
Patrick Mariathasan für den SPIEGEL
Briefe
Sein Wille geschehe
Verehrt und gehasst
Heft 42/2022 Titel: Sein Wille geschehe
In der Titelstory erscheint der Alleinherrscher Xi Jinping machtpolitisch größer als er ist. In der Partei ist sein alleiniger Machtanspruch nicht unumstritten. Eine Fülle von Problemen ist nach wie vor ungelöst, insbesondere Chinas Verhältnis zu Russland, die Null-Covid-Strategie mit den Auswirkungen auf die Betroffenen und die Wirtschaft, das Verhältnis zu Hongkong und Taiwan sowie zu ethnischen Minderheiten wie den Uiguren. Chinas Machtelite wird zu ihrem Schutz zwar das westliche Internet als Informationsquelle abschalten können, aber die technikaffine Generation wird Mittel und Wege finden, sich anderweitig zu informieren. Xi Jinping ist dabei, wie die Machthaber in Iran eine Generation zu verlieren – wenn auch aus anderen Gründen.
Dieter Obst, WiesbadenDie Volksrepublik China wird Taiwan früher oder später annektieren. Um das zu erkennen, muss man kein Hellseher sein. Ebenso sicher ist, dass die deutsche Politik von dieser Annexion und ihren Folgen überrascht sein wird. Anstatt sich von der Marktbeherrschung Taiwans bei Computerchips unabhängig zu machen, werden wir auf die Einhaltung der Menschenrechte pochen und wie heute im Konflikt mit Russland den Kürzeren ziehen. Die Autokraten dieser Welt lachen nur über die deutschen Außenminister und die Wirtschaftspolitik der EU. Aber für Stand-up-Comedy werden Politiker nicht bezahlt.
Guido Hasel, Sindelfingen
Ganz sicher wird Xi Jinping innerhalb der Bevölkerung nicht nur verehrt, sondern auch gehasst. Außerdem er hat sich auf dem Weg nach oben innerparteilich auch Feinde gemacht. Wenn er seine ultimative Macht aufgibt, könnten und würden diese Feinde Rache üben. Das gilt übrigens auch für den aktuellen russischen Präsidenten.
Reinhard Metzger-Haitz, Reutlingen
Die Titelstory lässt eine Bedrohung unerwähnt, die China von Russland unterscheidet. Es gibt aus chinesischer Sicht auch eine intellektuelle Überlegenheit, die sich in den Werken des bedeutenden Philosophen Zhao Tingyang ausdrückt. Das Individuum als Subjekt der Gesellschaft wird in seiner Tianxia-Philosophie zum Objekt des Kollektivs degradiert. Daraus ergibt sich auch eine vermeintliche Rechtfertigung der Assimilierung der Uiguren. Wir sollten uns diesen Herausforderungen stellen und Freiheit und Menschenwürde als Teile unseres Theoriegebäudes verteidigen: Kant contra Konfuzius.
Dr. Klaus Holthausen, JenaIch habe selten ein so gutes Interview über China gelesen wie das mit Australiens Ex-Premierminister Kevin Rudd. Daraus kann sehr viel abgeleitet werden. Warum versucht der Westen eigentlich nicht, China mit stiller Schlauheit in die Schranken zu weisen und zu besiegen, anstatt immer eine laute Verteufelungstaktik zu inszenieren?
Peter Gmür, Zürich (Schweiz)
Fiskalpolitische Stümpereien
Heft 41/2022 Leitartikel: Die Schuldenbremse muss vor Christian Lindner geschützt werden
Warum ist mein geliebter SPIEGEL nicht in der Lage, volkswirtschaftlich sachlich und unideologisch zum Thema Schuldenbremse zu schreiben? Wie kann man ernsthaft behaupten, Deutschland hätte nur wegen Einhaltung derselben überhaupt finanzielle Spielräume für Pandemie und Energiekrieg? Das ist – pardon – makroökonomischer und geldpolitischer Unfug. Der Staatshaushalt ist nicht das Gleiche wie Tante Ernas Sparbuch! Wenn, wie seit zwei Jahrzehnten in Deutschland der Fall, Privathaushalte und Unternehmen zu Nettosparern geworden sind, ist der Staat gezwungen, zu investieren, also sich zu verschulden. Alles andere mündet in verrottender Infrastruktur, zersparter Bildung und Deflationstendenz, wie wir sie bis zum Pandemiebeginn erlebt haben.
Fabian Osbahr, Bad Segeberg (Schl.-Hol.)Zur Ehrenrettung meiner Zunft: Unter kreativer Buchführung ist mehr Finesse zu verstehen als das »plumpe« Verschieben von Ausgaben in einen Schattenhaushalt. Nur im Verhältnis zu den bisherigen fiskalpolitischen Stümpereien unseres »Schuldenbremsen-Mantra-Finanzministers« mag das bloße Aufstellen eines oder mehrerer Nebenetats als »kreativ« durchgehen.
Dr. rer. pol. Gerhard Wallner, Berlin
Keine Sorgen um die Zukunft
Es verwundert mich doch sehr, dass Luisa Neubauer alle ihre Sorgen aufzählt, der bedrohliche Ukrainekrieg und die verheerenden Auswirkungen jedoch keine Erwähnung finden. Auch der SPIEGEL findet es keine Frage wert. Das ist für mich absolut nicht nachvollziehbar.
Gisela Neudeck, WiesbadenVielen Dank für das wertvolle Interview. So lange wir junge Menschen wie Luisa Neubauer haben, mache ich mir keine Sorgen um die Zukunft. Angst machen wir Menschen, die vor 30, 40 oder 50 Jahren durch ihre Proteste Veränderungen bewirkt haben und heute am Status quo festhalten möchten. Das Verharren in Gewohnheiten, die Bequemlichkeit unserer Komfortzonen und die Angst vor neuen Wegen sind das größte Risiko – früher, heute und wahrscheinlich auch in der Zukunft.
Bert Overlack, Baden-Baden
Der Letzte aus dem Gestern
Heft 41/2022 Wie Björn Höcke die AfD radikalisiert
Wahrend der SPIEGEL einmal mehr den Rechtsextremismus der AfD thematisiert, haben die niedersächsischen Wählerinnen und Wähler der Partei zu einem zweistelligen Wahlergebnis verholfen. Dem Beitrag über Herrn Höcke und seinen Verein werden wohl noch viele folgen.
Uwe Tünnermann, Lemgo (NRW)Wenn mir die völkischen Herren und Damen doch nur erklären möchten, was uns Deutsche von den Nichtdeutschen so grundlegend unterscheidet. Der mehr oder weniger zufällige Ort der Geburt kann es ja wohl nicht sein und das mit dem deutschen Blut war und ist grober Unfug. Bleibt die Kultur, ein Konglomerat, das sich seit der Völkerwanderung aus ganz Europa und darüber hinaus gespeist hat, sowie die Sprache, die erst seit der Lutherbibel begann, einheitlich zu werden. Wo ist das grundlegend Trennende? In eine Kultur kann man hineinwachsen und eine Sprache erlernen. Da ist nichts, auf das man eine Partei, gar eine Weltanschauung gründen könnte.
Christoph Nitsche, Straßenhaus (Rhld.-Pf.)Höcke ist der Letzte aus dem Gestern.
Dr. Jean-Arno Topp, MünchenMein Glaube an die Demokratie ist ungeschmälert, aber ich glaube auch, dass die gewählten Entscheidungsträger dringend tätig werden und auf den Bürger zugehen müssen. Alle als »Querdenker« zu diffamieren ist kontraproduktiv, die Sorgen und Wünsche der Bevölkerung müssen sehr ernst genommen werden, sonst werden viele der AfD in die Arme getrieben und dann wird es einen Staat geben, den wohl kaum einer will.
Ingrid Rill-Schelenz, Marl (NRW)Die AfD ist für mich ein Wolf im Schafspelz. Gerade die Aussagen in dem Artikel »In diesen Spalt muss die AfD ihre Keile treiben« und »Politik und Bürger ›müssen einander noch fremder werden‹«, hat nichts mit Demokratie zu tun. Hoffentlich wird das vielen Lesern bewusst und auch weitergetragen, damit die Wahlen wieder andere Ergebnisse hervorbringen. Die AfD wird das abschaffen, was wir heute schätzen: Demokratie und soziale Marktwirtschaft mit einer christlichen Kultur.
Dieter Kuhlenkamp, BerlinWer sich eine Vorstellung davon machen möchte, wie es in diesem Land einmal war und wieder sein könnte, dem empfehle ich den Film »Cabaret« mit Liza Minnelli und Michael York. Der Film spielt im Berlin des Jahres 1931. Hier findet sich alles: Romanze, Musical, Politik, rechtsextreme Horden und Straßenkämpfe, Judenhass. Und über all dem schwebt die Vorahnung einer unheimlichen sowie tödlichen Bedrohung. Im Osten Deutschlands ist man schon bald wieder so weit.
Peter Schildknecht, Hermannsburg (Nieders.)Die Alternative für Deutschland hat ein absurdes Programm und keine vertretbare Ideologie. Sie ist eine reine Protestpartei. Alle bisher da gewesenen Protestparteien sind – oft an sich selbst – gescheitert und wieder im Nichts verschwunden. Diese Parteien kommen und gehen, aber unser Land bleibt bestehen. Jeder Protest hört irgendwann auf, spätestens wenn die Gründe für den betreffenden Protest verschwunden sind. Der AfD weine ich dann keine Träne nach.
Dr. Jürgen Schöfer, Manila (Philippinen)AfD = Armut für Deutschland. Und niemand kann sagen, man habe es vorher nicht wissen können.
Gernot Hilge, Münster
Sanktionen für Iran, Fußball-WM für Katar
Heft 41/2022 Baerbocks feministische Außenpolitik stößt im Fall Iran an ihre Grenzen
Auch der SPIEGEL hätte die Frauen in Iran sicht- und hörbarer machen können, anstatt sich an Annalena Baerbock abzuarbeiten. Wie wäre es denn mit einem entsprechenden Titel gewesen? Das immer wiederkehrende Thema schlecht erzogener Kinder beziehungsweise schlecht erziehender Eltern kann man getrost hintanstellen. Zudem hat das Titelbild verblüffende Ähnlichkeit mit dem ADHS-Ratgeber »Wackelpeter und Trotzkopf« von 2006.
Judith Schulze, München
Die Verve im Einsatz für Frauen- und Menschenrechte, die man Frau Baerbock zuspricht, ist sehr einseitig und zielgerichtet. Ginge es Frau Baerbock wirklich um diese, dann hätte sie schon lange in Richtung Saudi-Arabien und Katar aktiv werden müssen. Denn hier sind Frauen- und Menschenrecht genauso fremd wie fallender Neuschnee. Gegen den Iran fordert Frau Baerbock Sanktionen, nach Saudi-Arabien liefern wir Waffen. Nie wurde der Einsatz für Frauen- und Menschenrechte als Mittel zum Zweck so deutlich wie in der Gegenwart. Der dadurch angerichtete Schaden ist entsprechend. Gegen den Iran Sanktionen, in Katar die Fußball-WM – dafür steht die Wertewelt.
Dietmar Sobottka, Chemnitz
Ohne Hetze kein Suizid
Heft 41/2022 Wie Hetze im Netz das Leben der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr zerstörte
Eine pflichtbewusste Ärztin, die ihren hypokritischen Eid ernst nahm, sieht in ihrer Ausweglosigkeit keine andere Möglichkeit mehr, als sich das Leben zu nehmen. Diese perfiden Mordandrohungen und die vielfach massiven Beschimpfungen haben diesen Menschen in den Tod getrieben. Da ist wieder einmal deutlich zu erkennen, was krankhaft hasserfüllte Kreaturen mit ihrem widerlichen Gedankengut anzurichten vermögen. Und wieder ist festzustellen, wie lax Behörden mit dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Betroffenen umgehen.
Horst Winkler, Herne (NRW)Der Suizid von Lisa-Maria Kellermayr ist tragisch und zutiefst erschütternd. Die Umstände, die zu ihrem Tod führten, machen wütend. Es war Frau Kellermayrs Landsmann, der Psychiater Erwin Ringel, der bereits in den 1950er-Jahren unter anderem systematisch die Unerträglichkeit der Umstände als Voraussetzung für einen Suizid herausarbeitete. Die Umstände, die zu Frau Kellermayrs Tod führten, lagen in Beleidigungen und Hetze, in Mord- und Folterdrohungen. Andauernd. Sie wollte gewiss nicht sterben, sah aber keinen Ausweg mehr, der unerträglichen Situation zu entkommen. Auch, weil sie sich von den Behörden alleingelassen fühlte. Somit haben andere Menschen die Voraussetzungen für ihren Tod geschaffen. Ohne Hetze und Morddrohungen hätte es keinen Suizid gegeben. Wir müssen achtsam sein, mit dem, was wir tun, unterlassen und sagen. Es hat stets eine Wirkung.
Reiner Gorning, Hamburg
Nuklearer Trümmerhaufen
Heft 41/2022 Wie ernst muss der Westen Wladimir Putins Nukleardrohung nehmen?
Man kann die Ungerechtigkeit dieser Welt beklagen. Wer aber eine neue Ordnung nuklear herbeibomben will, wird am Ende tatsächlich die soziale Ungleichheit auf diesem Planeten nivellieren – allerdings als Trümmerhaufen.
Dr. Volker Brand, Bad Oeynhausen (NRW)
Svante Pääbo als Hamlet
Heft 41/2022 SPIEGEL-Gespräch mit dem Nobelpreisträger Svante Pääbo über die Unterschiede zwischen Menschen und Neandertalern
Die Hamlet-Pose von Svante Pääbo, die Betrachtung des Totenkopfes in der rechten Hand. Wer immer sich das ausgedacht hat: Es macht die gute Vorbereitung deutlich.
Gerold Kamsties, Hamburg
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