
Patrick Mariathasan für den SPIEGEL
Briefe
Wo bleiben menschliche Werte?
Nr. 10/2023 Titel: Die neue Weltmacht
Wochenlang grauer Himmel, verspäteter SPIEGEL im Briefkasten und vermutlich wieder ein Lifestyle-Titel – und wieder so gut wie nichts über das (!) Thema unserer Zeit, die künstliche Intelligenz, dachte ich... Also, halb depressiv öffne ich die Briefkastenklappe und siehe da: Die Welt ist wieder im Gleichgewicht! Danke dafür. Nur wer ChatGPT getestet hat, weiß wirklich, was grade geschieht: Die ethischen Debatten über KI, die wir dachten Ende des Jahrhunderts führen zu müssen, stehen uns 50 Jahre früher ins Haus.
Christian Bauer, BerlinNachdem die natürliche Intelligenz offenbar nicht in der Lage ist, diesen Planeten zu retten, kommt die KI doch gerade recht.
Dr. Günther Witzany, Bürmoos (Österr.)Erstaunlich, wie unkritisch Sie das Thema künstliche Intelligenz behandeln. Wenn das ungebremst so weitergeht, wo bleiben dann menschliche Werte und Gefühle? In dieser neuen Welt völlig überflüssig? Oder werden solche Werte auch programmiert, obwohl sich diese nicht »lohnen«? Die Presse und Magazine wie der SPIEGEL haben aus meiner Sicht auch die Pflicht, derartige Entwicklungen kritisch zu hinterfragen.
Helmut Hartmann, NürtingenKnapp 20 Seiten über überwiegend weiße junge Männer, für junge weiße Männer, geschrieben von jungen weißen Männern – die Autoren sind fast ausschließlich weiße junge Männer. Ach ja, die Maschinenmenschen dürfen aber auch junge weiße aparte Frauen sein. Nicht alles an diesem Artikel ist für mich gut erklärt und nachvollziehbar. Ich bin aber auch nur eine alte weiße Frau.
Barbara Wolff, Winsen (Nieders.)Künstliche Intelligenz (KI) wird die neue technische Revolution einleiten. Das wissen wir. Wie die Dampfmaschine und das Internet wird KI unser Leben verändern. Zum Positiven, aber auch mit vielen negativen Konsequenzen wie Klimakatastrophe und Kinderpornografie. Es ist überaus vernünftig, sich mit möglichen Folgen auseinanderzusetzen. Doch eines sollte jedem klar sein: Wie auch schon in der Vergangenheit halten wir das Heft des Handels nur sehr bedingt in Hand. Mit vielen Entwicklungen werden wir schlichtweg leben müssen, aufhalten können wir sie nicht. Es wäre Dummheit gepaart mit Arroganz, sich das anzumaßen. Die Sinnfrage, die jeden halbwegs interessierten Menschen umtreibt, wird KI nur sehr bedingt beantworten.
Boris Steidle, München
Pflicht zu helfen
Ich bin gottfroh, dass es solch wichtige Friedensbewegungen von mutigen Personen im derzeit so einseitigen öffentlichen Mainstream gibt. Dafür Sahra Wagenknecht schon in reißerischer Titelseitenankündigung »Wagenknechts unheimliche Allianz« vorzuverurteilen ist nicht korrekt. Da nützt es wenig, wenn der tatsächliche Bericht dann sehr viel sachlicher ist. Mir ist jede Allianz für den Frieden recht. Trittbrettfahrende extreme Randgruppen dürfen solche demokratische Initiativen nicht gefährden und die Presse darf dies auch nicht hochjubeln.
Ewald Elsäßer, GengenbachDen Artikel habe ich mit großer Zustimmung gelesen. Der Wunsch nach Frieden ist verständlich und auch ich würde ein Ende des Leidens der Menschen in der Ukraine begrüßen. Wir dürfen aber nicht so naiv sein und glauben, dass mit der Einstellung der Waffenlieferungen und mit Verhandlungen über ein Ende des Krieges plötzlich der große Frieden ausbricht. Frau Wagenknecht kann noch so laut nach einem Ende der Waffenhilfe für die Ukraine rufen – es wird mit einem so skrupellosem Gegner wie Russland nicht funktionieren. Er wird weiter seinem Narrativ vom Großrussischem Reich anhängen. Wenn Putin merkt, dass der Westen in der Unterstützung des Abwehrkampfes der Ukrainer wankt, und sie zu Verhandlungen über ein Ende der Kämpfe gedrängt werden, gibt es für ihn keinen Grund seine Expansionen einzustellen.
Dr. Michael Lau, Altlandsberg (Brandenb.)Die Sympathisanten von Wagenknecht und Schwarzer eint ein einziger angstvoller Gedanke: Bloß kein Krieg hier bei uns! Bloß kein Atomkrieg! Lieber sollen die Ukrainer ihr Land, ihre Souveränität und – ja – ihre Identität als Volk verlieren. Und genau um das Benennen dieser logischen Schlussfolgerung eines Stopps der Waffenlieferungen drücken sich Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer herum. Freiheit und Demokratie hatten und haben ihren Preis. Dafür haben mutige Menschen gekämpft, oft unter Einsatz ihres Lebens. Jemandem die Verteidigung dieser elementaren Rechte nun quasi abzusprechen um der eigenen Sicherheit willen, das ist feige, das ist schäbig. Deshalb halten sie Ihre polizeigeschützten Kundgebungen auch lieber im sicheren Deutschland ab. Putin dürfte über die Bilder höchst erfreut sein.
Peter Trauden, Heilbach (Rhld.-Pf.)Das »Manifest für den Frieden« hat noch immer nicht die hybride Kriegsführung Putins wahrgenommen. Diese geht weit über den versuchten Vernichtungskrieg gegen die Ukraine hinaus und bedient sich der russischen Mythen der großen vaterländischen Kriege. Diese Perspektive einer umfassenden Bedrohung des gesamten europäischen Kontinents haben Wagenknecht, Schwarzer und Co. nicht antizipiert. Darüber hinaus könnte es sein, dass das Manifest als Versuchsballon für Sahra Wagenknechts geplante Parteigründung konzipiert ist. Diese könnte eine Besonderheit aufweisen – eine Positionierung als Protestpartei der »radikalen Mitte« und somit attraktiv für das komplette Protestwählerpotential aus allen politischen Lagern. Man darf sich von ihrer Intelligenz und Eloquenz nicht täuschen lassen, denn sie zeigt sich in ihrer verfestigten ideologischen Verbohrtheit als gefährliche Demagogin.
Helmut Fian, WienFrau Wagenknecht und Frau Schwarzer sollten eher, lachend Schulter an Schulter, einen Brief oder ein Manifest an Herrn Putin schreiben, mit der Aufforderung: Putin soll aufhören, die Ukraine zu bombardieren, Putin soll aufhören, Frauen vergewaltigen zu lassen, Putin soll aufhören, Kinder zu entführen, Putin soll aufhören, Zivilisten hinzurichten, Putin soll sich komplett aus der Ukraine zurückziehen. Das wäre mal eine sinnvolle Aktion und an den richtigen Adressaten gerichtet. Aber dazu sind diese Frauen wohl zu feige oder haben Angst, von Putin ausgelacht zu werden. Möchten diese Frauen und Unterzeichner unter der Führung eines skrupellosen Massenmörders Putin leben? Dann nur weiter so. Putin wird nicht aufhören!
Saadet Alhas, Bruchköbel (Hessen)Frau Wagenknecht, wer ist kriegsbegeistert? Niemand! Es ist unsere Pflicht, ethisch, moralisch, der Ukraine zu helfen, solange die Ukraine, die ja von Russland überfallen wurde, eigenständig sein und zu Europa gehören möchte. Es ist normal, dass Menschen Angst haben, wenn Krieg ist, aber es ist unverantwortlich, einem Aggressor Schwäche zu zeigen, sodass er die Möglichkeit des Sieges sieht. Ihr Aufruf tut richtig weh!
Gerti Stangl, WienWofür Wagenknecht und Schwarzer plädieren, das ist Kapitulation, die Aufgabealler humanitären Ideale zum Weiterbestand einer korrupten Diktatur, für die der Ukrainekrieg ein Vorwand ist, die verheerenden Mängel im eigenen Land zu verdecken.
Lioba Multer, Florence (USA)
Ein Wir-und-Ihr-Gefühl
Den Ausführungen von Herrn Oschmann stimme ich weitgehend zu. Es gibt zu denken, dass die Ossis und hier vorzugsweise die »Ostmänner« in der Politik dieses Landes weitgehend außen vor sind. Die logische Folge ist, dass die Ossis, und hier wieder vorzugsweise die »Ostmänner«, auf die Straße gehen und ihren Protest gegen das politische System auf diese Weise zum Ausdruck bringen. Ja, es gibt hier ein mangelndes »Demokratievertrauen«! Oschmann erklärte im Interview zutreffend: »Eine repräsentative Demokratie, in der man sich nicht adäquat repräsentiert findet, hat mehr als nur ein Problem. Sie ist nämlich keine.« Es sollte der Redaktion des SPIEGEL, aber auch des Focus und so weiter zu denken, geben, dass hier im Osten kaum einer diese Magazine liest. Das sind Zeitschriften von Wessis für Wessis. Wir Ossis sind hier weitgehend außen vor!
Frank Wunderlich, Nöbdenitz (Thür.)Liebe Frau Hunfeld, würden Sie auch jemanden fragen, ob er ein westdeutscher Professor ist? Ihre Arroganz ist ohrenbetäubend.
Thomas Walter, KölnMeine Erfahrungen aus den letzten 33 Jahren entsprechen genau Herrn Oschmanns Meinung. Den besten Beweis liefert der SPIEGEL selbst. In den Leserzuschriften sind kaum Meinungen aus dem Osten vertreten. In der aktuellen Ausgabe lediglich eine. Meistens sind es keine – im Ausnahmefall mal zwei. Das entspricht nicht dem Verhältnis der Bevölkerungszahlen. Das beobachte ich schon seit einigen Jahren. Den Meinungen aus dem Osten wird zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht. An der Anzahl der Leser kann es bestimmt nicht liegen!
Rainer Zöllner, Markranstädt (Sachsen)Als Dresdener kann ich den Ausführungen der Herrn Oschmann uneingeschränkt beipflichten. Die Besetzung von gutbezahlten Spitzenpositionen mit Westleuten wird in der Bevölkerung stark kritisiert. Eine nicht unwesentliche Rolle beim Auseinanderdriften der beiden deutschen Teile spielen auch die Medien, in denen die Denkweise der alten Bundesrepublik vorherrschen. Bei Meldungen in den Nachrichten, denen ein Filmbeitrag zum Thema folgt, wird beispielsweise fast nur aus Städten in den alten Bundesländern berichtet. In Berichten von Frankfurt wird nicht unterschieden zwischen Frankfurt am Main und Frankfurt/Oder. Ein weiteres Beispiel ist die Darstellung von Meinungsumfragen, wie zum Beispiel in Ihrem Beitrag »Ein bisschen Frieden« im gleichen Heft. Zu den verschiedenen Fragen werden Balkendiagramme der Meinungen »ja«, »nein« und »unentschieden« dargestellt. Einmal wird ganz Deutschland abgebildet, dann wird dargestellt, wie Westdeutschland und Ostdeutschland abgestimmt hat. Man hat also das Abstimmverhalten verschiedener Territorien gezeigt. Dass es da Unterschiede gibt, ist zu erwarten. Auch bei einer Gegenüberstellung des Abstimmverhaltens von Schleswig–Holsteins zu Bayern gäbe es unterschiedliche Ergebnisse. Dadurch, dass man eine getrennte Darstellung West zu Ost wählt, entstehen ein Wir-und-Ihr-Gefühl – was dem Zusammenwachsen nicht dienlich ist.
Konrad Berger, DresdenAls langjähriger Chefredakteur der Super Illu hätte ich dem Germanisten Dirk Oschmann in allen Punkten aus vollem Herzen zugestimmt – vor 20 Jahren! Heute erscheint mir seine Argumentation in vielen Punkten überholt. Vor allem die negative Auslegung des Begriffes »Ost« ist für die Menschen zwischen Rostock und Dresden nicht mehr relevant. Das Sich-selber-so-klein-machen, man kümmert sich nicht mehr darum. Es liegen zuhauf Geschichten von großen Karriereerfolgen auf der Straße – man muss sich nur bücken und sie aufheben. Auch der SPIEGEL selbst könnte zum Beispiel in einer Titelgeschichte über Erfolgstypen aus den neuen Ländern einiges von früherer verrutschter Berichterstattung wettmachen.
Jochen Wolff, Chefredakteur SUPERillu von 1991 bis 2011, BerlinVorurteile und ungleiche Verhältnisse sind, wie auch Herr Professor Oschmann selbst thematisiert, kein typisch deutsches Problem. Auch hier in Belgien stehen Flamen und Wallonen sich aufgrund wirtschaftlicher und sprachlicher Differenzen oft gegenüber. Dass die deutsch-deutschen Verhältnisse problematisiert werden, ist erforderlich. Dass Oschmanns Interview und Buch Lösungsansätze enthalten, bezweifle ich aber. Er führt Westdeutschland auch als Konstrukt auf. Seine Leitmotive – die Darstellung der Westdeutschen als Unterdrücker und die romantisierte Ostperspektive auf den Westen – sind dubios. Oschmann rät seinen Kindern, den sächsischen Dialekt loszuwerden. Trägt er so nicht selbst zum Aufrechterhalten der minderwertigen Gefühlslage im Osten bei? Übrigens: die (Un)Beliebtheit von Dialekten ist meistens nur Geschmackssache. Mir, als Germanistikstudent, fehlen für den Fachbereich merkmalerische Lösungen: Dialog und Selbstreflexion. Hetze gegen Hetze nützt nichts. Zweimal minus ergibt hier nicht plus.
Jens Van Reet, Antwerpen (Belgien)Ich finde keine Worte dafür, wie großartig und absolut überfällig ich das Gespräch mit Dirk Oschmann finde! Tausend Dank! Buch bestellt bei Ullstein. Viele herzliche Grüße von der Ostfrau
Prof. Dr. Alice Kahl (Karl-Marx-Universität Leipzig)
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