Verkehrswende in der Stadt Wie geht es ohne Auto?
Autos überall, die Straßen in unseren Städten platzen aus allen N䬬hten. Durchschnittlich besitzt jeder Haushalt in Deutschland ein bis zwei Autos.
Benjamin Eckert, DER SPIEGEL:
»Orte wie dieser hier zeigen: Straßen prägen unsere Städte – und damit auch Autos. Und die Deutschen lieben ihre Autos. Doch diese Liebe geht auf Kosten des Klimas und unserer Gesundheit.«
Bisher hat Deutschland die viel beschworene Verkehrswende verpasst, im vergangenen Jahr hat der Verkehrssektor seine Klimaziele weit verfehlt. Die Ampel-Koalition hat deshalb jüngst ein Sofortprogramm vorgelegt und setzt dabei vor allem auf Elektroantriebe – und auf Anreize, um die Zahl der Vebrennerautos zu reduzieren.
Volker Wissing, Verkehrsminister:
»Wir wollen es erreichen durch eine Ausbauoffensive im Bereich der Radverkehrs-Infrastruktur. Zu dem Programm gehört auch eine Ausbau- und Qualitätsoffensive im ÖPNV. Sie wissen, das liegt mir besonders am Herzen.«
Doch ist das Geplante genug, um die Klimaziele schnell zu erreichen? Welche Rolle spielt das Auto zukünftig in unserer Mobilität? Und wie ergeht es Menschen, die heute schon umsteigen wollen auf Bus und Bahn?
Mani Arora besitzt einen Kiosk mitten in Hamburg. Um pünktlich bei seinen Kundinnen und Kunden zu sein, fährt er jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit – aus seinem Wohnort Glinde in Schleswig-Holstein 18 Kilometer in die Hamburger Innenstadt. Und wieder zurück, etwa eine halbe Stunde pro Strecke.
Mani Arora, Kioskbesitzer:
»Momentan bin ich bei guten 250 Euro Spritkosten im Monat und das merkst du dann doch tatsächlich. Und gerade jetzt mit der 9-Euro-Ticket-Geschichte dachte ich mir: Komm, kannst du ja mal ausprobieren, wenn es jetzt nicht allzu große Umstände sind.«
Ganz aufs Auto verzichten kann der 39-Jährige nicht, sagt er uns. Zum einen ist er körperlich eingeschränkt. Zum anderen müsse er auf dem Arbeitsweg oft noch Waren einkaufen und transportieren. Deswegen fährt Mani Arora auch heute noch einmal mit dem Auto. Am nächsten Tag macht er den Test und fährt seit langem mal wieder mit Bus und Bahn. Wird er trotzdem pünktlich in seinem Kiosk stehen? Wir begleiten ihn.
Ein Blick auf das Autoland Deutschland: Jeden Tag pendeln mehr als 13 Millionen Menschen zur Arbeit, fast 70 Prozent nutzen dafür ihr Auto. Die meisten Fahrten sind kürzer als eine halbe Stunde und enden da, wo viele arbeiten: in den Städten.
Auf den Straßen verursachen wir jedes Jahr mehr klimaschädliche Treibhausgase als mit allen anderen Verkehrsmitteln, wie Bahn oder Flugzeug, zusammen. Hauptverursacher sind die mehr als 30 Millionen PKW im Land. Und die werden alles andere als effizient genutzt.
Ein Auto wird im Schnitt nur eine Stunde am Tag bewegt, die restliche Zeit steht es rum. Nur zehn Prozent aller Autos sind gleichzeitig unterwegs – genug für lange Staus und um ständig einen Parkplatz suchen zu müssen. Und auch der viele Raum im Auto selbst wird meist nicht wirklich genutzt: im Schnitt fahren nur ein bis zwei Personen in einem Fahrzeug für vier oder mehr.
Viele Autos, das bedeutet eigentlich ja auch viel Potential zum Einsparen von klimaschädlichem CO2 – theoretisch. Tatsächlich gibt es Deutschland aber jedes Jahr mehr Autos und mehr Abgase.
Benjamin Eckert, DER SPIEGEL:
»Der Preis dafür ist immens: umgerechnet kosten diese Umweltschäden rund 52 Milliarden Euro jedes Jahr – und bezahlt werden die von uns allen.«
Zurück zu Mani Arora und seinem Arbeitsweg – diesmal mit Bus, Bahn und dem 9-Euro-Ticket. Dreimal muss er umsteigen, an den Haltestellen kurz warten und am Ende fast doppelt so lange fahren, wie mit dem Auto. Genug Zeit, um mit ihm über seine Mobilität ins Gespräch zu kommen. Warum genau will er das Auto stehen lassen?
Mani Arora, Kioskbesitzer:
»Zum einen, machen wir kein Geheimnis draus: der Kostenfaktor. Durch diese vorübergehende Aktion mit dem 9-Euro-Ticket spare ich enorm viel Geld. Dann kommt natürlich dazu: der Klimaaspekt, weil je weniger ich Auto fahre desto weniger Kraftstoff verbrauche ich, ist klar.«
Benjamin Eckert, DER SPIEGEL:
»Hättest du denn noch andere Möglichkeiten, da wo du jetzt wohnst?«
Mani Arora, Kioskbesitzer:
»Carsharing gibt es dort nicht. Fahrrad ist ein bisschen schwierig wegen meinem Handicap. Das heißt, ich habe entweder Auto oder Öffentliche. Über das Taxi brauchen wir, glaube ich, nicht reden. Das ist mittlerweile gefühlt unbezahlbar geworden.«
Das 9-Euro-Ticket ist für viele Menschen derzeit ein Anlass, um es im Alltag mal ohne Auto zu probieren. Es gilt als riesiger Erfolg. Eingeführt von der Bundesregierung, um die Deutschen wegen der steigenden Energiepreise zu entlasten, verkaufte sich das Ticket innerhalb eines Monats 21 Millionen Mal. Den Straßenverkehr hat die Aktion nach ersten Erhebungen tatsächlich entlastet. Politik und Verkehrsverbände diskutieren über ein Folgeangebot. Ein großer Teil der Deutschen wünscht sich eine Verlängerung. Und Mani Arora ist einer von ihnen.
Mani Arora, Kioskbesitzer:
»Neun Euro ist denke ich mal unrealistisch dauerhaft. Aber ein günstiger Preis wäre schon nicht so verkehrt. (…) Dann würde ich mir sogar gegebenenfalls überlegen, auch wenn ich Auto fahre, mir trotzdem ein Abo zu machen, um einfach mal zu sagen, ich fahr jetzt auch mit der Bahn. Weil es ergibt sich, ich habe keinen Zeitdruck, ich habe keine Eile, ich fahr mit der Bahn. Schont die Umwelt, schont dein Auto, schont dein Portemonnaie! Setz dich in den Bus rein!«
Mani Arora hat die Hälfte seiner Strecke zurückgelegt. Noch läuft alles nach Plan. Beim nächsten Umstieg treffen wir ihn wieder.
Wie sich Industrie, Verkehrs- und Stadtplanung eine – fast – autofreie Mobilität vorstellen, haben wir uns auf einer Messe in Köln angeschaut. Das Zauberwort hier lautet »Intermodalität«. Also ein Mix aus verschiedenen Verkehrsmitteln: ein teils autonomer Nahverkehr, sichere Fahrrad- und Fußwege und mehr Sharing-Angebote.
Benjamin Eckert, DER SPIEGEL:
»Wenn man den ganzen Unternehmen hier glauben macht, dann werden wir uns in den Städten bald völlig anders bewegen. Das Auto wird öfter stehen bleiben. Stattdessen werden wir uns vielmehr auf Rollern, auf Lasten-Fahrrädern oder auch in autonomen Bussen und Bahnen bewegen.«
Damit Menschen schon jetzt öfter Alternativen zum Auto nutzen, hat das Startup Lynes eine App entwickelt.
Tobias Hubbes, Lynes:
»In unserer App belohnen wir Menschen dafür, dass sie Bus und Bahn und im Laufe des Jahres auch Fahrrad fahren. Also ich steige in einen Bus ein, drücke auf Start, am Ende drücke ich wieder auf Stopp, kriege eben Punkte.«
Die App gleicht Bewegungsdaten mit den öffentlichen Fahrplänen der Nahverkehrsanbieter ab – und weiß so, ob die Nutzerinnen und Nutzer auch wirklich nicht im Auto fahren. Wer am Ende des Monats am meisten Fahrten mit den Öffentlichen gemacht hat, bekommt Shopping-Gutscheine – oder kann Bäume pflanzen.
Tobias Hubbes, Lynes:
»Ja, wir glauben einfach, dass dieser Wettbewerb unter den Menschen einfach dazu anreizt, ja vielleicht noch ein bisschen mehr zu machen, weil man sieht auf der Rangliste: Ah, okay, ich bin jetzt vielleicht gerade auf Platz fünf, wurde überholt, jetzt will ich vielleicht die andere Person wieder überholen.«
Anreize sind tatsächlich ein Schlüsselelement der Verkehrswende. Laut Expertinnen und -experten müssten Alternativen zum Auto erreichbar, weniger kompliziert und vor allem günstiger sein. Gleichzeitig müsse das Autofahren unbeliebter werden, etwa durch höhere Steuern, teureren Sprit und Parkplätze – oder durch ein Tempolimit. Doch mit Regeln und Verboten tut sich das Verkehrsministerium noch schwer.
Volker Wissing, Verkehrsminister:
»Ich muss abwägen zwischen der schnellen Erreichung von Klimaschutzzielen einerseits und den Mobilitätsanforderungen und auch der Akzeptanz der Gesellschaft für Maßnahmen andererseits.«
Laut Medienberichten gab es im Verkehrsministerium die Überlegung, nach dem 9-Euro-Ticket ein »Klimaticket« einzuführen. Im jüngsten Sofortprogramm ist davon aber keine Rede mehr. Immerhin: Der Verkehrsminister ist wohl grundsätzlich offen für eine Nachfolge. Wie teuer so ein Ticket wäre – und wie groß damit der Anreiz – ist aber noch offen.
Das Experiment mit dem 9-Euro-Ticket offenbart bei allem Erfolg auch, wo es noch hakt. Der Andrang ist groß, manche Bus- und Bahnstrecken, besonders zu Stoßzeiten und im Urlaubsverkehr, sind völlig überfüllt.
Mani Arora möchte das in Zukunft in Kauf nehmen.
Mani Arora, Kioskbesitzer:
»Wenn es mir guttut, gibt es keinen Grund, nicht öfter mal wieder mit dem Öffentlichen zu fahren. Außer wie gesagt, wenn ich mal einkaufen muss oder so, das ist es was anderes. Aber sonst? Ich habe ja eigentlich bis auf die Gemütlichkeit oder den Luxus einfach, den man sich irgendwann einfach angewöhnt hat ... Eigentlich habe ich gar keinen Grund, mit dem Auto zu fahren.«
Doch obwohl der Nahverkehr hier am Rande von Hamburg verhältnismäßig gut ausgebaut ist, muss auch Mani Arora für seinen Arbeitsweg mit den Öffentlichen doppelt so viel Zeit einplanen – mindestens.
Mani Arora, Kioskbesitzer:
»So, jetzt haben wir schon mal fast eine halbe Stunde im Vergleich zum vorherigen Plan. Der Bus sieht aber gut gefüllt aus. Die Frage ist, wie viele aussteigen. Gar keiner. Okay, zwei.«
Unser Kameramann muss heute auf dem letzten Teil der Strecke draußen bleiben – und den nächsten Bus nehmen. Der fährt hier wenigstens im Fünf-Minuten-Takt.
Mani Arora, Kioskbesitzer: »Ja, da sind wir am Ziel. Mit 30 Minuten Verspätung. Aber gut. Gibt Schlimmeres. Ich werde wahrscheinlich so mindestens drei Mal die Woche jetzt, von fünf Tagen, die ich arbeite, mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln herfahren. Es gibt Schlimmeres.«
So wie Mani Arora geht es wohl vielen Menschen: Die Alternativen zum Auto sind in der Stadt eigentlich längst da. Doch um das Auto ganz abzuschaffen, sind viele davon momentan noch zu teuer, zu unzuverlässig und nicht flexibel genug. Daran etwas ändern kann vor allem die Politik.
Benjamin Eckert, DER SPIEGEL:
»Und die Menschen, die würden umsteigen in einen Nahverkehr, wenn er erschwinglich und gut ausgebaut ist. Das hat das 9-Euro-Ticket gezeigt.«
Die vorhandenen Anreize nutzen und vielleicht auf etwas Bequemlichkeit verzichten – das können nur wir selbst. Denn die Verkehrswende beginnt auch in unseren Köpfen. Es sind wir Menschen, die die vielen Autos fahren. Nur wir können sie auch öfter stehen lassen – und uns überlegen, wie wir anders von A nach B kommen. Das Klima würde es uns danken.