Runde Zukunft Am Puls des Pneus
"Alle für das Fahren eines Kraftfahrzeugs erforderlichen Kräfte müssen über die Kontaktfläche zwischen Reifen und Fahrbahn übertragen werden", sagt Bert Breuer, Professor für Fahrzeugtechnik an der Technischen Universität Darmstadt. "Die Vorgänge in dieser Kontaktzone sind daher für die Fahrdynamik und die Sicherheit eines Fahrzeugs von herausragender Bedeutung."
Deshalb arbeitet die TU Darmstadt gemeinsam mit BMW, Continental und der Siemens-Tochter Epcos am "intelligenten Reifen". Das Geheimnis seiner "Intelligenz" liegt in passiven Oberflächenwellen-Sensoren (OFW-Sensoren), die in das Gummiprofil integriert sind und alle Informationen über Reifen und Fahrbahn per Funk an die Bordelektronik weiter geben. Bis zu vier dieser nur wenige Millimeter kleinen Messfühler registrieren bei jeder Radumdrehung die Verformung des Profils. Aus der Deformation und ihrem Zeitverlauf lassen sich dann Antriebs-, Brems- und Querkräfte, die Radlast, der Luftdruck im Reifen sowie der so genannte Reibwert ermitteln.
Vor allem der Reibwert bestimmt die Kraft, die das Auto noch auf der Straße halten und ein Ausbrechen oder Schleudern verhindern kann. Je nach Fahrbahnzustand und Witterung kann sich der Reibwert sehr schnell und sehr stark ändern. Der Sensor im Reifen registriert diese Veränderung sofort, funkt sie an den Bordcomputer, so dass das ABS die Bremswirkung an den vier Rädern optimal auf die Fahrbahnverhältnisse abstimmen könnte. Und das schon vor Beginn einer Bremsung. Bisher erkennt die Regelung erst während einer ABS-Bremsung den Reibwert der Reifen auf dem Asphalt.
Mit Hilfe der OFW-Sensoren könnte der Bremsweg im Ernstfall um ein entscheidendes Stück verkürzt werden. Und auch das ESP, das durch gezieltes Bremsen einzelner Räder kritische Situationen entschärfen soll, könnte durch die von den "Gummi-Spionen" gemessenen Querkräfte schneller und präziser als bisher reagieren.
Der "intelligente Reifen" soll noch weitere Daten über die Fahrsituation ermitteln. Aus den Messwerten kann der Bordcomputer zum Beispiel auch auf den Zustand der Fahrbahn schließen. Er erkennt also, ob der Reifen auf griffigem Asphalt, auf Schnee oder auf Eis rollt. Gefahren ließen sich so früher erkennen, und der Fahrer kann vor drohendem Aquaplaning oder glatter Fahrbahn gewarnt werden. Zudem könnten diese Informationen per Funk an andere Fahrzeuge oder an eine Verkehrsleitzentrale übermittelt werden.
Noch größere Sicherheit und Komfort erreicht der Reifensensor im Zusammenspiel mit anderen elektronisch geregelten Fahrzeugsystemen, wie einer "Brake-by-wire"-Bremse (elektrisch per Kabel) und einem anpassungsfähigem Fahrwerk. So ließe sich der Bremsweg verkürzen, indem das Fahrwerk aufgrund der Reifensensor-Daten blitzartig versteift würde und die Bremsen dadurch rascher greifen könnten. Beim Bremsen in einer Kurve oder auf einer unterschiedlich griffigen Fahrbahn wäre es leichter, die Spur zu halten. Störungen beim Fahren durch Seitenwind oder eine quergeneigte Fahrbahn ließen sich ebenfalls durch eine Anpassung des Fahrwerks ausgleichen.
Am Ende erspart der Reifensensor sogar Reparaturen: Bei Bremsmanövern könnten die Bremsen automatisch so geregelt werden, dass alle Bremsbeläge gleichmäßig verschleißen, und das adaptive Fahrwerk ließe sich so einstellen, dass sich das Profil an den Reifen möglichst wenig abnutzt.
Günstiger wird das Autofahren durch die Integration von ,,intelligenten" Reifen jedoch nicht. Auch wenn die Funk-Messfühler in Serie nicht wesentlich teurer sein sollen als die bereits heute eingesetzten Luftdruck-Sensoren. Bis die schlauen Pneus tatsächlich verfügbar sind, werden sich Autofahrer allerdings noch gedulden müssen. Zurzeit drehen auf dem Testparcours der TU Darmstadt erst die Prototypen ihre Versuchsrunden.