Reifen-Historie, Teil 1 Gib' Gummi!

Das Rad wurde schon mehrmals neu erfunden: Ein irischer Tierarzt bastelte den ersten luftgefüllten Reifen aus Gummi - für das Dreirad seines Sohnes. Zwei Auto-Freaks aus Frankreich dachten sich: Das können wir auch. Doch ihre Erfindung hatte einen unliebsamen Nebeneffekt.

Die Autopioniere reisten alles andere als komfortabel. Carl Benz holperte 1886 mit dem weltweit ersten Automobil - einem 1,1 PS starken Wagen - auf eisenbeschlagenen Holzrädern übers Kopfsteinpflaster. Und auch die beinharten Vollgummireifen, die wenig später auf den Markt kamen, machten eine Fahrt in den modernen Motorwagen nicht gerade bequemer. Erst 1898 konnten die Automobil-Passagiere aufatmen: Die ersten serienmäßigen, luftgefüllten Reifen ermöglichten, dass sich auch die Damen der Gesellschaft ohne Murren gerne von A nach B kutschieren ließen und nicht bei jedem spitzen Stein erschreckt aufschrieen.

Der Dank gebührt zwei Tüftlern, die unabhängig voneinander und eher zufällig das Rad neu erfanden: Der schottische Fuhrunternehmer Robert William Thomson aus Edinburgh band Mitte des 19. Jahrhunderts aufgeblasene Därme um die Reifen seiner Fuhrwerke, damit diese nicht so erbärmlich über die Straßen von Edinburgh rumpelten. Weil die Schläuche aber nur bedingt hielten, baute er neue Modelle aus Gummi. Doch seine "Luftreifen" gerieten bald in Vergessenheit. Wenig später hatte der irischen Tierarzt John Boyd Dunlop die gleiche Idee, als er seinem Sohn ein neues Dreirad baute. Damit der Kleine bequemer durchs Haus strampeln konnte, bastelte Vater Dunlop 1888 einen Gummischlauchreifen, der sich über ein Fußballventil aufpumpen ließ. Den Schlauch klebte er aus dünnen Gummistreifen zusammen und umwickelte ihn zum Schutz mit einem dicken Stoff.

Doch ohne eine andere Erfindung in der Neuen Welt wäre das nicht möglich gewesen. 1839 war dem amerikanischen Eisenwarenhändler und Tüftler Charles Goodyear beim Experimentieren ein mit Schwefel versetzter Kautschukblock auf eine heiße Herdplatte gefallen. Das Gemisch verbrannte nicht, sondern wurde elastisch: Das Gummi war geboren. Goodyear hatte per Zufall die Vulkanisierung entdeckt, das Grundverfahren der modernen Gummiindustrie. Ihm selbst allerdings brachte die weltbewegende Erfindung kein Glück: Wegen hoher Schulden musste er ins Gefängnis und starb 1860 völlig verarmt im Alter von 60 Jahren.

Ganz anders erging es dagegen John Boyd Dunlop: Der findige Tierarzt ließ sich seine Erfindung als Fahrradluftreifen patentieren, hängte den alten Job an den Nagel und gründete 1889 in Dublin das erste Dunlop-Reifenwerk - zunächst allerdings nur für Fahrradpneus. Der Doktor erwies sich als guter Unternehmer - schon vier Jahre später eröffnete er im deutschen Hanau die erste Auslandsniederlassung unter dem Namen "The Dunlop Pneumatic and Tyre Co. GmbH".

Den ersten Luftreifen für Autos aber konstruierten zwei Brüder aus dem französischen Clermont-Ferrand: André und Edouard Michelin, die sich wie Dunlop zunächst auch auf die Produktion von Fahrradreifen, den so genannten Pneumatiks, spezialisiert hatten. 1891 gewann der Radrennfahrer Charles Terront als einziger Teilnehmer auf französischen Luftreifen das prestigereiche Rennen Paris-Brest-Paris. Warum sollte sich so ein Erfolg nicht auch auf vier Rädern wiederholen lassen? In Zusammenarbeit mit Peugeot baute Michelin 1895 das erste Auto mit Gummiluftreifen. Edouard und André Michelin ließen es sich nicht nehmen, den "Eclair" (zu Deutsch: Blitz) selbst zu testen. Im gleichen Jahr gingen sie beim Autorennen Paris-Bordeaux-Paris an den Start - stilecht mit Anzug, Hut und frisch frisiertem Schnauzbart. Doch unterwegs mussten die beiden Unternehmer feststellen, dass sie neben dem luftgefüllten Autoreifen eine weitere folgenreiche Entdeckung der Automobilwelt gemacht hatten: den Platten.

Am Donnerstag lesen Sie im zweiten Teil der Reifen-Historie:

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