch so groß sind, dass ein eigener Wagen mindestens sehr hilfreich ist.
Ein Grund: In den USA wurden einer Recherche des Magazins "Vice" zufolge vor der diesjährigen Wahl rund 21.000 Wahllokale geschlossen, rund ein Fünftel der Gesamtzahl. Der Weg zum Wahllokal wird dadurch für viele Wähler länger. Dies gilt vor allem für Angehörige von Minderheiten, wie eine Recherche des "Centre for Public Integrity" zu den Vorwahlen im Richland County des US-Bundesstaats South Carolina zeigt.
Schlechter Nahverkehr macht Wählen ohne Auto schwierig
Dort wurden mehrere Wahllokale einem bereits bestehenden zugeordnet, darunter auch das des rund 2500 Wähler starken Bezirks Briarwood. Für dessen Einwohner wurde der Weg zur Wahlurne dem "Centre for Public Integrity" zufolge somit im Schnitt rund 4,8 Kilometer länger. Insbesondere für ältere oder in ihrer Mobilität eingeschränkte Personen ist das ohne Auto kaum zu schaffen. Doch auch für andere Menschen, die kein Auto besitzen, wird diese Distanz schnell zum Hindernis.
Dies auch, weil der öffentliche Nahverkehr vielerorts in den USA kaum ausgebaut ist. Seit den Fünfzigerjahren haben Busse und Bahnen massiv Marktanteile verloren. Stadt- und Raumplanung bevorzugten zunehmend den Pkw, wie die Universität Rutgers und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schon vor Jahren aufgezeigt haben . Rechte Aktivisten versuchen, den Nahverkehr weiter zurückzudrängen.
Weniger Busse, weniger Wahllokale – diese Entwicklung betrifft einzelne Bevölkerungsgruppen in unterschiedlichem Maße. Die Verlegung von Wahllokalen ist besonders für Minderheiten ein Problem. So sind zwei von drei Wählern im Bezirk Briarwood schwarz. In sechs der zehn Wahlbezirke im Richland County, in denen bei den Vorwahlen in diesem Jahr die durchschnittliche Strecke zum Wahllokal am stärksten anstieg, stellen Afroamerikaner die Mehrheit der Wähler.
Das gleiche Bild bot sich einer Recherche des "Guardian" zufolge im US-Bundesstaat Texas. Während dort in den 50 Counties, die zwischen 2012 und 2018 den höchsten Zuwachs von Afroamerikanern und Latinos verzeichneten, 542 Wahllokale geschlossen wurden, machten in den 50 Counties mit dem geringsten Zuwachs von Afroamerikanern und Latinos lediglich 34 Stationen dicht .
Schwarze und Latinos besonders betroffen
So etwas kann Unterschiede bei der Wahlbeteiligung verstärken, wie eine Studie von Wissenschaftlern der Universitäten Harvard und Boston nahelegt. Dafür untersuchten die Forscher die Wahlen des Jahres 2018 im US-Bundesstaat Michigan. Dort haben 7,8 Prozent der Einwohner kein Auto. Damit liegt der Bundesstaat nah am Wert für die gesamten USA von 8,7 Prozent. Das Ergebnis zeigt, wie Wahlbeteiligung und Autobesitz einhergehen:
Zwar war der Anteil der Briefwähler mit 14 und 15 Prozent sowohl unter den Autofahrern als auch unter denen, die keinen Zugang zu einem Auto haben, annähernd gleich hoch.
Im Wahllokal wählten jedoch nur 24 Prozent der Einwohner ohne Auto, dafür jedoch 40 Prozent der Autofahrer.
Betrug der Anteil der Nichtwähler unter den Autofahrern "nur" 45 Prozent, blieben dagegen 61 Prozent der Einwohner ohne Auto im Haushalt der Wahl fern.
Wahllokale zusammenzulegen und so Wege für Wähler zu verlängern, kann also dazu beitragen, Bevölkerungsgruppen davon abzuhalten, ihre Stimme abzugeben. Meist trifft es Angehörige von Minderheiten wie Afroamerikaner, Latinos oder amerikanische Ureinwohner sowie Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen. Gerade bei jungen Wählern, die ebenfalls oft für die Demokraten stimmen, beeinflusst der Weg zur Wahlurne offenbar das Wahlverhalten.
Hindernis Führerscheinstelle
Das zeigt eine Umfrage der Tufts-Universität, bei der junge Wähler zwischen 18 und 29 Jahren, die sich 2016 zwar als Wähler registriert hatten, letztendlich aber nicht an der Wahl teilnahmen, befragt wurden. Während ein fehlendes Transportmittel zum Wahllokal nur 19 Prozent der jungen Menschen mit College-Erfahrung vom Wählen abhielt, blieben 35 Prozent der jungen Wähler, die kein College besucht haben, deshalb zu Hause. Fehlende Mobilität war in dieser Gruppe damit der dritthäufigste Grund fürs Nichtwählen. Und während 27 Prozent der weißen jungen 18- bis 29-Jährigen wegen eines fehlenden Transportmittels nicht zur Wahl gingen, betraf dies 38 Prozent der nicht weißen Befragten.
Doch selbst wer es als US-Bürger ohne Auto zum Wahllokal schafft, steht mitunter vor einem weiteren Problem: Zahlreiche Bundesstaaten haben in den vergangenen Jahren Mechanismen errichtet, die vor allem Afroamerikaner und Latinos von der Wahl fernhalten sollen, darunter auch Alabama.
Internetseite mit Öffnungszeiten? Fehlanzeige
Um ihre Stimme abzugeben, müssen Wähler dort mit einem von zwölf Dokumenten ihre Identität nachweisen. Die wichtigsten dieser Ausweise sind der Führerschein, ein Ausweiskärtchen für Nichtfahrer sowie ein Wählerausweis mit Foto. Die bekommen Wähler dem "Center for Public Integrity " zufolge meist in den Kfz-Zulassungsstellen des Staates. Wie gut das funktioniert, hängt jedoch stark vom Wohnort ab, wie ein Bericht des Beratungsausschusses des Bundesstaats für das US-Bürgerrechtskomitee zeigt.
So schaffte es der Ausschuss nicht, die Öffnungszeiten der Zulassungsstellen in den Counties Wilcox und Bullock auf direktem Wege zu erfahren. Beide Büros haben weder eine eigene Internetseite noch ging jemand ans Telefon. Auch eine Bandansage mit den Öffnungszeiten gibt es nicht. In beiden Bezirken stellen Afroamerikaner über 70 Prozent der Bevölkerung. Das Medianeinkommen ist mit rund 22.000 und 24.000 US-Dollar niedrig. Für sie ist es also vergleichsweise schwer, an eines der nötigen Dokumente zu kommen.
In den Counties Shelby und Tuscaloosa sieht das anders aus. Die dortige Bevölkerung besteht zu 83 und 66 Prozent aus Weißen, die Medianeinkommen sind mit 68.000 und 58.000 US-Dollar deutlich höher. Beide Counties finden Zulassungsstellen vor Ort, die an fünf Tagen die Woche geöffnet haben und über eigene Websites verfügen, auf denen nicht nur die Öffnungszeiten vermerkt sind. Bürger können Formulare dort bereits im Voraus online ausfüllen und Termine buchen. In vor allem schwarzen, armen und ländlichen Regionen, folgert der Beratungsausschuss, sei die Kfz-Zulassungsstelle als Quelle für einen Wählerausweis unbrauchbar.